MS "Völkerfreundschaft" 1972 im Hafen von Warnemünde © Bundesarchiv, Bild 183-L1102-0040 / Sindermann, Jürgen / CC-BY-SA-3.0 Foto: Jürgen Sinderman

Die "Völkerfreundschaft" - Urlauberschiff der DDR

Stand: 25.02.2020 07:24 Uhr

Am 24. Februar 1960 legt die "Völkerfreundschaft" in Rostock zur Premierenfahrt ab. Das erste Urlauberschiff der DDR bot nicht nur "verdienten Werktätigen" luxuriöse Kreuzfahrten.

von Henning Strüber

Nicht erst seit der AIDA-Reederei ist in Rostock die Kreuzfahrtschifffahrt zu Hause. Schon zu DDR-Zeiten stechen in der Hansestadt Urlauberschiffe in See, auf denen die "werktätige Bevölkerung" und "verdiente Aktivisten" in den Ostseeraum oder zum Schwarzen Meer reisen. Auch Sportler der Olympiamannschaft der DDR gehen an Bord. Die "MS Völkerfreundschaft" ist das erste dieser sozialistischen Traumschiffe. Zusammen mit der nach dem Spartakus-Mitbegründer und Komintern-Funktionär benannten "Fritz Heckert", dem einzigen Neubau eines Kreuzfahrtschiffes für die DDR, wird die "Völkerfreundschaft" ab 1960 eingesetzt. Später kommt noch die "MS Arkona" hinzu, die als "MS Astor" auch das TV-Traumschiff des ZDF war.

Das "Unglücksschiff" wird Urlauberschiff

Schon vor seiner ersten Fahrt unter DDR-Flagge im Februar hatte das Schiff traurige Berühmtheit erlangt. Am 25. Juli 1956 war es als "Stockholm" noch unter schwedischer Flagge in einer Nebelbank vor der US-Ostküste mit dem doppelt so großen Liner "Andrea Doria" kollidiert. Während das italienische Schiff sank - 51 Menschen kamen bei dem Unglück ums Leben (fünf davon auf der "Stockholm") - erreichte der beschädigte Havarist New York und wurde repariert. 1960 kauft die DDR das Schiff für 20 Millionen Kronen.

Rauchen im Salon, Volleyball auf dem Oberdeck

Am 24. Februar 1960 bricht die vom AIDA-Vorgänger Deutsche Seereederei Rostock (DSR) bereederte "Völkerfreundschaft" schließlich zu ihrer ersten großen Fahrt ins Mittelmeer auf. Zuvor wird das sozialistische Traumschiff aber umgebaut. Es soll in puncto Luxus den Bauten des Klassenfeindes in nichts nachstehen. Es gibt ein Außen- und ein Innenschwimmbad, einen Frisiersalon, Rauchsalon und ein Verandakaffee mit großer Tanzfläche, in einem Kinosaal für 180 Besucher werden die neuesten Filme aus DEFA-Produktionen gezeigt. Wer es sportlich mag, kann Tischtennis spielen oder auf dem Oberdeck Volleybälle schmettern. Der Ball ist an einer Sehne befestigt, damit er nicht über Bord gehen kann.

Technische Daten der "Völkerfreundschaft"

Ehemaliger Steward erinnert sich

Reinhard Brandt © NDR.de Foto: Henning Strüber
Reinhard Brandt fuhr von 1976 bis 1981 auf der "MS Völkerfreundschaft".

"Aber das ganze Entertainment, so wie es heutzutage auf den modernen Kreuzfahrtschiffen Standard ist, das gab es noch nicht", sagt Reinhard Brandt. Der Schweriner ist von 1975 bis 1981 als Steward auf Schiff - bis ihm die Staatssicherheit sein Seefahrtsbuch wegnimmt, weil ein Freund einen Ausreiseantrag gestellt hat. Brandt erinnert sich gern zurück: "Das war eine sehr interessante Zeit: Seefahrt zu den Bedingungen der DDR. Es war die einzige Möglichkeit, das Land legal zu verlassen." Als Steward ist es Brandts Aufgabe, sich um die Gäste zu kümmern. "Das war von morgens bis abends schwere Arbeit.“

Ostsee, Schwarzes Meer, Karibik

Im Frühjahr und Herbst stehen Reisen für den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) auf dem Programm, im Winter wird das Schiff zeitweilig an die schwedische Stena-Line verchartert, denn die DDR leidet chronisch unter Devisenmangel - und die West-Kundschaft zahlt gut. Anfang Mai beginnt die Ostseesaison. Eine Reise dauert stets zwei Wochen und führt in Häfen der befreundeten sozialistischen Bruderstaaten. So geht es von Rostock über Gdynia bis ins frühere Leningrad. Zurück im Heimathafen steht gleich der nächste Passagierwechsel an. "Als Besatzung ist man sechs bis acht Wochen mitgefahren und hat dann eben mal vier Wochen frei gehabt", sagt Brandt.

Fluchtgefahr in engen Passagen

Das DDR-Urlauberschiff "MS Völkerfreundschaft" © Reinhard Brandt Foto: Reinhard Brandt
Die "Völkerfreundschaft" legte auch im jugoslawischen Dubrovnik an.

Im September und Oktober steuert das Schiff südliche Gefilde an. Ihre Rundreisen durchs Schwarze Meer führen es von Varna über Jalta nach Sotschi und wieder zurück. "Später hat man das verkürzt, weil man diese Fahrten durchs Mittelmeer nicht mehr wollte. Da durften dann ja nur ganz bestimmte Leute mitfahren." Denn stets fährt bei den Staatsrepräsentanten - ein Politoffizier der Staatssicherheit ist immer mit an Bord - die Angst mit, Passagiere oder Besatzungsmitglieder könnten die Gelegenheit zur Flucht nutzen, was in einigen Fällen auch geschieht. "Deshalb hielten bei engen Passagen wie etwa der Durchfahrt durch den Bosporus immer Leute von der Besatzung Wache, dass keiner über Bord springt", sagt Brandt.

"Jeder Tag ein Highlight"

Dann folgen Kuba-Reisen, ehe die Charter-Reisen der Schweden anstehen. Im Frühjahr nimmt das Schiff in der Regel eine mehrwöchige Werftzeit in Wismar, "es war ja schon etwas betagter", erinnert sich Brandt. Die Charter-Fahrten - meist mit skandinavischen Gästen an Bord - gefallen Brandt besonders gut: "Da waren sehr interessante Häfen dabei: die gesamten Kleinen Antillen, die Karibik, von Grenada bis zu den Jungferninseln, die Kanarischen Inseln, überhaupt das gesamte Mittelmeer - es war jeder Tag ein Highlight. Wir haben es uns schon schön gemacht." Ab und zu darf die Besatzung beim Volleyball gegen die Gäste antreten. Und wenn einmal sämtliche Passagiere von Bord gegangen sind, was selten vorkommt, feiert die Besatzung auch mal eine kleine Party, wie Brandt noch gut weiß: "Wir haben dann auch mal einen bayerischen Abend gemacht."

Die wechselnden Namen der "Völkerfreundschaft"

Im Brennpunkt des Weltgeschehens

Doch das eisige Klima des Kalten Krieges ist auch an Deck spürbar. Auf ihren Fahrten zwischen Ostsee und Westindischen Inseln gerät die "Völkerfreundschaft" mehrmals zwischen die Fronten des Ost-West-Konflikts. Auf dem Weg nach Kuba im Oktober 1962 durchfährt das mit FDGB- und tschechischen Urlaubern besetzte Schiff die amerikanische Blockadelinie. Drei Stunden lang wird es von einem US-Zerstörer begleitet - in zwei Seemeilen Abstand. Das Kriegsschiff dreht schließlich ab und die "Völkerfreundschaft" erreicht unversehrt die kubanische Hauptstadt Havanna. Sechs Jahre später kommt es in der Ostsee zu einem Zwischenfall, als das Kreuzfahrtschiff mit einem westdeutschen U-Boot-Jäger kollidiert, der gerade einen "Republikflüchtling" aufnehmen will. Ebenfalls in der Ostsee stößt die "Völkerfreundschaft" 1983 mit einem U-Boot der Bundesmarine zusammen. Die Vorfälle gehen glimpflich aus.

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Das Kreuzfahrtschiff Azores in Kiel © NDR Foto: Sebastian Baak
Bis heute wird die frühere "Völkerfreundschaft" als "MS Azores" im Kreuzfahrtdienst eingesetzt.

Doch der Zahn der Zeit nagt unverkennbar an dem Schiffs-Oldie. Zudem rentiert sich der Betrieb des Schiffes nicht. Die "Völkerfreundschaft" wird zum Zuschussgeschäft für die klamme DDR-Staatskasse. Doch kurz vor ihrer Außerdienststellung wird ihr noch eine besondere Ehre zuteil. Das Urlauberschiff dient als Kulisse für die Außenaufnahmen des DFF-Streifens "Die Rache des Kapitäns Mitchell". Im Januar 1985 wird die renovierungsbedürftige "Völkerfreundschaft" verkauft - nach 25 Jahren auf den Weltmeeren mit 117 angelaufenen Häfen in 51 Ländern und einer zurückgelegten Strecke, die 68 Erdumrundungen entspricht. In den Jahren darauf folgen mehrfache Umbauten - unter wechselnden Namen und Eigentümern. Bis heute ist sie das am längsten im Dienst befindliche Transatlantik-Schiff der Welt.

Rückkehr nach Rostock als "MS Azores"

Ein Stück weit ist die "Völkerfreundschaft" ihrer Heimat bis heute erhalten geblieben. So stattet sie im Sommer 2015 als "MS Azores" mit Hunderten Kreuzfahrtgästen an Bord ihrem alten Heimathafen noch einmal einen Besuch ab. Drei Jahre später legte sie erneut in Mecklenburg-Vorpommern an, diesmal in Wismar. Unter dem Namen "Astoria" fährt sie nun mit bis zu 550 Passagieren für eine britische Reederei. Außerdem schippert ein Modell des Kreuzfahrtschiff-Urgesteins im Virtuellen Landesmuseum Mecklenburg-Vorpommerns durch die Weiten des Internets.

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Dieses Thema im Programm:

Nordmagazin | 14.04.2018 | 19:30 Uhr

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