Hexen-Prozesse: Ein Verfahren zur Unterwerfung von Frauen
Norddeutschland war - mit Ausnahme Mecklenburgs - keine Region besonders energischer Hexenverfolgung. Doch auch dort standen vor allem Frauen wegen des Vorwurfs mit dem Teufel zu paktieren vor Gericht.
Als Hexen gelten im Mittelalter und der Frühen Neuzeit gemeinhin Personen, die angeblich mit Schadzauber und magischen Praktiken Unheil wie Missernten und Unwetter anrichten. Weitere Vorwürfe: Sie begehen Unzucht, verhexen das Vieh und verspeisen kleine Kinder. Dieser Glaube zieht sich global durch alle Kulturkreise und Zeiten. In der Mehrzahl sind mit dem Begriff der Hexe Frauen gemeint, deren Charakter in der Hochphase der Hexenverfolgung als durch und durch böse beschrieben wird. Vermeintliche Hexen werden daraufhin beschuldigt, vor Gericht gestellt und verurteilt. Viele erleben Im Zuge der Anklage brutale Folter, bis sie elendig auf dem Scheiterhaufen sterben.
Zu selbstbewusst für die mittelalterliche Gesellschaft?
Dabei verbirgt sich hinter der angeblichen Magie oftmals umfangreiches Wissen aus der natürlichen Medizin (Pflanzenheilkunde). Die Frauen helfen der Gesellschaft als Heilerinnen und Hebammen. Damit entsprechen sie allerdings nicht der damals herrschenden Norm, da sie häufig unabhängig und selbstbestimmt leben.
Katholische Kirche ruft früh zur Hexenjagd auf
Mit dem Erstarken der christlichen Religionen im 4. Jahrhundert nach Christus steht schon auf den Versuch der Zauberei (Hexerei) die Todesstrafe. Sowohl die katholische als auch die protestantische Kirche verfolgen angebliche Hexen gleichermaßen, aber auch die weltliche Gerichtsbarkeit foltert und tötet Frauen unter dieser Anklage. Im 13. Jahrhundert verschärft sich die Situation für vermeintliche Hexen weiter als der Kirchentheoretiker Thomas von Aquin annimmt, dass Hexentaten in enger Verbindung mit dem Teufel stehen. In seinem Gefolge blasen kirchliche Gelehrte ins gleiche Horn: Sie sehen den Teufel als Feind Gottes an. Die katholische Kirche sieht sich zum Handeln gegen Hexensekten und Verbrechen gezwungen.
"Hexenbulle" - Rechtfertigung von Hexenverfolgungen
Auf das "Konzil von Basel" folgt 1484 der "Hexenbulle" des Dominikaners Heinrich Kramer. Mit dieser Urkunde legitimiert der damalige Papst Innozenz VIII. zum ersten Mal Hexenverfolgungen. Als Inquisitor darf Kramer kirchliche Gerichtsverfahren gegen Andersgläubige wie Ketzer, Gotteslästerer oder eben angebliche Hexen durchführen. Ab 1478 tritt er in den Diözesen Konstanz und Ravensburg als gefürchteter Hexenverfolger auf, der zahlreiche Prozesse und Hinrichtungen initiiert und überwacht. Kurz nach der Veröffentlichung von Kramers Abhandlung nimmt auch die Bevölkerung den Glauben an Hexensekten an. In der Folge nehmen Denunziationen von Hexerei zu.
"Hexenhammer" als Grundlage für legale Verfolgung
Allerdings wehren sich Angeklagte wie zum Beispiel Helena Scheuberin. Die wohlhabende und angesehene Innsbrucker Bürgerin nimmt sich einen Anwalt, der den Inquisitor Kramer wegen unrechtmäßigen Verhaltens verklagt. In den meisten Fällen jedoch sind Frauen im Gerichtswesen der damaligen Zeit eher benachteiligt. Bei Verstößen gegen die Sittlichkeit werden Frauen sogar schwerer als Männer bestraft. Kramer leitet eine rechtmäßige Verfolgung von Hexen in die Wege, nachdem er den Prozess gegen sich verloren hat. Ein Jahr lang schreibt er an seinem 700-Seiten-Werk "Hexenhammer", auf Lateinisch "Malleus maleficarum". Es ist eine folgenschwere Anleitung zur Jagd auf Hexen. Das Fatale an dem Machwerk ist die bewusste Fälschung historischer Tatsachen und eine extreme Frauenfeindlichkeit. Bereits im Buchtitel wird die geschlechtsspezifische Zuspitzung des neuen Hexenbildes auf Frauen sichtbar - der "Malleus maleficarum" fixiert das Hexerei-Delikt klar auf die weibliche Form und damit auf das weibliche Geschlecht. Durch die Dämonisierung weiblicher Sexualität wird Hexenverfolgung zum Geschlechterkampf - und Instrument der Unterwerfung.
"Beeindruckendes Dokument männlicher Sexualängste"
Der "Hexenhammer" beschreibt die genauen Anweisungen der Prozessführung. Wegen juristischer Irrtümer, Willkür und dem Einsatz von Folter haben Angeklagte das Nachsehen. Die unrechtmäßigen Hinrichtungen kommen einem geduldeten Justizmord gleich. "Der 'Hexenhammer' ist ein beeindruckendes Dokument männlicher Sexualängste ebenso wie eine Anleitung zur (Wieder-)Herstellung männlicher Vormacht im Himmel und auf Erden mithilfe von Hexenverfolgung und -verurteilung", beschreibt Claudia Opitz-Belakhal, Professorin für Geschichte, das Handbuch.
Hungersnöte und Kältewellen schüren Hexenangst
Hinter dem scheinbar abergläubischen Hexenwahn offenbaren sich verschiedene Machtinteressen: soziale Konflikte und gesellschaftliche Auseinandersetzungen, die durch klimatisch bedingte Katastrophen sowie religiöse und politische Veränderungen unter massivem Druck stehen. Nachdem Anfang des 16. Jahrhunderts die Verfolgungen abnehmen, beginnt aufgrund einer Kältewelle und einer damit verbundenen Hungersnot erneut die Jagd auf Hexen. Schlechtere Lebensbedingungen als Begründung für die Verfolgung von Menschen? In den Jahren zwischen 1570 und 1590 erleben Hexenprozesse deshalb ihren Höhepunkt.
Neid und Missgunst führen zur Denunziation von "Hexen"
Doch nicht nur ökonomische, sondern auch emotionale Konflikte wie zum Beispiel Streit zwischen Eheleuten können zum Zaubereiverdacht führen - und damit zum Tod. Ebenso führen Neid und Missgunst zu Anschuldigungen, sodass auch wohlhabende Frauen auf dem Schafott landen. Verdächtig war zuweilen schon, wer eine schwarze Katze besitzt, Warzen oder rote Haare hat. Auch in Verbindung von Schwangerschaft und Geburt kann es damals zu unglücklichen Verwicklungen kommen. Es trifft also nicht nur weise Frauen, Heilerinnen oder Hebammen.
Hexenverfolgung im Norden - Es trifft Arm und Reich
In der Zeit zwischen 1440 und 1750 werden in West- und Mitteleuropa etwa 100.000 Menschen, in der Mehrzahl Frauen (etwa 80 Prozent), als vermeintliche Hexen hingerichtet. In Bezug auf die Hexenverfolgung gilt der protestantische Norden Deutschlands - mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern - lange als weniger betroffene Region Europas. Neuere Forschungen ergeben, dass das zwar nach wie vor für Städte wie Hamburg oder Lübeck stimmt, nicht aber für die ländlichen Regionen.
In den größten Städten sind eher unterprivilegierte Witwen, Bettlerinnen und Vaganten Opfer der Hexenverfolgung. In den Kleinstädten kommen Angeklagte eher aus den Schichten der wohlsituierten Bürgerschaft. Während in Schleswig-Holstein die arme, alte alleinstehende Frau zum Opfer der Verfolgung ist, wird in Mecklenburg und Vorpommern Menschen aus der Mitte der Prozess gemacht. Die Opfer sind in der Mehrzahl Angehörige der Unter- und Mittelschicht und entsprechen in ihrer sozialen Herkunft dem Durchschnitt der Bevölkerung. In beiden Herrschaftsgebieten sind fast 80 Prozent der Angeklagten verheiratet. Witwen betreffen etwa zehn Prozent der Verfahren. Eine vermehrte Anklage von Witwen ist eher typisch für die größeren Städte, da hier ohnehin viele verwitwete Frauen leben.
Hexenverfolgung als Femizid des Mittelalters?
"Hexenprozesse und die aus ihnen hervorgegangenen Hinrichtungen können durchaus als ein Instrument zur Unterwerfung von Frauen als vermeintlich subversive Kräfte innerhalb der frühmodernen Gemeinwesen - und damit durchaus auch als Femizide - verstanden werden." Claudia Opitz-Belakhal: "Hexenverfolgung - Ein historischer Femizid?"
Unter diesem Blickwinkel wird das Zeitalter der Hexenverfolgung zu einem Lehrstück über das Zusammenleben in Zeiten von beschleunigtem Wandel und Umbrüchen. Die letzte "Hexen-Hinrichtung" auf deutschem Territorium findet übrigens im März 1775 statt. Selbst in der Nachkriegszeit gibt es noch Gerichtsprozesse wegen Hexereianschuldigungen, vor allem in Norddeutschland. Das zeigt, dass der Hexenglaube auch durch Aufklärung nicht verschwunden ist.