Fächerübergreifende Vorbereitung auf den Krieg - und wer nicht spurt, spürt den Rohrstock: Lehrer Fehling (hinten links), ein Referendar und Grundschüler an der Jahnschule.
Hamburg, im Februar 1960: Ein wütender Vater schreibt einen Beschwerdebrief an die Schulbehörde: Wegen "geringfügigem Ungehorsam" sei seine Tochter Gabriele, Klasse 4b der Volksschule Christian-Förster-Straße, von ihrem Turnlehrer Rudolf Fehling körperlich misshandelt worden. Der 62-Jährige habe einen Tamburinstock "auf der Vorderseite des rechten Oberschenkels" zerschlagen, zudem "das Kind derart derb in die eine Backe gekniffen, daß diese Seite heute noch geschwollen ist". Auch sonst würde der Lehrer die Schüler regelmäßig mit Hanfseilen züchtigen. Lehrer Fehling verteidigt sich: Die Schüler seien ohne Erlaubnis an die Turngeräte gegangen. Außerdem sei der Stock des Tamburins "bereits sehr alt und brüchig" gewesen, auch "mit Leukoplast repariert". Schläge mit dem Seilen führe er höchstens bei "besonders widersätzlichen Jungen" durch. Er, Fehling, sei eben "ein lebhafter Mensch". Ein "lebhafter Mensch", der - wie Hunderte weitere Lehrer - trotz Nazi-Vergangenheit zu dieser Zeit wieder im Hamburger Schuldienst tätig - und wieder gewalttätig - ist.
Hamburg, 9. November 1938: Am Morgen nach der Reichspogromnacht erscheint Fehling, zu diesem Zeitpunkt Lehrer an der Jahnschule in Harvestehude, in verschmutzter NSDAP-Uniform und strahlender Laune zum Unterricht. Der muskulöse Mann mit den abstehenden Ohren prahlt vor den Kollegen damit, die Synagoge in der Straße Rutschbahn angezündet zu haben. "Und er brüstet sich auch noch mit seiner 'Heldentat'. Tut sich damit dicke, daß sie die Juden rudelweise aus den Häusern raus geprügelt haben, mitten in der Nacht! Und lacht sich halbtot darüber, dass einer von den Geprügelten 'Hilfe, Polizei' gerufen hat", erinnert sich ein Zeitzeuge.
Hitlers Ideologie im Schulalltag vehement vertreten
Interview
Vom Nazi-Schulrat bis zum sadistischen Sportlehrer: In seinem Buch "Täterprofile" porträtiert Hans-Peter de Lorent Menschen, die unterm Hakenkreuz das Hamburger Bildungswesen prägten.
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Die Geschichte des Gewalttäters und überzeugten Nationalsozialisten Fehling, der nach Kriegsende als Sportlehrer Kinder schlägt, ist eine von vielen, die der ehemalige Hamburger Lehrer und Oberschulrat Hans-Peter de Lorent in seinem neu erschienenen Buch "Täterprofile" erzählt. "Tausende Hamburger Lehrer waren mit den Nazis verstrickt", sagt de Lorent . "Wer beruflich erfolgreich sein wollte, machte mit." Mehr als 30 Jahre lang hat de Lorent in Archiven geforscht, um die Karrieren derer nachzuvollziehen, die unter dem Hakenkreuz das Hamburger Bildungswesen prägten. "Fehling war einer, der im Nazi-Regime zwar eine vergleichsweise geringe Funktion hatte. Aber er ist ein Beispiel für jemanden, der extrem von Hitler überzeugt war und dessen Ideologie im Schulalltag vehement vertrat", berichtet der 67-Jährige im Gespräch mit NDR.de.
Netzwerk aus Regimetreuen
Als die Nationalsozialisten an die Macht kommen, ändert sich das Hamburger Schulwesen grundlegend. Zuvor gilt die Hansestadt als Vorreiter der Reformpädagogik, die - im Unterschied zum vorherrschenden Frontalunterricht - eine Erziehung vom Kind aus vorsieht und auf zu diesem Zeitpunkt neuartige Konzepte wie Gruppenarbeit setzt. Damit ist 1933 weitgehend Schluss. Sämtliche reformpädagogischen Verbände werden verboten oder lösen sich selbst auf. Stattdessen geben die Nazis als Erziehungskonzept für die Jugend wieder Disziplin und Gehorsam vor - und spannen ein Netzwerk aus Regimetreuen über das Schulwesen.
Im Unterricht drillt der Leutnant die Schüler
"Unsere Jugend sei waffentüchtig und charakterfest", fordert der überzeugte Nationalsozialist und Lehrer Fehling.
Bereits kurz nach der Machtergreifung Hitlers tritt Fehling, der bereits im Ersten Weltkrieg freiwillig an der Front kämpfte, 1933 in die NSDAP ein. Wie viele andere ehemalige Soldaten sieht er offenbar "mit dem Nationalsozialismus die Zeit gekommen, die Schmach des verlorenen Ersten Weltkrieges zu tilgen", erläutert de Lorent. Fehling nimmt in seiner Freizeit regelmäßig an militärischen Lehrgängen teil. Er wird Leutnant der Reserve - und im Unterricht drillt er die Schüler. Wer nicht spurt, bekommt den Rohrstock zu spüren.
Schule ist für Fehling einzig dazu da, Kinder wehrtüchtig zu machen. "Unsere Jugend sei männlich hart, gehorsam, waffentüchtig und charakterfest", schreibt er in einem Aufsatz mit der Überschrift "Vormilitärische Erziehung der deutschen Jugend", der als Titelgeschichte in der "Hamburger Lehrerzeitung" abgedruckt wird.
Schule als Vorbereitung auf den Krieg
Fehling hat eine genaue Vorstellung davon, wie die fächerübergreifende Vorbereitung auf den Krieg aussehen soll: "Im Deutsch- und Geschichtsunterricht bietet die Auswahl des Stoffes genug Gelegenheit, von Helden- und Soldatentum zu sprechen. In der Erdkunde kann man geopolitische Fragen streifen, auf Kartenkunde und Wetterdienst eingehen, in der Mathematik Landmessung, in der Physik Flugbahnen, Fernsprecher, Radio behandeln, Kampfstoffe sind ein Thema für den Chemieunterricht. Ferner müssen in den staatspolitischen Unterricht Truppenkunde und Waffenkunde einbezogen werden."
Erziehungsarbeit als "Heranzüchten kerngesunder Körper"
Auf den Sportunterricht legen die Nazis besonderes Gewicht. So schreibt der von Fehling gern zitierte Hitler in "Mein Kampf": "Der völkische Staat hat seine gesamte Erziehungsarbeit in erster Linie nicht auf das Einpumpen bloßen Wissens einzustellen, sondern auf das Heranzüchten kerngesunder Körper. Erst in zweiter Linie kommt dann die Ausbildung der geistigen Fähigkeiten."
"Politische Leibesübung": Rudolf Fehlings Turnunterricht zur NS-Zeit.
Das Schulturnen wandelt sich zur politischen Leibesübung - und Fehling, der an seiner Schule vor allem als Turnwart eingesetzt wird, kommandiert die Kinder in seinen Sportstunden wie kleine Soldaten. "Der Starke hat immer recht" gibt er als Motto aus und appelliert an seine Lehrerkollegen: "Wir sollten endlich den liberalistischen Satz 'Wissen ist Macht' ausstreichen und dafür schreiben: 'Kanonen sind Macht".
Rückkehr in Schuldienst zunächst untersagt
Ende August 1939 wird der fanatische Fehling selbst an die Kanonen der Wehrmacht gerufen. Er nimmt am Tunesienfeldzug teil und wird 1942 zum Hauptmann und Ortskommandanten in Sousse befördert. Dort nehmen ihn die Amerikaner im Mai 1943 gefangen. Die kommenden knapp drei Jahre verbringt er in einem Kriegsgefangenenlager in Texas. Als er 1946 nach Hamburg zurückkehrt, soll er - wie alle Deutschen nach dem Krieg - im Entnazifizierungsverfahren seine Vergangenheit unter Hitler offen legen. Fehling behauptet, "kein Aktivist, kein Militarist und immer Demokrat" gewesen zu sein. Besonders in der Judenfrage habe er "innere Vorbehalte" gehabt, sagt der Synagogen-Anzünder von 1938. Doch die Mitglieder im Entnazifizierungs-Ausschuss haben seinen Artikel in der Lehrerzeitung gelesen und erlauben ihm zunächst keine Rückkehr in den Schuldienst.
Aus Synagogen-Anzünder wird ein "harmloser Wichtigtuer"
Fehling schlägt sich zunächst als Trümmerarbeiter und Bauhilfsarbeiter durch. Nachdem die Schulbehörde zwei Anträge auf Wiedereinstellung zurückweist, darf er - in einer Zeit großen Lehrermangels - ab April 1950 plötzlich doch wieder unterrichten. In einem Vermerk des damaligen Schulsenators Heinrich Landahl heißt es dazu: "Die Einstellung wurde zunächst abgelehnt, weil er sich als Nationalsozialist gebärdet hatte". Eine erneute Überprüfung habe aber ergeben, "daß er im Grunde ein harmloser Wichtigtuer gewesen ist". 1953 wird er verbeamtet.
Misshandlung von Schülerin nicht das Karriere-Ende
Nach dem Beschwerdebrief des Vaters über die Misshandlung der kleinen Gabriele muss sich der "harmlose Wichtigtuer" 1960 zwar einem Disziplinarverfahren stellen. Doch das Ende seiner Karriere bedeutet das nicht. Fehling erhält lediglich einen Verweis und wird für ein Jahr versetzt, bevor er wieder an die Volksschule Christian-Förster-Straße zurück darf und dort bis zu seiner Pensionierung 1962 bleibt. Deren Schulleiter, mit Fehling seit 35 Jahren bekannt, hatte sich bei der Schulbehörde stark für ihn eingesetzt und um eine "milde Beurteilung seines einmaligen Verfehlens" gebeten. Er sieht eher den Vater des Mädchens in der Verantwortung, der "eine durchaus negative Einstellung zu unserer Schule" zeige. Bei Fehling verberge sich "unter einer rauen Schale ein guter Kern".
Das Netzwerk der Nazi-Lehrer - Mehr Biografien aus dem Buch "Täterprofile"
Auf Veranlassung Henzes wurden viele Swing-Jugendliche in Konzentrationslager eingeliefert.
Albert Henze tritt 1932 in die NSDAP ein und wird 1933 zunächst als Assessor im Schuldienst eingestellt. In der Gauführerschule in Hamburg-Eilbeck gibt er ideologische Schulungen zu Themen wie "Volk und Rasse", "Kernfragen des Nationalsozialismus" und "Bekämpfung der Gegner". 1939 steigt er in den Führerkorps der NSDAP auf. Zu verdanken hat er dies wohl seiner guten Beziehung zum Hamburger Reichsstatthalter und Gauleiter Karl Kaufmann. Ein besonderer Dorn im Auge sind Henze die Swing-Jugendlichen, die sich als Gegenbewegung zur Hitler-Jugend Verstehen, lange Haare tragen und Jazz hören. Auf seine Veranlassung hin werden viele von ihnen verhaftet und in Konzentrationslager eingeliefert. 1941 wird Henze Oberschulrat, hat auf Tagungen Kontakt zu ranghohen Nazis wie Joseph Goebbels und Albert Speer.
Nach dem Krieg wird er zunächst für drei Jahre interniert, später in einem Prozess zu einer Geldstrafe verurteilt - die aber wegen der Haft als verbüßt gilt. Henze verlässt mit seiner Familie Hamburg - und kann dank alter Seilschaften in Lübeck neu anfangen. Einer seiner ehemaligen NSDAP-Mitarbeiter im Reichsschulungsamt hilft ihm bei der Rückkehr in den Schuldienst. Ab 1952 arbeitet er Henze an der Oberschule am Dom - weit über die Pensionsgrenze hinaus.
"Eine verdienstvolle Lehrerpersönlichkeit": So lobt eine Zeitung in den 1960ern Ex- SS-Hauptsturmführer Behn.
Parallel zu seiner Arbeit als Lehrer an der Jahnschule macht der 1933 in die NSDAP eingetretene Walter Behn in der SS Karriere. Zu Kriegsbeginn wird er von der allgemeinen zur Waffen-SS eingezogen. Seine Einheit gehört zum Verband der SS-Division "Totenkopf", die ursprünglich aus Wachmannschaften der Konzentrationslager gebildet worden war. Für seine Teilnahme am Russlandfeldzug erhält er mehrere Medaillen und wird zum SS-Hauptsturmführer befördert. Behn wird Kommandeur der Nachrichtenabteilung der "1. SS-Infanterie Brigade". Erst 1967 wird bekannt, wofür deren Mitglieder verantwortlich sind: Sie haben mehrere Tausend "Partisanen, Juden, Banditen, Bolschewisten" und die Einwohner mit Kindern ganzer Ortschaften ermordet.
Behn behauptet nach dem Krieg, selbst nie jemanden getötet zu haben. Dennoch taucht er 1945 zunächst ab und flüchtet unter falscher Identität nach Niedersachsen. Ein Entnazifizierungs-Ausschuss ist 1949 zwar der Ansicht, dass Behn "den Nationalsozialismus erheblich unterstützt" habe, genehmigt ihm jedoch eine Lehrertätigkeit. Übergangsweise arbeitet Behn als Schädlingsbekämpfer, ab 1951 im niedersächsischen Schuldienst. 1957 wird er Konrektor an der Mittelschule Visselhövede und ab 1959 Rektor der Mittelschule in Verden. Später wird er zudem ehrenamtlicher Leiter der dortigen Volkshochschule und Jugendschöffe am Amtsgericht Buxtehude.
Gleichzeitig hält er Kontakt zu den ehemaligen Kameraden bei der Waffen-SS: Er gehört der 1949 von ehemaligen Mitgliedern gegründeten "Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit" (HIAG) an, die zeitweise vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft wird.
Der spätere Publizist Giordano, Sohn einer jüdischen Mutter, will sich als Schüler wegen des antisemitischen Lehrers Werner Fuss umbringen.
"Wir nannten ihn 'Speckrolle'", berichtet der mittlerweile verstorbene Autor Ralph Giordano über einen Lehrer, der ihm zu Jugendzeiten auf dem Gymnasium Johanneum das Leben zur Hölle macht. Der verhasste Mann mit dem Stiernacken, den Giordano später in seinem Roman "Die Bertinis" porträtiert, heißt in Wirklichkeit Werner Fuss. Bei Kollegen und Schülern gilt er als der aktivste Anhänger Hitlers. Neben Latein, Deutsch und Griechisch lehrt und lebt der SA-Truppführer den von den Nazis propagierten Rassenhass. Als Sohn einer deutschen Jüdin und eines Vaters mit sizilianischen Wurzeln entspricht Giordano so gar nicht Fuss' Bild des germanischen Herrenmenschen. Entsprechend erniedrigt er ihn systematisch, indem er zum Beispiel wider besseres Wissen behauptet, Giordano würde von Klassenkameraden abschreiben. Für fehlerfreie Klassenarbeiten gibt er ihm schlechte Zensuren. Mit 15 Jahren hält Giordano die Erniedrigungen nicht mehr aus. In seiner Verzweiflung läuft er Ende November aus der Schule, rennt in den Stadtpark und legt sich dort in einen Graben, um zu sterben. Drei Tage harrt er dort aus, dann wird ihm plötzlich klar, dass nicht er und seine Mutter die Bösen im System sind - "sondern die anderen". 1940 muss Giordano das Johanneum vor dem Abitur verlassen, den Rest des Krieges überlebt er in einem Kellerloch-Versteck.
Nach dem Krieg besucht Giordano den alten Lehrer Fuss - und hält ihm nach eigenen Angaben eine entsicherte Pistole an den Kopf. Einzig der Blick seines Bruders, der mit ihm gekommen ist, habe ihn davon abgehalten, abzudrücken, sagt Giordano später. Im Entnazifizierungsverfahren bestreitet Fuss die Vorwürfe. 1948 wird er im Alter von 63 Jahren mit der Pension eines Studienrates in den Ruhestand versetzt.
NS-Oberschulrat Mansfeld ist für die Zerschlagung jüdischer Schulen verantwortlich.
Der Hamburger Albert Mansfeld wird schon 1928 Mitglied der NSDAP und vertritt die Nazis schon früh in schulpolitischen Debatten. Kurz nach der Machtergreifung 1933 setzen ihn die Nazis als Schulleiter ein. Ein halbes Jahr später wird er Schulrat, wenige Monate darauf sogar Oberschulrat für das Volksschulwesen. Er ist einer der führenden Köpfe im Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB), dem fast alle Hamburger Lehrer angehören. Mansfelds Aufgabe ist es, die Pädagogen ideologisch zu schulen. In einem Schreiben drängt er die Erzieher, in die NSDAP einzutreten. Viele verstehen den Brief als Drohung an alle, die nicht folgen - und werden Mitglied. Mansfeld lässt die Lehrer Ahnentafeln erstellen, mittels derer sie ihre arische Herkunft nachweisen sollen. Er lässt jüdische Kinder aus den Klassen aussortieren und zeichnet für die Zerschlagung jüdischer Schulen verantwortlich. Von 1940 bis 1945 geht er freiwillig an die Front.
Anders als viele Kollegen stellt der nach dem Krieg aus dem Schuldienst entlassene Mansfeld zunächst keinen Antrag auf Wiedereinstellung. Stattdessen arbeitet er als Maurer. Als der fünffache Vater arbeitsunfähig wird, versucht er es doch. 1952 wird Mansfeld an der Schule Christian-Förster-Straße eingestellt und arbeitet dort bis zu seiner Pensionierung 1964. Sein Antrag, das Ruhegehalt eines Oberschulrates zu erhalten, lehnen die zuständigen Stellen aber ab.
Sophie Barrelet macht als eine von wenigen Frauen unter den Nazis Karriere.
Sophie Barrelet ist eine der wenigen Frauen im Hamburger Schuldienst, die unter Hitler Karriere machen. 1933 tritt die Gründerin des Ruderinnen-Clubs in die NSDAP ein und wird gleich Leiterin der Abteilung für weibliche Erziehung. Ihre Schwester Adelheit leitet die Gaufachgruppe der Kindergärtnerinnen. Sophie Barrelet kümmert sich begeistert um die Sporterziehung. "Die Leibesübungen formen Leib und Seele als Träger des Rassenerbes", schreibt sie in einem Artikel über "politische Leibeserziehung". Sportliche Herausforderungen stählten den Willen des Kindes. "Das deutsche Mädchen muß früh lernen, tapfer durchzuhalten, Entbehrungen zu ertragen." Barrelet wechselt 1936 an die Hochschule für Lehrerbildung und wird 1940 "im Namen des Führers" zur Professorin ernannt. Sie wird stellvertretende Leiterin der Lehrerinnenbildungsanstalt und ist bis Kriegsende Referentin in der Schulverwaltung.
Danach wird sie ihrer Ämter enthoben. Im Entnazifizierungs-Verfahren bestreitet sie, von dem Regime profitiert zu haben, vielmehr habe sie die Politik kritisiert. Als Rechtsanwalt vertritt sie ihr Neffe, der spätere HSV-Präsident Horst Barrelet. Dennoch lehnt der Ausschuss mehrere Anträge auf Wiedereinstellung ab. Vergleichsweise spät wird sie 1954 mit 61 Jahren an der Wissenschaftlichen Oberschule im Alstertal eingestellt - Schulleiter ist ein Ex-Kollege Barrelets.
"Wenn wir mit den Juden fertig sind, bist du und deinesgleichen dran": So wurde Hans Massaquoi als Kind bedroht.
In seiner Autobiografie "Neger, Neger, Schornsteinfeger!" beschreibt der mittlerweile verstorbene Hans Jürgen Massaquoi sein Leben als Sohn einer deutschen Mutter und eines liberianischen Konsuls im Hamburg des Nationalsozialismus. Für den kleinen Hans Jürgen wird die Schulzeit zur Qual, einer seiner schlimmsten Peiniger ist Martin Duttge. Dieser unterrichtet in NS-Uniform Volkskunde und ermahnt ihn immer wieder, das "negerhafte Grinsen" zu unterlassen. In seiner Autobiografie beschreibt Massaquoi, wie der Lehrer ihn eines Tages zur Seite nimmt und ihn bedroht: "Dir wird das Lachen noch vergehen. Wenn wir mit den Juden fertig sind, bist du und deinesgleichen nämlich als nächstes dran." Auch Duttge ist ein Emporkömmling, der nach seinem Eintritt in die NSDAP im Mai 1933 als stellvertretender Schulleiter in der Schule am Käthnerkamp angestellt wird und übernimmt im NSLB das Amt des Ortsgruppenleiters. In einem Schreiben an die Machthaber denunziert er die Hälfte seiner Kollegen als marxistisch oder opportunistisch.
Nach Kriegsende gibt Duttge an, er sei "lediglich aus Sicherheitsgründen zur Abwehr politischer Intrigen" in die NSDAP eingetreten, dies habe "nichts mit einer etwaigen Billigung oder beabsichtigten Förderung des Nationalsozialismus zu tun" gehabt. Ab 1949 wird er in Hamburg zunächst als Angestellter wieder im Schuldienst übernommen, nach 1950 wieder Beamter. Hans Jürgen Massaquoi verlässt Deutschland und lebt bis zu seinem Tod in Amerika.
"Diesen roten Saustall werde ich schon ausmisten", so Erwin Zindler über die Lichtwarkschule.
1933 tritt der Studienrat und Ex-Weltkriegs-Offizier Erwin Zindler in die NSDAP ein. Schon 1934 wird er als Leiter an der reformpädagogischen Lichtwarkschule in Winterhude eingesetzt, die bei Systemtreuen den Ruf hat "kommunistisch und eine Judenschule" zu sein. Zindler unterrichtet unter anderem Hannelore "Loki" Schmidt. In ihren Erinnerungen schildert diese, wie sie als Jugendliche Zindler schreien hörte: "Diesen roten Saustall werde ich schon ausmisten." Zindler lässt einen großen Teil des Kollegiums austauschen. Ein Ex-Schüler beschreibt den Wandel der Schule so: "Ein Beauftragter der Nazis hatte das Kommando übernommen, der mit seinem Feldwebelgebrüll und seinem ewigen Gepfeife in kurzer Zeit die Schule in eine Kaserne verwandelte." Offenbar zeigt Zindler gegenüber seinen Schülern aber auch positive Seiten. So berichtet "Loki", Zindler habe sie unterstützt. Als die Fürsorgebehörde ihr Stipendium streichen will, setzt sich Schulleiter Zindler erfolgreich für das Mädchen ein. Sie solle aber ihre Frisur ändern, weil sie aussehe "wie ein Chinese" und in den Bund Deutscher Mädel eintreten. 1937 wird die Lichtwarkschule geschlossen. Zindler geht zur Wehrmacht. Nach seiner Rückkehr wird er 1942 Direktor des Johanneums und befehligt zum Kriegsende hin drei Volkssturmbataillone. Die Waffen lagert er im Schulkeller.
Nach 1945 versucht auch Zindler, sich vor dem Entnazifizierungsausschuss reinzuwaschen, zunächst vergeblich. Ab 1954 darf er wegen Lehrermangels wieder an einer Oberschule in St. Georg unterrichten. Schüler beschreiben ihn als kenntnisreich und anspruchsvoll - doch "immer noch von dem Gedanken des Nationalsozialismus bestimmt."
Dieses Thema im Programm:
NDR Kultur - Das Journal |
21.03.2016 | 22:45 Uhr
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