Vitamin D: Kein Heilsbringer gegen Covid
"Vitamin D schützt vor Covid-19!" Ein gefährlicher Trugschluss, auch wenn Studien einen Zusammenhang nahelegen. Denn es gibt viel mehr Einflussfaktoren.
Vielleicht hat es mit Donald Trump erst so richtig angefangen. Als der damalige US-Präsident im Herbst an Covid-19 erkrankte, stand auf der langen Liste seiner Medikamente auch ein Vitamin D-Präparat. Immer wieder im Laufe der Pandemie melden sich Menschen zu Wort, die Vitamin D für einen regelrechten Heilsbringer halten. Tatsächlich erscheinen laufend Studien, die einen Zusammenhang zwischen dem Vitamin D-Status eines Patienten und dem Krankheitsverlauf nahelegen. Das Problem: Nicht alles daran ist falsch. Aber sie werden allzu oft fehlinterpretiert und führen deshalb zu riskanten Vorsorge-Experimenten in Eigenregie.
Risikofaktoren schwer trennbar
Zuletzt machte beispielsweise eine Studie aus Israel die Runde, in der über 1.000 Covid-19-Patienten auf ihren Vitamin D-Status hin untersucht wurden. Die Schlussfolgerung der Autoren: Ein Vitamin D-Mangel vor der Infektion wird assoziiert mit einem schweren Krankheitsverlauf und gesteigerter Sterblichkeit. Aber: "Assoziiert bedeutet nicht: ein ursächlicher, kausaler Zusammenhang", sagt Martin Smollich, Ernährungswissenschaftler am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein.
Denn fast immer spielen noch ganz andere Faktoren hinein. Meistens sind es bestimmte Bevölkerungsgruppen, die einen Vitamin D-Mangel haben. Und bei denen kommen zusätzlich oft noch ganz andere Risikofaktoren für Covid-19 zum Tragen: höheres Alter, Pflegebedürftigkeit, Adipositas, andere Vorerkrankungen, Mangelernährung aus sozioökonomischen Gründen. Oft kann man das eine nicht vom anderen trennen, weshalb der Einfluss des Vitamin D-Status nicht herausgerechnet werden kann.
Verhältnis Ursache und Wirkung ist unklar
Umso problematischer ist es, wenn Laien die Schlussfolgerungen solcher Studien interpretieren. Denn Korrelation, also eine statistisch festgestellte Wechselbeziehung, bedeutet ohnehin nicht automatisch auch ein Ursache-Wirkungs-Verhältnis, eine Kausalität. Martin Smollich nennt das berühmte Beispiel mit den Störchen: Wenn in bestimmten Regionen, in denen es viele Klapperstörche gibt, auch viele Kinder geboren werden, heißt das ja auch nicht, dass die Mär vom Klapperstorch, der die Kinder bringt, doch stimmt. Vielmehr ist eine Erklärung, dass Klapperstörche gerade in ländlichen Regionen sind, in denen Menschen mit vielen Kindern leben.
Im Fall von Vitamin D und dem Zusammenhang zur Krankheitsschwere bei Covid-19 gibt es verschiedene Erklärungen: "Eine ist zum Beispiel, dass im Rahmen von akuten Infektionen - nicht nur Covid-19, sondern auch andere Infektionserkrankungen -, der Vitamin-D-Spiegel absinkt, weil im Rahmen der Infektion Vitamin D verbraucht wird", erklärt Martin Smollich. "Wenn ich mir Menschen angucke, die akut erkrankt sind, und das mit Gesunden vergleiche, dann sehe ich bei diesen akut Kranken ganz häufig einen niedrigen Vitamin D-Spiegel. Das ist dann aber eine Folge und nicht die Ursache der Erkrankung." Die Studienlage fasst Smollich so zusammen: "Es gibt ein erhöhtes Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf, wenn man einen Vitamin D-Mangel hat, wir wissen aber nicht, ob es am Vitamin-D-Mangel liegt oder an den anderen Umständen. Wir können die Kausalität also nicht beweisen."
Missverständnisse bei Ernährungsstudien
Es ist ein häufiges Problem bei Ernährungsstudien, dass sie falsch verstanden oder mit einer falschen, weil inhaltlich viel zu stark verkürzten Schlagzeile versehen werden. Doch es gibt eben auch methodisch schlecht gemachte Forschung, die Störfaktoren nicht berücksichtigt, statistische Grundregeln missachtet oder bei der Probandenauswahl grobe Fehler macht und darum stark verzerrte Ergebnisse liefert. Das kann gerade bei Preprints vorkommen, also Studien, die veröffentlicht werden, bevor andere Wissenschaftler sie begutachtet haben. Viele von ihnen schaffen es deshalb auch später nicht in eine anerkannte wissenschaftliche Zeitschrift.
"Und dann gibt es natürlich Fälschungen, trotz Peer-Review-Verfahren", erklärt Martin Smollich. "Aber bei den meisten Studien haben wir eine mittlere oder gute oder sehr gute Qualität. Dann ist aber die Kommunikation oder die Berichterstattung über diese Studien eine Herausforderung, da differenzierte wissenschaftliche Daten kurz und prägnant zusammengefasst werden müssen, so dass sie auch angeklickt werden und leicht zu lesen sind. Da haben wir natürlich oft einen Widerspruch." Auf Twitter klärt der Lübecker Ernährungsforscher darum auch über Vitamin D auf.
Vitamin D als Therapeutikum nur bei Mangel
Ein bisschen schwieriger wird es bei der Frage, welche Bedeutung Vitamin D in der Therapie von Covid-19 haben kann. Eine Pauschalempfehlung, Patienten im Krankenhaus Vitamin D zu verabreichen, gibt es nicht. Der Hamburger Intensivmediziner Stefan Kluge hat an der entsprechenden medizinischen Leitlinie mitgeschrieben. Er sagt: "Es gibt widersprüchliche Studiendaten. Man hat große Studien gemacht, in denen man einer Gruppe von Covid-19-Erkrankten auf der Intensivstation Vitamin D gegeben hat und der anderen Placebo. Da war das nicht signifikant besser in der Vitamin D-Gruppe. Auf der anderen Seite wissen wir aus großen Kohortenstudien, dass Vitamin D schon eine Rolle spielt bei der Immunabwehr, und dass Covid-19-Patienten überzufällig häufig einen Vitamin D-Mangel haben." Deshalb lautet die Empfehlung: Liegt ein Verdacht auf einen Mangel vor, wird der Vitamin D-Spiegel im Blut überprüft und gegebenenfalls substituiert. Aber nur dann.
Kein vorbeugender Nutzen gegen das Coronavirus
Das Gleiche gilt im Prinzip für die Prophylaxe: Mediziner und Wissenschaftler warnen davor, freihändig Vitamin D als Nahrungsergänzung zu dosieren, um einer Covid-19-Erkrankung vorzubeugen, auch weil der blinde Glaube an Vitamin D als "Gamechanger" dazu verführen kann, andere Schutzmaßnahmen zu vernachlässigen. Der Hamburger Ernährungsmediziner Matthias Riedl beobachtet, dass Vitamin D oft zu einem "Super-Vitamin" stilisiert und als Allheilmittel betrachtet wird.
Wer keiner Risikogruppe angehört, sich gesund ernährt und sich ausreichend im Freien bewegt, profitiert in der Regel nicht von Vitamin D-Präparaten. Anders sieht das bei Vorerkrankten aus, aber auch bei Menschen mit dunkler Hautfarbe oder Vollverschleierung, weil Vitamin D3 durch den Einfluss von UV-Licht auf die Haut selbst gebildet wird. Sie müssen deshalb ein mögliches Defizit im Auge behalten. Dann allerdings sollte der Serumspiegel zunächst bestimmt werden, und meist ist eine höhere Dosis nötig.
Folgeerkrankungen durch Überdosierung
Vor allem aber: Eine Überdosierung kann gefährlich sein. Weil Vitamin D nicht wasser-, sondern fettlöslich ist, wird es im Körper gespeichert. "Das Typische bei einer Überdosierung ist, dass Vitamin D zu einem Kalzium-Anstieg im Blut führt", erläutert Martin Smollich. "Und dieses Kalzium im Blut bewirkt dann Herzrhythmusstörungen, die sehr gefährlich sein können, aber auch die Bildung von Kalziumsteinen insbesondere in den Nierengefäßen." Das heißt: Die Nieren können massiv geschädigt werden oder sogar versagen. Gerade bei Kindern, deren Eltern leichtfertig auf die vermeintliche Harmlosigkeit von Vitaminen vertrauen und Präparate zum Beispiel großzügig mit der Pipette dosieren, kann das fatale Folgen haben.