Stand: 08.04.2011 10:12 Uhr

Die Legende vom "guten Gauleiter"

Adolf Hitler bei einem Besuch in Hamburg, zusammen mit Reichsstatthalter Karl Kaufmann (rechts) © NDR/ Staatsarchiv Hamburg
Der "Führer" und sein Reichsstatthalter: Adolf Hitler (links) kam häufig nach Hamburg, auf diesem Bild begleitet ihn Karl Kaufmann (rechts).

Hamburg war im "Dritten Reich" eine der "Führerstädte". Der wichtigste Mann der Nationalsozialisten in der Stadt hieß Karl Kaufmann. Der gebürtige Krefelder war ab 1929 Gauleiter und von 1933 bis 1945 Reichsstatthalter, also der Vertreter Hitlers in der Hansestadt. Unter vielen Hamburgern genoss Kaufmann eine gewisse Beliebtheit. Noch lange nach Kriegsende nannten seine Anhänger ihn liebevoll "unser Kuddel". Der Legende nach bewahrte Kaufmann Hamburg vor weiterer Zerstörung, indem er die Stadt im Mai 1945 kampflos an die Alliierten übergab. Über die Rolle Kaufmanns sprach NDR.de mit dem Historiker Frank Bajohr von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg.

Wie stark prägte Karl Kaufmann die Geschicke der Stadt Hamburg ab 1933?

Hamburgs NSDAP-Gauleiter Karl Kaufmann bei einer Rede © dpa/ Picture-Alliance
Kaufmann hatte zwölf Jahre lang das Sagen in Hamburg, selbst die Landesregierung war nur eine Marionette.

Frank Bajohr: Als NSDAP-Gauleiter, Reichsstatthalter, Chef der Hamburger Staats- und Gemeindeverwaltung sowie als Reichsverteidigungskommissar im Wehrkreis X vereinigte Kaufmann alle wesentlichen Ämter in Hamburg nach 1933 in seiner Person. Er kann geradezu als Hamburgs "Führer" bezeichnet werden. An ihm vorbei konnten keine zentralen Entscheidungen getroffen werden.

Welche Verbrechen des Nationalsozialismus in Hamburg hat Kaufmann zu verantworten?

Bajohr: Besonders unrühmlich hat sich Kaufmann bei der Deportation der Juden hervorgetan. Im September 1941 wandte er sich nach einem schweren Luftangriff persönlich an Hitler, um die noch in Hamburg lebenden Juden abtransportieren zu lassen. Auf diese Weise sollte Wohnraum für ausgebombte "Volksgenossen" freigemacht werden. Kaufmanns Initiative hat dann nicht nur den Anstoß zur Deportation der Juden aus Hamburg , sondern aus dem Deutschen Reich insgesamt gegeben.

Ist es allein Kaufmann zu verdanken, dass Hamburg im Mai 1945 an die Alliierten übergeben wurde?

Bei einem Festzug zur KdF-Reichstagung in Hamburg am 23.Juli 1939 sitzt der Gauleiter von Hamburg, Karl Kaufmann (rechts, helle Uniform), hinter Hermann Göring © dpa/ Picture-Alliance
Bei einem Festzug der Nazis in Hamburg im Sommer 1939 sitzt Kaufmann (ganz rechts) hinter Nazi-Größe Hermann Göring.

Bajohr: Nein! Im April/Mai 1945 gab es in Hamburg nahezu niemanden, der an einem sinnlosen Endkampf und damit der vollständigen Zerstörung der Stadt irgendein Interesse hatte. Kaufmann hat dies in seiner abschließenden Ansprache am 2. Mai 1945 insofern verschleiert, als er die Übergabe Hamburg zu einem persönlichen Entschluss stilisierte. Damit wollte er sich einen guten Abgang verschaffen.

Warum wurde Kaufmann nach dem Krieg nie verurteilt?

Bajohr: Bei einer Autofahrt zum Nürnberger Militärgerichtshof, wo er in den Nürnberger Prozessen als Zeuge aussagen sollte, wurde Kaufmann gravierend verletzt. Dies hat dazu geführt, dass er nach seiner Entlassung aus dem Internierungslager 1949 wegen angeblicher Verhandlungsunfähigkeit nie vor Gericht gestellt wurde. Sein Verteidiger bezeichnete ihn als "todkranken Mann". Nach zwanzigjährigem Todeskampf ist er dann 1969 gestorben.

Warum war er bei vielen Hamburgern so beliebt - weit über das Kriegsende hinaus?

Bajohr: Kaufmann liebte die öffentliche, populistische Selbstinszenierung. So hat er beispielsweise eine Fahrpreissenkung bei der Hamburger Hochbahn persönlich angeordnet oder die Arbeitsbedingungen für die Hamburger Sielarbeiter deutlich verbessert. Damit wollte er seine Volkstümlichkeit unter Beweis stellen. Mit solider Sozialpolitik hatten solche Initiativen aber nichts zu tun.

War Kaufmann ein "guter Nazi"?

Bajohr: Nach 1945 entwickelte sich die Legende vom "guten Gauleiter", die vor allem an die kampflose Übergabe Hamburgs im Mai 1945 anknüpfte. Darüber hinaus wurde Hamburg zur liberalen Insel im Meer der braunen Barbarei stilisiert. Mit historischer Realität hatten solche Legenden nichts zu tun, eher schon mit dem Bedürfnis vieler Hamburger nach Selbstentlastung. Wenn der Gauleiter ein "Guter" gewesen war, konnte es ja kein Verbrechen gewesen sein, ihm treu gedient zu haben.

Das Gespräch führte Marc-Oliver Rehrmann, NDR.de.

Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 03.05.2010 | 19:30 Uhr

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