Stand: 29.09.2015 09:00 Uhr

Abtreibung - noch immer ein Tabuthema

von Anna Florenske
Schwangerschaftstest und ein Ultraschallbild liegen auf einem Holztisch. © Ramona Heim Foto: Ramona Heim
Jede achte Schwangere in Deutschland entscheidet sich für eine Abtreibung.

"Wir haben abgetrieben" - mit diesem öffentlichen Bekenntnis im "Stern" kämpften Frauen Anfang der 1970er- Jahre für ihr Recht auf Abtreibung - darunter viele Prominente. Das sorgte damals für viel Wirbel, denn Schwangerschaftsabbrüche waren verboten. Heute sind sie legal möglich, doch für Frauen, die sich dazu entschließen, sind sie immer noch ein schwieriges Thema.

Beratung ist Pflicht

Abtreibungen sind straffrei, wenn sie in den ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis erfolgen und legal, wenn es medizinische Gründe gibt oder nach einer Vergewaltigung. In jedem Fall muss sich die Frau mindestens drei Tage vor dem Eingriff bei einer anerkannten Stelle beraten lassen. "Die meisten Frauen, die in die Beratung kommen, wissen,  dass es eine Pflicht-Beratung ist. Sie gehen davon aus -  auch wenn das nicht zutrifft  - dass sie in dieser Beratung überredet werden sollen, die Schwangerschaft auszutragen. Sie merken aber sehr schnell, dass sie nicht bevormundet werden sollen", sagt Gisela Hilgefort von Pro Familia in Mainz.

Gesellschaftliche Ablehnung

Laut Gesetz soll die Beratung dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen, aber auch ergebnisoffen sein. Frauen müssen sich nicht erklären und haben trotzdem Anspruch auf den Beratungsschein. Trotzdem fällt vielen Schwangeren der Gang zur Pflichtberatung schwer, sagt die Psychologin und Psychotherapeutin Gisela Hilgefort: "Abtreibung ist immer noch ein großes Tabu beziehungsweise wird in der Öffentlichkeit eigentlich fast durchweg verurteilt. Ich glaube, dass das natürlich bei fast allen Frauen mitschwingt. Sie fühlen sich schlecht und haben ein schlechtes Gewissen, weil es eben gesellschaftlich so abgelehnt wird."

In den Medien und auf dem Buchmarkt dominieren Titel, die das große Trauma der Abtreibung betonen. Aus wissenschaftlicher Sicht entbehrt das jeder Grundlage, sagt die Gesundheitswissenschaftlerin Daphne Hahn: "Wir wissen, dass die körperlichen Folgen gering sind - viel geringer, als bei einer Geburt beispielsweise.  Auch die psychischen Folgen - so sagt es die Wissenschaft - sind bei Schwangerschaftsabbrüchen viel geringer als nach Geburten. Aber trotzdem geistert das immer in der Gesellschaft als Idee: Der Schwangerschaftsabbruch wäre eine Katastrophe für die Frau."

Abtreibung ein ambulanter Eingriff

Medizinisch gesehen sind Abtreibungen ein ambulanter Eingriff. Wenn die Schwangerschaft nicht älter als neun Wochen ist, können Medikamente sie beenden: Im Abstand von zwei Tagen nehmen Frauen zwei verschiedene Tabletten in der Praxis eines Frauenarztes ein und gehen nach Hause. Die folgende Blutung spült das Schwangerschaftsgewebe heraus. Am häufigsten sind Abtreibungen per Absaugung in Vollnarkose oder örtlicher Betäubung: Dabei wird das Schwangerschaftsgewebe mit einem Plastikschlauch aus der Gebärmutter gesaugt. Der Eingriff dauert etwa zehn Minuten, dann blutet es - wenn auch schwächer als beim medikamentösen Abbruch.

"Das ist ein sehr sicherer Eingriff. Die häufigsten Komplikationen mit einer Häufigkeit von ungefähr 1 bis 2 von 100 Frauen sind Infektionen nach dem Abbruch oder, dass kleine Gewebereste in der Gebärmutter bleiben. Das sind Komplikationen, die man behandeln kann und die folgenlos ausheilen", erklärt Frauenärztin Helga Seyler vom Familienplanungszentrum in Hamburg.

Ausschabungen: Komplikationsrisiko erhöht

Weit mehr Komplikationen gibt es bei Ausschabungen. Einer Methode, die heute noch bei jeder zehnten Abtreibung in Deutschland angewandt wird. Mit einem spatelartigen Löffel wird das Schwangerschaftsgewebe aus der Gebärmutter geschabt. Da die Komplikationsrate wesentlich höher ist, bewerten internationale Leitlinien die Ausschabung als nicht mehr zeitgemäß. Trotzdem wird sie in Deutschland noch häufig durchgeführt. "Es gibt ja in Deutschland keine geregelte Ausbildung für die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen. Wenn Sie in Kliniken von kirchlichen Trägern ausgebildet werden, dann lernt man nur das Ausschaben bei Fehlgeburten. Abtreibungen werden dort nicht durchgeführt", sagt Helga Seyler.

Ansehen in der Ärzteschaft bekommt man nicht

Die wissenschaftliche Fachgesellschaft der Gynäkologen (DGGG), äußert sich dazu nicht. Für Frauenärztin Helga Seyler keine Überraschung - auch unter Ärzten ist das Thema schwierig: "Ansehen in der Ärzteschaft kriegt man damit nicht, eher im Gegenteil. Ansehen kriegt man, indem man fortpflanzungsmedizinische Behandlungsmaßnahmen macht oder Pränataldiagnostik." Und das, obwohl Abtreibungen in der Gynäkologie zu den häufigsten Eingriffen zählen. Knapp 100.000 sind es in Deutschland pro Jahr. Jede achte Schwangere entscheidet sich dafür.

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NDR Info | | 30.09.2015 | 09:20 Uhr

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