Als Sprengungen das Ende der Kieler Germaniawerft einleiten
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs soll die deutsche Rüstungsindustrie zerstört werden. Im Zuge dieser Demontage sprengt die britische Militärregierung ab Anfang 1949 Anlagen und Gebäude der Germaniawerft in Kiel.
Am 10. März 1949 ertönt vom Gelände der Friedrich Krupp Germaniawerft am Kieler Ostufer eine laute Detonation. Das Stahlgerüst von Helling 6 fällt langsam in sich zusammen. Seit dem 28. Februar 1949 werden Kaianlagen, Hafenbecken, Hellinge, Kräne und Docks zerstört oder unbrauchbar gemacht. Damit setzt die britische Militärregierung ihren Plan um, die deutsche Rüstungsindustrie nachhaltig zu zerstören. Das Kriegspotenzial Deutschlands soll nach dem Willen der Alliierten ausgeschaltet, die Wirtschaft zu einer "Friedensindustrie" umgestaltet werden.
Am Ostufer der Hörn stehen vier überdachte Hellinge der Germaniawerft. Weitere sechs nicht überdachte Hellinge befinden sich ebenfalls auf dem Betriebsgelände und zeigen, welche Produktionskraft einst von der Werft ausging. Die Sprengungen der Helgen demonstrieren: Hier werden so schnell keine Schiffe mehr vom Stapel laufen.
Luftangriffe beschädigen Germaniawerft schwer
Kiel mit seinen drei Großwerften Friedr. Krupp Germaniawerft, Deutsche Werke und Howaldtswerke gilt als maritime Rüstungsschmiede des Deutschen Reichs, die Germaniawerft als einer der Hauptauftragsnehmer der Kriegsmarine. Am Kieler Ostufer werden in den 1930er- und 1940er-Jahren U-Boote, Schlachtschiffe, Zerstörer und schwere Kreuzer gefertigt. Während des Zweiten Weltkriegs erleiden die Werften bei Bombenangriffen schwere Schäden. Bis Ende April 1945 daueren die Angriffe, bei denen auch die Fertigungsstätten der Germaniawerft massiv beschädigt werden.
Trümmer, Vertriebene und Demontagen
Nicht nur die Werften, auch ein großer Teil der Stadt Kiel ist bei Bombenangriffen zerstört worden. Die Innenstadt und viele Wohnviertel liegen in Trümmern. Neben der ursprünglichen Bevölkerung müssen die Flüchtlingsströme versorgt und untergebracht werden, die aus den Ostgebieten des ehemaligen Deutschen Reiches vornehmlich nach Schleswig-Holstein kommen. Die mangelhafte Versorgung stellt ein großes Problem dar, denn Landwirtschaft und Industrie liegen am Boden. Auf der Potsdamer Konferenz am 2. August 1945 haben die Siegermächte die industrielle Abrüstung und die Entmilitarisierung Deutschlands sowie Reparationsforderungen beschlossen. Die Beschlüsse schränken die Herstellung von Maschinen und Metallen stark ein und verbieten die Produktion von Seeschiffen und Flugzeugen für die zivile Nutzung.
Proteste gegen Demontage der Werften
Am 5. November 1948 geben die britischen Besatzer ihren Zerstörungs- und Demontageplan für das Werftgelände am Kieler Ostufer bekannt. Dort im Ortsteil Gaarden-Ost haben zu Hochproduktionszeiten bis zu 60.000 Menschen gearbeitet, in der Vorkriegszeit waren es rund 30.000 Arbeiter. Die Pläne zur Zerstörung der Industrieanlagen und damit der Arbeitsplätze treiben die Kieler auf die Straße. Im Dezember 1948 kommt es zu massiven Protesten gegen die Demontagepläne der britischen Militärregierung. Auch der schleswig-holsteinische Landtagspräsident Karl Ratz (SPD), Kiels Oberbürgermeister Andreas Gayk (SPD) und Bürgermeister Dr. Peter Jeschke (CDU) schließen sich den Demonstrationszügen an.
Gayk verhandelt Änderungen am Demontageplan
Mit ihren Streiks und Protesten richtet sich der Großteil der Demonstranten nicht gegen die Demontage der Rüstungsindustrie. Vielmehr wollen sie erreichen, dass Industrieanlagen für eine Friedensindustrie und Arbeitsmöglichkeiten für die Bevölkerung erhalten bleiben. Oberbürgermeister Gayk hebt in den Verhandlungen stets hervor, dass eine Senkung der Arbeitslosigkeit und der Aufbau neuer Industrien für die Einwohner Kiels elementar und zudem wichtig für den Erhalt des sozialen Friedens wären. Zudem setzt er sich für den Erhalt von Gebäuden auf dem Gelände der Germaniawerft ein, die für die Stromerzeugung und Wasserversorgung wichtig sind.
Gayk schreibt Brief an Labour Party
In seiner Verzweiflung wendet sich der Sozialdemokrat Gayk in einem Brief an die Parlamentsfraktion der Labour Party im britischen Parlament. Darin legt er dar, in welcher Not sich die Stadt Kiel aufgrund der vielen Flüchtlinge und Vertriebenen befindet. Der Zerstörung der militärischen Anlagen stimme man "von Herzen zu". Doch man wolle endlich das ehemalige Werftgelände nutzen, um Betriebe anzusiedeln und Arbeitplätze zu schaffen, schreibt Gayk in dem Brief, von dem sich eine Abschrift im Stadtarchiv Kiel befindet.
Demontagearbeiten bis Mai 1950
Nach Verhandlungen mit den Briten erreichen Gayk und seine Mitstreiter schließlich, dass 18 Gebäude aus dem Zerstörungsplan herausgenommen werden. Von laut Plan zu zerstörenden 3.700 Metern können außerdem 915 Meter Kaimauer gerettet werden.
Die Sprengungen an den Kieler Werftanlagen dauern bis zum 5. Mai 1950. Erst am 11. September des Jahres enden alle Demontage- und Entmilitarisierungsarbeiten. Schließlich wird das Ostufer am 20. September freigegeben. Damit können die Kieler beginnen, das Areal zur Schaffung neuer Arbeitsplätze zu nutzen.
Howaldtswerke dürfen Werftbetrieb fortführen
Ausgenommen von den Demontagen ist lediglich eine Kieler Werft: die Howaldtswerke. Bereits im Juni 1945 hat die britische Navy beschlossen, dass der Betrieb wiederaufgebaut und als Schiffswerft in Betrieb genommen werden darf. Zudem erwerben die Howaldtswerke einen Teil des Werftgeländes der Germaniawerft, das sie unter anderem als Lager- und Schrottplatz nutzen. Die Germaniawerft wird 1963 endgültig liquidiert. Weitere Betriebe siedelen sich auf dem ehemaligen Areal an.
Heute: Norwegenkai, Howaldtswerke und Kai-City Kiel
Heute befindet sich auf dem ehemaligen Standort der Hellinge, die 1949 gesprengt wurden, der Norwegenkai. In den 1990er-Jahren beginnt die Stadt Kiel, das nach der Schließung der Howaldtswerke brachliegende Gelände mit dem Projekt Kai-City Kiel wiederzubeleben. Zum neuen Quartier gehören der Germaniahafen, wo Traditionsschiffe und Gastsegler liegen, und die Hörnbrücke für Fußgänger und Radfahrer, die so in Richtung Stadtzentrum gelangen. Außerdem wird eine Halle von 1939, in der sich eine Werkstatt der Germaniawerft befunden hatte, unter dem Namen Halle400 als Veranstaltungszentrum genutzt.