Frauen sammeln 1967 auf Feldern einer LPG in der DDR Kartoffeln ein. © picture-alliance/ ZB Foto: Dieter Demme

LPG: Vom Kleinbauern zum Agrargenossen der DDR

Stand: 08.06.2022 05:00 Uhr

Am 8. Juni 1952 wird in der DDR die erste Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft gegründet. Im Juli beschließt die SED dann offiziell, die Agrarwirtschaft zu kollektivieren. Zehntausende Kleinbauern schließen sich zu LPGs zusammen.

LPG - es sind drei Buchstaben, die für das Agrarsystem der DDR stehen: Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften. Dabei sieht es zunächst nicht nach gemeinsamem Wirtschaften aus. Im Gegenteil: Im Herbst 1945 beginnt in der sowjetischen Besatzungszone eine Bodenreform, verbunden mit einer Enteignungswelle von Grundbesitzern. Mehr als 12.000 landwirtschaftliche Betriebe, jeweils mindestens 100 Hektar groß, werden in öffentlichen Bodenfonds verstaatlicht. Wenig später kommen sie in neue Hände, aufgeteilt in Flächen von fünf bis zehn Hektar. Ehemalige Arbeiter aus Landwirtschaft und Industrie, aber auch viele Flüchtlinge aus dem Osten beginnen nun, sich Existenz als selbstständige Kleinbauern aufzubauen - insgesamt mehr als eine halbe Million Menschen.

Die SED steuert gegen

Besonders in Regionen mit großen Gütern, wie im heutigen Mecklenburg-Vorpommern, hat die Bodenreform weitreichende Folgen. Statt produktiver Gutshöfe wirtschaften nun Tausende meist unerfahrene Kleinbauern auf Flächen, die kaum rentabel zu bestellen sind. 1952 erkennt auch die DDR-Führung die Misere und reagiert.

"Walter Ulbricht" wird erste LPG der DDR

Am 8. Juni wird - zwar freiwillig, aber vermutlich nicht ganz ohne Druck von Parteifunktionären - die erste LPG mit dem Namen "Walter Ulbricht" gegründet.

Frauen sammeln 1967 auf Feldern einer LPG in der DDR Kartoffeln ein. © picture-alliance/ ZB Foto: Dieter Demme
AUDIO: LPGs in der DDR: Junkerland in Bauernhand (15 Min)

Auf ihrer Tagung vom 9. bis 12. Juli in Berlin beschließt die 2. Parteikonferenz der SED dann offiziell, die Agrarwirtschaft mit Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften umzustrukturieren. Drei Typen sind fortan möglich:

  • Typ I: Bauern bringen nur ihren Boden ein.
  • Typ II: Zusätzlich werden Maschinen gemeinsam genutzt.
  • Typ III: Auch das Vieh gehört zum Gemeingut.

Jede LPG, die nach einer Mustersatzung vereinbart und staatlich bestätigt wird, gilt als rechtlich selbstständiger Betrieb. Der Boden bleibt Eigentum der Bauern. Nicht nur Landwirte, sondern jeder DDR-Bürger kann sich einer LPG anschließen. Alle Mitglieder erhalten leistungsbezogene Löhne und Gewinnbeteiligungen.

Beitritt zur LPG erfolgte nicht immer freiwillig

"Werktätige Einzelbauern, werdet Mitglieder der LPG!" Werbeplakat der LPG.
Werbeplakat der LPG: Ab 1952 werden die Bauern dazu gedrängt, sich einer Produktionsgenossenschaft anzuschließen.

Viele Kleinbauern, speziell jene mit wenig ertragreichen Böden, schließen sich den neuen Gemeinschaften an. Andere werden von der staatlichen Verteilungspolitik, etwa bei Saatgut und Düngemitteln, oder gesellschaftlichem Druck in die LPG gedrängt. Der Eintritt in eine LPG soll laut Staatsführung auf der Basis der Freiwilligkeit stattfinden. Die Wirklichkeit sieht in den meisten Fällen jedoch anders aus. Durch wirtschaftliche Restriktionen der SED-Führung gegen Landwirte mit jeweils mehr als 20 Hektar - sie gelten als Großbauern -, zunehmend steigende Abgabepflichten, wirtschaftliche Benachteiligung gegenüber den LPGs und mangelnde Belieferung mit Produktionsmitteln und Baustoffen versucht der Staat, Landwirte zum Eintritt in die LPG zu zwingen.

VIDEO: Zwangskollektivierung der Landwirtschaft in der DDR (16.04.1961) (28 Min)

DDR erreicht Ziel der vollständigen Kollektivierung 1960

Viele Landwirte entziehen sich dieser Zermürbungstaktik durch Flucht. Das verlassene Land wird enteignet, ohne die Zustimmung der Besitzer einzuholen, und in die LPG integriert. Bevor das Ziel der vollständigen Kollektivierung 1960 erreicht wird, schicken die Kreis- und Bezirksleitungen noch Agitationstrupps in die Dörfer, um den Eintritt der letzten nicht beitrittswilligen Bauern in Produktionsgenossenschaften zu erzwingen. Im sogenannten sozialistischen Frühling treten von März bis Mai 1960 mehr als 498.000 Bauern den LPG bei.

Ab 1960 gibt es in der DDR kaum noch selbstständig wirtschaftende Bauern. Zunächst setzt sich der LPG-Typ III mit dem höchsten Grad an Zusammenarbeit durch. Später entstehen daraus spezialisierte Genossenschaften, die sich ausschließlich der Tierzucht oder dem Ackerbau widmen.

Weitere Informationen
Bernhard Quandt (li.) im Gespräch mit mecklenburgischen Bauern, 1958. © cc-bysa Foto: Wolf Spillner

Bodenreform in Mecklenburg 1945: Alles auf Anfang

In der Sowjetischen Zone beginnt nach Kriegsende eine Bodenreform: Landwirtschaftlicher Grund wird enteignet und umverteilt. mehr

Werbeplakat für die Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone mit der Aufschrift "Junkerland gehört in Bauernhand". © Ernst-Jürgen Walberg; Thomas Balzer: Erinnerungen für die Zukunft: Geschichten und Geschichte aus dem Norden der DDR, hrsg. vom Norddeutschen Rundfunk/Deutsches Historisches Museum Berlin

Die Enteignung der Gutsbesitzer nach 1945

Mit der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone wurden Tausende Gutsbesitzer enteignet. Betroffene erinnern sich. mehr

Ein Bauer misst mit einem Feldmesszirkel seinen Acker aus. © picture-alliance / ZB Foto: Peter Endig

Das Schicksal der Neubauern nach 1945

Im Zuge der Bodenreform 1945 erhalten in der Sowjetischen Besatzungszone viele Mittellose ein Stück Land. Später müssen die Neubauern ihr Eigentum zum Teil wieder abgeben. mehr

Ein Mutter geht Anfang der 60er-Jahre mit ihren Kindern an Fotowänden mit SED-Propaganda, unter anderem mit Walter Ulbricht im Bild, vorbei. © picture-alliance / akg-images / Gardi Foto: Gardi

Wir bauen einen sozialistischen Staat: Die Verheißung der DDR

Mit Walter Ulbricht an der Spitze formt die SED die DDR zum sozialistischen Staat. Auch viele Bürger sehen zunächst die Vorteile. mehr

Erholungsheim des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes in Kühlungsborn in den 1950er-Jahren. © picture-alliance / akg-images

"Aktion Rose": Die Enteignungswelle an der DDR-Ostseeküste

Am 10. Februar 1953 beginnen Volkspolizisten an der Ostsee, private Hotels und Gaststätten zu stürmen. Besitzer werden verhaftet und enteignet. mehr

Demonstranten werfen beim Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953 in Berlin mit Steinen nach russischen Panzern. © picture alliance/dpa

Aufstand des 17. Juni 1953: Panzer gegen Parolen in der DDR

Arbeiter und Bürger in der DDR fordern 1953 freie Wahlen und bessere Lebensbedingungen. Am 17. Juni kommt es zum Volksaufstand. mehr

Dieses Thema im Programm:

Nordmagazin | 10.01.2021 | 19:30 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Die 50er-Jahre

DDR

Mehr Geschichte

Der wegen Mordes angeklagte Hartmut M. (M.) trifft am 16.01.2007 im Landgericht in Würzburg (Unterfranken) zum Prozessbeginn ein. © picture alliance/dpa Foto: Daniel Karmann

Vor 20 Jahren: Shell-Erpresser "Garibaldi" wird gefasst

Der Erpresser forderte vier Millionen Euro von Shell in Hamburg. Am 24. November 2004 wurde er festgenommen. Der Mann ist auch ein Mörder. mehr

Norddeutsche Geschichte