Nach 1989: Neue Chancen auf der anderen Seite
Anke Witte erinnert sich gerne an den Wende-Herbst 1989 zurück. Plötzlich geriet in der DDR alles in Bewegung - für die junge Frau taten sich ganz neue Möglichkeiten auf. "Plötzlich war die Mauer auf. Wir sind ja auch zu diesen Montags-Demos gegangen. Das war toll", erzählt sie. "Und mir kommen heute noch die Tränen, wenn ich daran denke. Das war einfach großartig." Heute arbeitet Anke Witte als Chirurgin in Lüneburg. Ihr Wunschtraum, Medizin zu studieren, hat sich erfüllt.
Auf Umwegen zum Traumberuf
1981, direkt nach dem Abitur in der DDR im mecklenburgischen Gadebusch, schien dieses Ziel unerreichbar. Trotz guter Noten wurde Anke Witte nicht zum Studium zugelassen. Möglicherweise hatte die Entscheidung damit zu tun, dass die junge Frau damals aus der FDJ - der Freien Deutschen Jugend - ausgetreten war und als Mitglied der christlichen Jungen Gemeinde die passende gesellschaftliche Einstellung vermissen ließ.
Statt zu studieren arbeitete Anke Witte zunächst als Stationshilfe, putzte die medizinischen Instrumente und wischte die Krankenhausflure. Erst die Ausbildung zur Krankenschwester an einem evangelischen Krankenhaus in Ludwiglust eröffnete ihr neue Chancen: "Es gab Vereinbarungen zwischen Kirche und Staat, dass kirchliche Mitarbeiter zum Studium zugelassen werden können", sagt Anke Witte. 1989 durfte sie tatsächlich mit dem Medizinstudium beginnen. Und auch die Wende war spürbar: "Es war ja viel offener plötzlich: Marxismus-Leninismus brauchten wir nicht mehr. Keine politische Ökonomie, keinen wissenschaftlichen Kommunismus. Das war toll. Man war viel freier."
Von Hamburg ins frühere Grenzgebiet
Im Westen, in Hamburg, hatte es Siegrun Hogelücht einfacher - sie studierte Medizin, ihr Freund Holger Soziologie. Nach der Promotion und der Hochzeit machten sich beide auf die die Suche nach einem günstigen Haus, nicht zu weit weg von der Großstadt. Die Suche führte sie ins Amt Neuhaus. Die naturbelassene Elblandschaft südöstlich von Hamburg gefiel beiden auf Anhieb - vor allem ein altes Reetdachhaus im Dorf Rosien: "Wir haben die ganze Ecke abgeklappert. Dann haben wir gesehen, dass wir in der ehemaligen DDR sind", erinnert sich Siegrun Hogelücht.
Das junge Paar war schon bald in der Touristeninformation tätig, schloss viele Bekanntschaften und Freundschaften. "Es hat sicherlich mal Szenen gegeben, wo man gesagt hat: 'Ihr seid sowieso Wessis und aus der Stadt. Ihr habt keine Ahnung, wie das hier läuft.' Haben wir hier und da zu hören gekriegt. Aber nicht besonders häufig", sagt Holger Hogelücht. In einer Region - ob nun Osten oder Westen - richtig anzukommen, das sei ohne eigene Offenheit und eine gewisse Neugier wohl kaum möglich, meint er. "Wir sind angenommen worden. Ich gehe auf alle Leute erst mal zu. Hab sicherlich auch Diskussionen in bestimmten Themen. Hat aber nichts mit Ost und West zu tun. Sicher hört man manchmal auch: 'Na ja, ihr seid anders aufgewachsen. Aber ist nicht böse gemeint'“, ist sich Holger Hogelücht sicher.
Deutsch-deutsches Kennenlernen
Von der Uni in Rostock führte Anke Wittes Weg schließlich nach Hamburg-Bergedorf und an eine Klinik in Reinbek. Der Leitspruch des dortigen Chefarztes, der aus der DDR geflüchtet war, lautete: "Es ist mir egal, ob die aus dem Osten oder aus dem Westen sind. Ob Frauen oder Männer. Wenn die anfangen, können die alle nix." Die Zusammenarbeit mit den Kollegen klappte gut, so Anke Witt. Aber: "Es kamen dann auch schon mal so Sprüche: Das ist ja unglaublich. wie gut ich Deutsch sprechen kann. Wo ich doch aus dem Osten komme. Wir hätten alle Sächsisch reden müssen." Anke Witte ist in Hamburg geblieben, lernte dort auch ihren Mann kennen. Ost oder West, das spielt für sie heute keine Rolle mehr: "Wir haben einen ganz großen Freundeskreis überall in der Bundesrepublik. Für mich gibt’s da keinen Unterschied."