Die SED-Parteischulen in der Ära Gorbatschow
Mit Glasnost und Perestroika wollte Gorbatschow den Sozialismus reformieren. Seine Ideen standen teilweise im Widerspruch zur Lehre an den SED-Parteischulen der DDR. Dort machte sich Unsicherheit breit.
Moskau, 11. März 1985: Michail Gorbatschow wird zum Generalsekretär der KPdSU gewählt und läutet eine Neuausrichtung seiner Partei ein. In den Parteischulen der SED macht sich Unsicherheit breit. Denn hier hieß es bisher: "Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen!" Die Parteischulen waren Zentren der sozialistischen Lehre und der SED-Kaderbildung. Ihr Besuch war praktisch Voraussetzung, um eine staatliche oder innerparteiliche Spitzenposition zu erreichen. Mit den von Michail Gorbatschow eingeleiteten Veränderungen standen ihre Inhalte in der Endphase der DDR teilweise im Widerspruch zum "großen Bruder", der Sowjetunion. Auch an diesem Widerspruch, der in den Parteischulen besonders offensichtlich wurde, scheiterte die SED und mit ihr die DDR im Beharren auf dem Alten.
Große Bedeutung für den Aufbau der SED
Viele nannten die zahlreichen politisch-ideologischen Schulungen der SED einfach nur "Rotlichtbestrahlung". Sie gehörten zum Alltag in der Partei und in der DDR. Die Parteischulen hatten ein besonderes Gewicht im SED-Herrschaftssystem. Denn ideologisch fußten die SED und ihre Gesellschaftsordnung auf der sowjetischen Staatsdoktrin des Marxismus-Leninismus. Diese Doktrin sollte jeder beherrschen, der in der Partei, im Staat oder in staatlichen Einrichtungen eine leitende Funktion einnehmen wollte - ob Parteimitglied oder nicht. Für diese Menschen war ein Besuch der Parteischule Pflicht.
Kaderschmiede der Partei
Die Parteischulen boten die politische und fachliche Ausbildung für Leitungsfunktionen. Ohne den Besuch einer solchen Einrichtung war es unmöglich, eine Führungsposition in Staat oder Partei einzunehmen. Dadurch waren vor allem die Bezirksparteischulen ein wichtiges Rekrutierungsreservoir für leitende Kader. Sie lieferten das Personal für den Aufbau des Partei- und Staatsapparats, ihre Absolventen waren automatisch Nomenklaturkader der SED.
Das hatte für die SED einen praktischen Nebeneffekt: Vakante Stellen in unbeliebten Städten oder entfernten Kreisen wurden zum Teil dadurch neu besetzt, indem die Studierenden über Parteiaufträge verpflichtet werden konnten, dorthin zu gehen. So wurden beispielsweise Bürgermeisterposten in kleineren Gemeinden besetzt, für die sich sonst kein Bewerber fand. Mitunter wurden die Absolventen auch unter Androhung schwerer Parteistrafen in höhere Parteiämter gedrängt.
Noble Herbergen der Partei
Hierfür scheute die Staatspartei weder Kosten noch Mühen: In den drei Bezirkshauptstädten im Norden - in Schwerin, Rostock und Neubrandenburg - wurden Ende der 1970er-Jahre aufwändig Bezirksparteischulen hochgezogen. Sie waren vergleichsweise modern ausgestattet, die Gästezimmer boten hohen Komfort. Ob Polstersessel in den Hörsälen oder Zitrusfrüchte in der Kantine - Bezirksparteischulen gehörten zu den privilegierten Einrichtungen der DDR.
Das Netz der Parteischulen erreichte alle Ebenen des Staates, vom kleinsten Kreis über die Bezirke bis zur Parteihochschule "Karl Marx" in Ost-Berlin. Selbst SED-Leitungen in größeren Betrieben unterhielten Bildungseinrichtungen, die der politischen Weiterbildung von Mitarbeitern und SED-Mitgliedern dienten, sofern sie für betriebliche Leitungsaufgaben vorgesehen waren. Denn auch der Aufstieg in Kultureinrichtungen, Zeitungen oder Betrieben hing von der Absolvierung der Parteischulen ab. Führungskräfte sollten auch gesellschaftliche Führungskräfte sein.
Alltag in den SED-Parteischulen
In den 1980er-Jahren bildeten 255 SED-Kreis- und 478 Betriebsschulen die Basis des Schulungssystems. Hier wurden die Kurse neben dem Beruf absolviert. An den 15 Bezirksparteischulen hingegen waren dreimonatige oder einjährige Lehrgänge vorgesehen - die Schüler sollten sich voll und ganz auf die Materie konzentrieren.
Für die höchsten Parteifunktionen mussten die SED-Mitglieder, aufbauend auf den Abschlüssen der untergeordneten Schulen, ein oder drei Jahre an der Parteihochschule "Karl Marx" studieren. Noch gewichtiger war nur noch ein Studium an der Parteihochschule der KPdSU, wo Parteikader aus allen sozialistischen Ländern im ideologischen Zentrum des Ostblocks studierten. Wer von hier mit einem Diplom heimkehrte, dem standen höchste Parteiämter offen.
Gorbatschows Reformen …
Gerade in Moskau aber sollte die marxistisch-leninistische Lehre ab 1985 aufgeweicht werden. Michail Gorbatschow wurde zum neuen Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) gewählt. Unter ihm werden Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umgestaltung) zum neuen politischen Konzept. Gorbatschow forderte eine kritische Aufarbeitung der Vergangenheit seiner Partei und bekräftigte diese Neuausrichtung auf dem KPdSU-Parteitag im Februar 1986.
… und Honeckers "Weiter so"
Wenig später, im April 1986, veranstaltete auch die SED ihren großen Parteitag und empfing Michail Gorbatschow als hohen Gast. In seiner Eröffnungsrede nannte er Selbstkritik als "unerlässliche Bedingung für den Erfolg" einer Partei. Doch das ZK der SED um Erich Honecker ging darauf nicht weiter ein und bekräftigte auf dem Parteitag den gewohnten, in seinen Augen erfolgreichen, Kurs von Staat und Partei.
Parteischulen im Dilemma
Die Dozenten der Parteischulen steckten nun in einer Zwickmühle: Die ideologische Linie der Sowjetunion war stets die Grundlage ihrer Lehrgänge. Die widersprach nun teilweise der Ausrichtung der eigenen Partei. Auf die grundsätzlichen Inhalte in der Aus- und Weiterbildung hatte dies jedoch bis zum Ende der DDR kaum Einfluss, da der SED-Chefideologe im ZK, Kurt Hager, Abweichler oder reformorientierte Dozenten in den Parteischulen in der Regel absetzen ließ.
Die offene Ablehnung der Politik Gorbatschows wurde zunehmend zum Problem für die SED-Führung und die Stabilität ihrer Herrschaft. Nicht nur einige Dozenten, auch zahlreiche Parteimitglieder und Nicht-Mitglieder wünschten sich Glasnost und Perestroika auch für die DDR. Als schließlich das beliebte sowjetische Magazin "Sputnik" 1988 von der Parteiführung verboten wurde, weil es Stalin auf eine Stufe mit Hitler stellte, schwand der Rückhalt selbst bei einigen Absolventen der Parteischulen. Der Herbst 1989 stand vor der Tür.