Innerdeutsche Grenze: Die Fischer vom Dassower See
Das Wasser war Westen, das Ufer Osten - egal in welche Himmelsrichtung man schaute. Diese ganz besondere Situation gab es während der deutschen Teilung auf dem Dassower See bei Lübeck. Die Trave-Bucht war eine westdeutsche Exklave - umgeben vom Hoheitsgebiet der DDR. Und sie war der Arbeitsplatz von Heinrich Baade. Der Fischer aus Schlutup war regelmäßig auf dem Dassower See unterwegs, immer auf der Hut vor den DDR-Patrouillen. Mit seinem Boot musste Heinrich Baade immer einen Abstand von zehn Metern bis zum Ufer einhalten: "Wir haben ja immer mit einem Zugnetz vom tiefen ins flache Wasser gezogen. Da hatten wir dann in den ersten Jahren immer mal Malesche mit den Grenzsoldaten, weil wir der sogenannten DDR viel zu nahe gekommen sind," erinnert sich der 80-Jährige. "Manchmal haben sie uns mitgenommen und es gab lange Verhöre. Zuletzt wurdest du dann freigelassen. Aber das war immer eine unangenehme Sache."
Der Fall der Mauer ändert alles
Auch fast vor seiner Haustür in Schlutup verlief die innerdeutsche Grenze. Als am 9. November 1989 der Grenzübergang geöffnet wurde, war Heinrich Baade dabei: "An dem Abend bin ich da hingegangen. Die Leute liefen ja schon rüber. Ich bin aber nicht rübergegangen." Massen strömten aus Mecklenburg-Vorpommern nach Lübeck - viele kamen zu Fuß, die Trabbis verstopften die Straßen. Unter den DDR-Bürgern war auch Detlef Jürß aus dem benachbarten Dassow. Auch er arbeitete damals als Fischer. Auf dem See vor seiner Haustür durfte er aber nie fischen – bis zum November 1989: "Mit meinem Kollegen hab ich damals auf der Stepenitz gefischt. Und dann kam seine Frau und sagte, ab morgen dürft ihr wieder auf dem Dassower See fischen. Das war der schönste Tag in meinem Leben."
Westfischer im Osten: "Es war paradox"
Noch heute mit 70 Jahren zieht Detlef Jürß Butt und Dorsch aus dem See. Jahrzehntelang aber versperrte dem Fischer eine Mauer die Zufahrt vom Fluss Stepenitz auf den Dassower See: "Oben auf der Brücke war die Seite zum See hin mit Aluplatten restlos dichtgemacht. Und im Fluss war so etwas wie ein Wehr." Für ihn war es eine schwere Zeit, wenn die Westfischer auf "seinem See" waren, erzählt Detlef Jürß. "Wir konnten die Kollegen aus Schlutup hier fischen sehen. Aber wir waren da hinter dem Zaun. Wir haben gegrüßt und die haben auch die Hand hochgehalten, es war aber paradox."
Gemeinsames Fischen nach der Wende
Immer wieder umgingen die ostdeutschen Fischer aber die Verbote und trafen die westdeutschen Kollegen auf dem Wasser. Allerdings hielten sie immer einen Anstandsabstand zu den Kuttern, sagt Heinrich Baade. "Dazu wurden die viel zu doll beobachtet. So war es unverfänglich. Wir konnten die ja nicht in Schwierigkeiten bringen." Eine Vorsichtsmaßnahme, die nach der Wende nicht mehr nötig war. Heinrich Baade besuchte mit seiner Familie die Jürß in Dassow - der Beginn einer Freundschaft unter den Fischerfamilien. "Wir sind dann gleich im anschließenden März fischen gegangen", erzählt Heinrich Baade und lacht. "Wir haben so viel Hering gefangen, dass das Boot das kaum noch tragen konnte. Da sprechen wir heute noch drüber: 'Weiß du noch, du warst fast mit dem Hintern im Wasser gewesen...!'"
30 Jahre nach der Wende freut sich Detlef Jürs immer noch über die zurückgewonnene Freiheit auf dem Dassower See: "Was meinem Vater verwehrt war, durfte ich wieder tun. Und diesen Tag bereue ich nie in meinem Leben.