Die Friedrich Krupp Germaniawerft in Kiel nach der Demontage 1949. Blick von Gaarden über die Werftstraße (vorn) und die Hellingen zum Bollhörnkai und zur Vorstadt mit dem Rathausturm. © Stadtarchiv Kiel 113.622, CC-BY-SA 3.0 DE, http://fotoarchiv-stadtarchiv.kiel.de Foto: unbekannt

Als Sprengungen das Ende der Kieler Germaniawerft einleiten

Stand: 11.03.2024 00:00 Uhr

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs soll die deutsche Rüstungsindustrie zerstört werden. Im Zuge dieser Demontage sprengt die britische Militärregierung ab Anfang 1949 Anlagen und Gebäude der Germaniawerft in Kiel.

von Janine Kühl

Am 10. März 1949 ertönt vom Gelände der Friedrich Krupp Germaniawerft am Kieler Ostufer eine laute Detonation. Das Stahlgerüst von Helling 6 fällt langsam in sich zusammen. Seit dem 28. Februar 1949 werden Kaianlagen, Hafenbecken, Hellinge, Kräne und Docks zerstört oder unbrauchbar gemacht. Damit setzt die britische Militärregierung ihren Plan um, die deutsche Rüstungsindustrie nachhaltig zu zerstören. Das Kriegspotenzial Deutschlands soll nach dem Willen der Alliierten ausgeschaltet, die Wirtschaft zu einer "Friedensindustrie" umgestaltet werden.

Helling

Als Helling oder auch Helgen bezeichnet man eine schräg abfallende und mit einem Gerüst versehene Fläche, auf der ein Schiff gebaut und beim Stapellauf zu Wasser gelassen wird.

Am Ostufer der Hörn stehen vier überdachte Hellinge der Germaniawerft. Weitere sechs nicht überdachte Hellinge befinden sich ebenfalls auf dem Betriebsgelände und zeigen, welche Produktionskraft einst von der Werft ausging. Die Sprengungen der Helgen demonstrieren: Hier werden so schnell keine Schiffe mehr vom Stapel laufen.

Luftangriffe beschädigen Germaniawerft schwer

Die Friedrich Krupp Germaniawerft in Kiel nach der Demontage 1949. Blick von Gaarden über die Werftstraße (Bildmitte) zur Vorstadt mit dem Rathausturm und zur Altstadt mit der Nikolaikirche. © Stadtarchiv Kiel 60.543, CC-BY-SA 3.0 DE, http://fotoarchiv-stadtarchiv.kiel.de Foto: unbekannt
Auf der Friedr. Krupp Germaniawerft in Kiel sind nach der Demontage 1949 nur noch die Fundamente der Hellinge zu erkennen.

Kiel mit seinen drei Großwerften Friedr. Krupp Germaniawerft, Deutsche Werke und Howaldtswerke gilt als maritime Rüstungsschmiede des Deutschen Reichs, die Germaniawerft als einer der Hauptauftragsnehmer der Kriegsmarine. Am Kieler Ostufer werden in den 1930er- und 1940er-Jahren U-Boote, Schlachtschiffe, Zerstörer und schwere Kreuzer gefertigt. Während des Zweiten Weltkriegs erleiden die Werften bei Bombenangriffen schwere Schäden. Bis Ende April 1945 daueren die Angriffe, bei denen auch die Fertigungsstätten der Germaniawerft massiv beschädigt werden.

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Die zerstörte Elisabethstraße im Kieler Stadtteil Gaarden nach dem Luftangriff in der Nacht vom 7. auf den 8. April 1941. © Stadtarchiv Kiel 49.936, CC-BY-SA 3.0 DE, http://fotoarchiv-stadtarchiv.kiel.de

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Trümmer, Vertriebene und Demontagen

Nicht nur die Werften, auch ein großer Teil der Stadt Kiel ist bei Bombenangriffen zerstört worden. Die Innenstadt und viele Wohnviertel liegen in Trümmern. Neben der ursprünglichen Bevölkerung müssen die Flüchtlingsströme versorgt und untergebracht werden, die aus den Ostgebieten des ehemaligen Deutschen Reiches vornehmlich nach Schleswig-Holstein kommen. Die mangelhafte Versorgung stellt ein großes Problem dar, denn Landwirtschaft und Industrie liegen am Boden. Auf der Potsdamer Konferenz am 2. August 1945 haben die Siegermächte die industrielle Abrüstung und die Entmilitarisierung Deutschlands sowie Reparationsforderungen beschlossen. Die Beschlüsse schränken die Herstellung von Maschinen und Metallen stark ein und verbieten die Produktion von Seeschiffen und Flugzeugen für die zivile Nutzung.

Proteste gegen Demontage der Werften

Kiels Bürgermeister Peter Jeschke, Landtagspräsident Karl Ratz und Oberbürgermeister Andreas Gayk gehen an der Spitze einer Demonstration am 7.12.1948 gegen die Demontage der Kieler Werften. © Stadtarchiv Kiel 87.699, CC-BY-SA 3.0 DE, http://fotoarchiv-stadtarchiv.kiel.de Foto: Rudolf Schenck
Politiker demonstrieren Ende 1948 mit den Kielern gegen die Sprengungen (1. Reihe v.l.n.r.): Bürgermeister Jeschke, Landtagspräsident Ratz und Oberbürgermeister Gayk.

Am 5. November 1948 geben die britischen Besatzer ihren Zerstörungs- und Demontageplan für das Werftgelände am Kieler Ostufer bekannt. Dort im Ortsteil Gaarden-Ost haben zu Hochproduktionszeiten bis zu 60.000 Menschen gearbeitet, in der Vorkriegszeit waren es rund 30.000 Arbeiter. Die Pläne zur Zerstörung der Industrieanlagen und damit der Arbeitsplätze treiben die Kieler auf die Straße. Im Dezember 1948 kommt es zu massiven Protesten gegen die Demontagepläne der britischen Militärregierung. Auch der schleswig-holsteinische Landtagspräsident Karl Ratz (SPD), Kiels Oberbürgermeister Andreas Gayk (SPD) und Bürgermeister Dr. Peter Jeschke (CDU) schließen sich den Demonstrationszügen an.

Gayk verhandelt Änderungen am Demontageplan

Protestmarsch gegen die Sprengungen und die Demontage der Werften auf dem Kieler Rathausplatz am 7. Dezember 1948. © Stadtarchiv Kiel 76.005, CC-BY-SA 3.0 DE, http://fotoarchiv-stadtarchiv.kiel.de Foto: unbekannt
Tausende Kieler demonstrierten am 7. Dezember 1947 auf dem Rathausplatz gegen die Demontage der Werften.

Mit ihren Streiks und Protesten richtet sich der Großteil der Demonstranten nicht gegen die Demontage der Rüstungsindustrie. Vielmehr wollen sie erreichen, dass Industrieanlagen für eine Friedensindustrie und Arbeitsmöglichkeiten für die Bevölkerung erhalten bleiben. Oberbürgermeister Gayk hebt in den Verhandlungen stets hervor, dass eine Senkung der Arbeitslosigkeit und der Aufbau neuer Industrien für die Einwohner Kiels elementar und zudem wichtig für den Erhalt des sozialen Friedens wären. Zudem setzt er sich für den Erhalt von Gebäuden auf dem Gelände der Germaniawerft ein, die für die Stromerzeugung und Wasserversorgung wichtig sind.

Die Friedrich Krupp Germaniawerft in Kiel nach der Demontage 1949. Ansicht von der Wasserseite. © Stadtarchiv Kiel 90.084, CC-BY-SA 3.0 DE, http://fotoarchiv-stadtarchiv.kiel.de Foto: unbekannt
AUDIO: Oberbürgermeister Andreas Gayk zum Wiederaufbau der Stadt Kiel (11 Min)

Gayk schreibt Brief an Labour Party

In seiner Verzweiflung wendet sich der Sozialdemokrat Gayk in einem Brief an die Parlamentsfraktion der Labour Party im britischen Parlament. Darin legt er dar, in welcher Not sich die Stadt Kiel aufgrund der vielen Flüchtlinge und Vertriebenen befindet. Der Zerstörung der militärischen Anlagen stimme man "von Herzen zu". Doch man wolle endlich das ehemalige Werftgelände nutzen, um Betriebe anzusiedeln und Arbeitplätze zu schaffen, schreibt Gayk in dem Brief, von dem sich eine Abschrift im Stadtarchiv Kiel befindet.

Andreas Gayk (1893 - 1954)

Der gebürtige Kieler Andreas Gayk prägte nach dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich den Wiederaufbau seiner Heimatstadt. Der SPD-Politiker rief als Bürgermeister die Kieler dazu auf, freiwillig an Sonn- und Feiertagen die Trümmer zu räumen, so dass Kiel bald die bestaufgeräumte Stadt Deutschlands wurde. Gayk verhandelte unermüdlich mit den Briten über die Demontagepläne und sorgte für eine Umstrukturierung der Wirtschaft.

Außerdem bemühte Gayk sich um die Völkerverständigung: Er gründete die "Gesellschaft der Freunde Coventrys" zur Verbesserung der deutsch-britischen Beziehungen. Auf seine Initiative fand zudem ab 1949 die Kieler Woche wieder statt. 1954 erhielt Gayk das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland.

Demontagearbeiten bis Mai 1950

Ein Zug von Demonstranten mit einem Schild mit der Aufschrift "Sprengen zerstört Freundschaft" © Stadtarchiv Kiel 87.696, CC-BY-SA 3.0 DE, http://fotoarchiv-stadtarchiv.kiel.de Foto: Rudolf Schenck
Auf den Plakaten der Demonstrierenden ist zu lesen: "Sprengen zerstört Freundschaft" und "Unvernunft sprengt unsere Zukunft".

Nach Verhandlungen mit den Briten erreichen Gayk und seine Mitstreiter schließlich, dass 18 Gebäude aus dem Zerstörungsplan herausgenommen werden. Von laut Plan zu zerstörenden 3.700 Metern können außerdem 915 Meter Kaimauer gerettet werden.

Die Sprengungen an den Kieler Werftanlagen dauern bis zum 5. Mai 1950. Erst am 11. September des Jahres enden alle Demontage- und Entmilitarisierungsarbeiten. Schließlich wird das Ostufer am 20. September freigegeben. Damit können die Kieler beginnen, das Areal zur Schaffung neuer Arbeitsplätze zu nutzen.

Howaldtswerke dürfen Werftbetrieb fortführen

Ausgenommen von den Demontagen ist lediglich eine Kieler Werft: die Howaldtswerke. Bereits im Juni 1945 hat die britische Navy beschlossen, dass der Betrieb wiederaufgebaut und als Schiffswerft in Betrieb genommen werden darf. Zudem erwerben die Howaldtswerke einen Teil des Werftgeländes der Germaniawerft, das sie unter anderem als Lager- und Schrottplatz nutzen. Die Germaniawerft wird 1963 endgültig liquidiert. Weitere Betriebe siedelen sich auf dem ehemaligen Areal an.

Das U-Boot U17 wird im Kieler Hafen verladen. © Tobias Gellert Foto: Tobias Gellert
AUDIO: Kiel: U-Boot wird für Transport in Museum vorbereitet (1 Min)

Heute: Norwegenkai, Howaldtswerke und Kai-City Kiel

Heute befindet sich auf dem ehemaligen Standort der Hellinge, die 1949 gesprengt wurden, der Norwegenkai. In den 1990er-Jahren beginnt die Stadt Kiel, das nach der Schließung der Howaldtswerke brachliegende Gelände mit dem Projekt Kai-City Kiel wiederzubeleben. Zum neuen Quartier gehören der Germaniahafen, wo Traditionsschiffe und Gastsegler liegen, und die Hörnbrücke für Fußgänger und Radfahrer, die so in Richtung Stadtzentrum gelangen. Außerdem wird eine Halle von 1939, in der sich eine Werkstatt der Germaniawerft befunden hatte, unter dem Namen Halle400 als Veranstaltungszentrum genutzt.

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Dieses Thema im Programm:

NDR | 11.09.1952 | 00:00 Uhr

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