Maria Jepsen: Eine Frau erobert die Kirche
Am 4. April 1992 wird Maria Jepsen in Hamburg zur weltweit ersten Bischöfin der evangelisch-lutherischen Kirche gewählt. Der Widerstand im Vorfeld war groß. 2010 tritt Jepsen im Zuge eines Missbrauchsskandals zurück.
Lauter Jubel brandet an diesem ersten April-Sonnabend 1992 um 15.15 Uhr im altehrwürdigen Hamburger Michel auf. Soeben ist Historisches geschehen: Maria Jepsen, 1945 in Bad Segeberg geboren, ist zur weltweit ersten lutherischen Bischöfin gewählt worden. Minutenlang klatschen die Synodalen der nordelbischen Landeskirche Beifall. Bereits nach dem ersten von sechs möglichen Urnengängen war die Wahl entschieden: 78 von 137 Stimmen bekam die Pröpstin aus dem Kirchenkreis Hamburg-Harburg. Für ihren Konkurrenten Helge Adolphsen, Hauptpastor des Michels, waren es nur 44.
Für Pröbstin Maria Jepsen kam die Wahl überraschend
Bis zuletzt habe sie nicht damit gerechnet, gewählt zu werden. "Ich habe mich aufstellen lassen, um zu zeigen: Wir Frauen kneifen nicht", sagte Jepsen 25 Jahre nach ihrer Wahl zur Bischöfin dem Hamburg Journal - und würdigt die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands "für die volle Teilhabe von Frauen am geistlichen Amt und damit auch am Leitungsamt in der Kirche."
Pastoren drohen - "Das Weib schweige in der Gemeinde"
1992 klingt das noch anders. Jepsen ist damals bereits die dritte Frau, die sich um ein Bischofsamt bemüht. 1990 war Ruth Rohrandt, Leiterin des Frauenreferats der Nordelbischen Kirche, in Schleswig gegen Propst Hans-Christian Knuth gescheitert. 1991 unterlag Oberkirchenrätin Käte Mahn in Lübeck gegen Propst Karl Ludwig Kohlwage.
Als Jepsen und Adolphsen ihre Kandidatur für das Bischofsamt in Hamburg bekannt geben, ist schnell klar: Es geht nicht um Inhalte und Positionen. Im Vordergrund steht die Frage: Wer setzt sich durch - Frau oder Mann? Auch wenn die beiden Kandidaten diese Diskussion von Anfang an nicht befeuern.
Die konservativen Kräfte der Nordelbischen Kirche wehren sich gegen eine Frau als oberste Hirtin. Rund 80 Pastoren in "Nordelbien" drohen, vorzeitig in den Ruhestand zu treten, sollte Jepsen zur Bischöfin gewählt werden. Sie sprechen von einer Katastrophe für die Kirche und untermauern ihre Ablehnung mit Bibel-Zitaten wie "Das Weib schweige in der Gemeinde". Jepsen, die eine moderate feministische Theologie vertritt, kontert: "Diese Aussagen entstanden in einer Zeit, in der die Gesellschaft unterdrückt wurde und das haben die Männer an die Frauen weitergegeben."
Liberale Kräfte unterstützen Jepsen
Doch die liberalen Kräfte in Nordelbien sehen in Jepsen, deren Mutter sie und die drei älteren Geschwister nach ihrer Scheidung allein in Bad Segeberg aufgezogen hatte, die geeignete Kandidatin. Sie glauben, dass sich viele Christen mit ihrer Theologie und ihrer Nähe zur Basis identifizieren können. Unterstützung gibt es auch aus Berlin: Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth (CDU) ist der Meinung, die Kirche könne es sich nicht leisten, ein drittes Mal einer Frau das Bischofsamt zu versagen. Auch viele Medien beziehen klar Stellung: Sie zeichnen das Bild einer verkrusteten Kirche, die endlich den Weg für Frauen im Bischofsamt frei machen soll.
Jepsen engagiert sich für die, die am Rand stehen
Als die Synode beginnt, ist der Ausgang völlig offen. Viele Beobachter gehen von vier bis fünf Wahlgängen aus. Bei ihrer Rede überzeugt Jepsen die Synodalen mit ihren Forderungen nach einer offenen Kirche, die auch die Randgruppen mit einbezieht. "Die Kirche muss sich einmischen in Politik, muss wieder lebendiger werden und den Glauben im Alltag lebbar machen", lautet ihr Motto. Schon zuvor hatte Jepsen deutlich gemacht: Sie setzt sich für Obdachlose, Drogenabhängige, HIV-Infizierte und Homosexuelle ein. Und sie läuft bei Demonstrationen gegen Ausländerhass in der ersten Reihe mit. Ihr sei stets wichtig gewesen: "Wir stehen zu dem, wie wir sind und wollen nicht, dass Menschen sich verstecken und verbiegen."
"Frauen in der Kirche bisher einseitig wahrgenommen"
Jepsen stellt auch ihre Verbundenheit mit der kirchlichen Basis in den Vordergrund. "Von etlichen Medienleuten wurde ich gefragt: 'Braucht die Kirche nicht einen starken Bischof? Sie wirken doch eher zerbrechlich.' Dann guckten sie herunter an mir, an meinen 1,68 Metern, mit einem Lächeln, das wir Frauen nur allzu gut kennen." Ihre Entgegnung auf die Zweifler: "Kirche ist nicht schwach oder stark durch einen Bischof, welche Statur er auch immer haben mag; Kirche geschieht in den Gemeinden, Diensten und Werken."
In ihrer Rede setzt Jepsen auf persönliche Akzente: "Dass ich mich für eine neue Gemeinschaft von Frauen und Männern einsetze, ist selbstverständlich, sah es doch so aus, dass wir in der Kirche bisher einseitig die Fähigkeiten von Frauen wahrgenommen haben, sie fast nur an der Basis Dienst tun ließen. Das darf so nicht fortgesetzt werden, wie inzwischen viele eingesehen haben." Ihr Auftritt kommt an - besser als die eher unterkühlte und hanseatische Art von Konkurrent Adolphsen. Und Jepsen setzt sich - für viele Beobachter überraschend - durch.
Beyerhaus spricht nach Wahl von "geistlicher Katastrophe"
Die Reaktionen auf ihre Wahl fallen sehr unterschiedlich aus. Der Vatikan meldet sich zu Wort und spricht von einem "Hemmschuh" für die Ökumene. Der Tübinger Missionswissenschaftler Peter Beyerhaus hält die Wahl Jepsens sogar für eine "geistliche Katastrophe". Der Bremer Theologe und Hochschullehrer Georg Huntemann stört sich ebenfalls an der feministisch ausgerichteten Theologin und fordert, "dass kein Pfarrer Frau Jepsen das Abendmahl reichen dürfte, falls sie weiter auf ihrer Irrlehre beharre". Der Vorsitzende der Evangelischen Kirche, Klaus Engelhardt, reagiert gelassen: Er habe immer betont, dass mit der Ordination von Frauen ihre Wahl in das Bischofsamt eines Tages eine logische Konsequenz sei. Am 30. August bekommt Jespen von Bischof Peter Krusche das Amtskreuz übergeben.
Jepsen als Bischöfin "mutig, streitbar und nie abgehoben"
"Ich möchte den Stil wieder einführen, den wir im Neuen Testament von Jesus kennengelernt haben. Das ist ein Stück mehr Menschlichkeit“, formuliert die frisch gekürte Bischöfin ihr Ziel. Von Beginn an setzt sie auf Dialog - auch mit ihren Gegnern: "Wir werden uns zusammenraufen - nicht auseinander dividieren." Die Schwerpunkte ihrer Arbeit sind Themen wie Stärkung der Gemeinden, Gleichberechtigung, soziale Gerechtigkeit und Ökumene. So ist "Nordelbien" die erste Kirche, die den kirchlichen Segen für homosexuelle Paare einführt.
Die zierliche Frau übt ihr Amt mit Erfolg aus und überzeugt ihre Kritiker. "Mutig, streitbar und nie abgehoben" - so beschreibt der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke die Arbeit von Maria Jepsen. Als sie sich nach zehnjähriger Amtszeit im Jahr 2002 zur Wiederwahl stellt, ist sie schon nicht mehr die einzige deutsche Bischöfin: 1999 war Margot Käßmann zur hannoverschen Landesbischöfin gewählt worden. Und Maria Jepsen bekommt für eine weitere Amtszeit eine große Mehrheit.
Missbrauchsskandal: Maria Jepsen tritt zurück
Zwei Jahre vor dem Ende der regulären Amtszeit stolpert bringt sie jedoch ein Missbrauchsskandal in Ahrensburg (Kreis Stormarn) zu Fall. Nachdem Vorwürfe laut geworden sind, dass sie von den Übergriffen eines Pastors gegenüber Minderjährigen gewusst, aber nicht energisch genug gehandelt habe, tritt sie im Juli 2010 vom Amt der Bischöfin zurück. Sie selbst habe sich nichts vorzuwerfen, heißt es damals, doch die Opfer bräuchten ein "deutliches, sichtbares Zeichen" und Jepsen wolle weiteren Schaden von Kirche und Bischofsamt abwenden.
Nachfolgerin wird eine Frau: Kirsten Fehrs, die das Amt auch heute noch ausübt. Dass Frauen in der evangelischen Kirche ins Bischofsamt gewählt werden, hat längst keinen Sensationswert mehr. Dennoch sind Frauen in führenden Positionen auch hier noch deutlich unterrepräsentiert: Gerade einmal fünf der 20 evangelischen Landeskirchen werden derzeit von Frauen geleitet.
Maria Jepsen und ihr Ehemann, der Jepsen in ihrer Zeit als Pröbstin und Bischöfin den Rücken als Hausmann freigehalten hatte, leben heute in Husum.