Global Player mit belasteter Vergangenheit
Als Global Player der Logistikbranche glänzt Kühne + Nagel zuverlässig mit hervorragenden Zahlen. Begonnen hat die Weltkarriere des Unternehmens vor 130 Jahren mit einem kleinen Fuhrgeschäft in Bremen. Am 1. Juli 1890 gründen August Kühne und Friedrich Nagel gemeinsam eine Spedition. Sie transportieren vor allem Baumwolle, Getreide, Holz, Futtermittel und Zucker. Als Nagel 1907 stirbt, übernimmt Kühne dessen Firmenanteile. Die Geschäfte laufen gut, und so kauft er 1909 ein großes neugotisches Wohn- und Geschäftshaus direkt an der Weser, die nach ihrem Vorbesitzer benannte "Von-Kapff'sche Burg".
1933: Jüdischer Teilhaber wird herausgedrängt
1910 steigt mit Adolf Maass ein neuer Teilhaber ein, der in Hamburg eine Niederlassung gründet. Doch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten beginnt ein dunkles Kapitel in der Unternehmensgeschichte. Im April 1933 drängen die Söhne des 1932 verstorbenen August Kühne, Alfred und Werner Kühne, den jüdisch-stämmigen Maass aus dem Unternehmen. Kurz darauf treten sie in die NSDAP ein und machen aus dem Unternehmen einen "nationalsozialistischen Musterbetrieb" - ein Titel, mit dem Firmen ausgezeichnet werden, die in besonderem Maße der NS-Ideologie hinsichtlich Arbeiterschaft, Arbeitsplatzgestaltung und Profitabilität entsprechen.
Maass hingegen wird 1944 in Auschwitz ermordet. Stolpersteine in der Hamburger Blumenstraße erinnern heute an ihn und seine ebenfalls in Auschwitz ermordete Frau.
Möbeltransporte für das NS-Regime
Ab 1942 ist das Unternehmen laut aktueller Recherchen des Bayerischen Rundfunks in großem Stil an der systematischen Enteignung und Beraubung der europäischen Juden beteiligt: Im Auftrag der Nationalsozialisten transportiert Kühne + Nagel jüdisches Eigentum aus besetzten Gebieten wie Holland, Frankreich, Luxemburg und Belgien ins Deutsche Reich - und macht sich so zum willigen Helfer des NS-Regimes. Bei der sogenannten Möbel- oder auch M-Aktion beschlagnahmen die Nazis Gegenstände aus rund 70.000 Wohnungen, in denen deportierte oder geflohene Juden wohnten - darunter Schränke, Geschirr und Kinderwagen.
Rund 30.000 Bahnwaggons sowie 500 Schiffsladungen mit Möbeln rollen den BR-Recherchen zufolge nach Deutschland. Dort wird das Eigentum teils versteigert, teils an Ausgebombte verteilt. Auch geraubte Kunstschätze befördert das Unternehmen - allein aus Paris sind es 29 Kunsttransporte.
30.000 Waggons geraubte jüdische Güter
Die Transporte seien ein lukratives Geschäft gewesen, so die BR-Recherchen. Denn Kühne + Nagel hat eine Art Monopolstellung: Die Ausführenden seien angewiesen gewesen, bevorzugt die Bremer Spedition mit den Transporten zu beauftragen. Dass die Geschäfte gut laufen, zeigen Unterlagen über Alfred Kühnes Einkommensentwicklung: 1942 erreicht er einen Spitzenverdienst von mehr als 270.000 Reichsmark - auf heutige Verhältnisse umgerechnet wäre er damit ein Einkommensmillionär.
Nachkriegszeit: Kühne + Nagel expandiert
Alfred und Werner Kühne seien "große Nazis" gewesen, sagen ehemalige Mitarbeiter laut der Entnazifizierungsakten über die Kühne-Brüder aus, die heute im Bremer Stadtarchiv liegen. Trotzdem führen die beiden das Unternehmen nach dem Zweiten Weltkrieg unbehelligt weiter - mit großem Erfolg. Alfred Kühne beginnt in den 50er-Jahren, das Geschäft zu internationalisieren, er gründet Niederlassungen in Kanada, Holland und Irak, sein Bruder Werner leitet ab 1951 eine Vertretung in Südafrika. Schon bald transportieren Container und Frachtflugzeuge für Kühne + Nagel Waren um die ganze Welt.
Enkel des Gründers übernimmt die Geschäfte
1966 übernimmt Alfred Kühnes Sohn Klaus-Michael, damals 29-jährig, die Geschäfte. Er verlegt den Firmensitz 1969 in die Schweiz. Bis heute hat das Unternehmen seinen Hauptsitz steuersparend in Schindellegi, einem 3.000-Einwohnerort am Zürichsee. Der Enkel des Firmengründers baut die globale Position des Unternehmens als Logistikkonzern aus und führt das Unternehmen im Verlauf der folgenden Jahrzehnte durch mehrere Krisen - etwa, als in den 80er-Jahren sein Vorhaben, eine eigene Reederei aufzubauen, scheitert.
"Einkaufstour" in Hamburg
Seit 1998 ist Klaus-Michael Kühne nicht mehr offiziell Geschäftsführer des Unternehmens, das 1994 an die Börse ging und seinen deutschen Hauptsitz in Hamburg hat. Mit 53,3 Prozent hält er aber die Mehrheit der Anteile - und ist auch sonst weiter im Geschäft aktiv. So kauft er sich 2008 bei Hapag-Lloyd ein und rettet damit zusammen mit anderen Investoren und der Stadt Hamburg die angeschlagene Reederei. 2014 tätigt der in Hamburg geborene Wahl-Schweizer mit dem Kauf des insolventen Hotels Interconti eine weitere wichtige Investition in Hamburg. Der 70er-Jahre-Bau wurde abgerissen, an gleicher Stelle entstand ein Luxushotel, das im März 2018 eröffnet wurde.
Kühne erwirbt Namensrechte am HSV-Stadion
Noch bekannter macht sich der "Hanseat aus der Schweiz" allerdings mit einem dritten prominenten Einkauf. Anfang 2015 kauft sich Kühne mit mehr als 18 Millionen Euro bei der HSV Fußball AG ein - schon seit Kindesbeinen ist der Unternehmer ein großer Fan des Hamburger Sportvereins. Für viele HSV-Fans noch wichtiger: Kühne erwirbt die Namensrechte am Stadion. Es trägt seit 1. Juli 2015 wieder seinen alten Namen Volksparkstadion. Egal, ob hinter der spektakulären Einkaufstour nostalgische oder kaufmännische Überlegungen stecken: Rein finanziell sollten die Investitionen für Klaus-Michael Kühne kaum ein Problem darstellen. Er gilt als mehrfacher Milliardär.
Unternehmen "bedauert Tätigkeit für Nazi-Regime"
Wirtschaftlich bleibt der Logistik-Konzern weiter auf Erfolgskurs. Es seien "konkrete Stärken wie Unternehmergeist, Innovationskraft, Effizienz, Lernfähigkeit und eine besondere Firmenkultur", die Kühne + Nagel so erfolgreich machten, erklärte der damalige Verwaltungsratspräsident Karl Gernandt zum Auftakt des Jubiläumsjahres 2015, als der Konzern seinen 125. Geburtstag feierte. Mit seiner belasteten Vergangenheit tat sich Kühne + Nagel zunächst schwer. Man bedaure sehr, "dass das Unternehmen seine Tätigkeit zum Teil im Auftrag des Nazi-Regimes ausgeübt hat", hieß es in einer Stellungnahme. Zu berücksichtigen seien aber die "seinerzeitigen Verhältnisse in der Diktatur" sowie "die Tatsache", dass das Unternehmen "die Kriegswirren unter Aufbietung aller Kräfte überstanden und die Existenz des Unternehmens gesichert" habe.
Unterdessen stellt sich das Unternehmen weiter für die Zukunft auf: Bis 2030 soll die gesamte Transportkette CO2-neutral sein. 100 Millionen Euro will der Logistiker dafür in zum Beispiel Aufforstung und Flottenumbau investieren.