Vier-Tage-Woche - Flächendeckendes Konzept bald auch in SH?
Fehlende Azubis, fehlende Fachkräfte, der Wunsch nach mehr Work-Life-Balance - die Wirtschaft steht vor großen Herausforderungen. Ist die Vier-Tage-Woche ein Lösungsansatz?
Branchenübergreifend ist der Fachkräftemangel ein Problem. Hinzu kommt, dass gerade junge Menschen immer mehr Flexibilität im Job fordern. In Großbritannien wurde in mehreren Unternehmen im Rahmen eines Pilotprojekts die Arbeit ohne Lohnkürzung auf vier Tage reduziert. Es zeigten sich viele Vorteile: Der Umsatz der Unternehmen stieg, die Fehltage gingen zurück, die Produktivität kletterte, das Stresslevel der Beschäftigten und die Fluktuation sanken. Und auch in Deutschland haben erste Betriebe die Vier-Tage-Woche für ihre Mitarbeitenden eingeführt. Ist das der Beginn für eine neue Arbeitswelt - auch in Schleswig-Holstein?
Motivation und Freiraum
Das Lübecker IT-Unternehmen Kontor Consulting GmbH bietet seinen 27 Beschäftigten bereits eine Vier-Tage-Woche mit 32 Arbeitsstunden an. Die Beschäftigten genießen das Vertrauen. Geschäftsführerin Carolina Wehrmann sagte, ihre Erfahrungen seien durchweg positiv: "Die Teams organisieren sich quasi untereinander und jeder schaut, wann er den freien Tag machen kann." Alternativ können die Mitarbeitenden bei der Kontor Consultung GmbH auch an fünf Tagen arbeiten, dann sechs Stunden am Tag.
"Wichtig ist, dass wir für unsere Kundinnen und Kunden erreichbar sind - das müssen wir gemeinsam organisieren", so Wehrmann. Mitarbeiterin Katharina Kirstein ist begeistert: "Ich muss sagen, es ist das erste Mal, dass ich mit so vielen Freiräumen arbeite." Für sie ist deshalb auch die Motivation deutlich höher, "vielleicht nochmal irgendwie abends den Laptop anzumachen oder zwischendurch nochmal reinzuschauen, weil man eben auch weiß, man hat im Gegenzug einfach viele Freiheiten, eben diesen zusätzlichen freien Tag. Und da ist deutlich mehr möglich".
IHK: Interessante Idee, keine generelle Lösung
Ulrich Witt von der IHK Lübeck meint, die Vier-Tage-Woche sei ein durchaus interessantes, alternatives Arbeitszeitmodell zur klassischen 40-Stunden-Woche, das auch schon von einigen Unternehmen im Bezirk ausprobiert werde. "Auch wenn die Rückmeldungen, die wir dazu erhalten, mehrheitlich positiv sind, so zeigt sich gleichzeitig, dass dieses Modell bisher nur in einzelnen Fällen anwendbar zu sein scheint und keine grundsätzliche Lösung darstellt", führt Witt weiter aus. Und auch die IHK Flensburg meint, die zunehmend brisante Personallage führe in den Betrieben dazu, dass über flexible und innovative Beschäftigungsmodelle intensiv nachgedacht werde.
Beide Industrie- und Handelskammern sagen aber auch: Die Vier-Tage-Woche mache es in erster Linie leichter, Mitarbeitende länger an Unternehmen zu binden. Eine Lösung um dem Fachkräftemangel zu begegnen, sei dies aber nicht. Ganz abschreiben will Witt das Projekt aber nicht: "Die Herausforderung liegt eben darin, dass das gesamte Unternehmen wirklich darauf ausgerichtet werden muss. Es reicht ja nicht zu sagen, ab nächster Woche kommt ihr nur an vier Tagen und kriegt das gleiche Geld oder wir passen das Gehalt an. Sondern da müssen Prozesse auch überprüft werden, verschlankt werden, denn letztendlich muss ja die gleiche Arbeit in einer kürzeren Zeit geschafft werden."
Dehoga: Vier-Tage Woche nur für Arbeitnehmer, nicht für Betrieb
Auch Stefan Scholtis, Geschäftsführer Dehoga Schleswig-Holstein, steht einer Vier-Tage-Woche grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber, gibt aber zu bedenken: "Betriebe müssen natürlich so viele Mitarbeiter haben, dass die restliche Zeit abgedeckt wird, denn eine Vier-Tage-Woche für Arbeitnehmer heißt nicht eine Vier-Tage-Woche für den Betrieb."
Ver.di: Flexibilität darf keine Einbahnstraße sein
Flexibilität darf nach Meinung der Arbeitnehmervertreter grundsätzlich keine Einbahnstraße sein. Genau das kritisiert der Sprecher der Gewerkschaft ver.di Nord, Frank Schischewski. Denn wenn Arbeitgeber Flexibilität fordern, würden sie damit häufig eher eine Erhöhung der Arbeitsstunden meinen.
Beim Arbeitgeberverband Flensburg-Schleswig-Eckernförde steht man der Idee einer Vier-Tage-Woche zwar grundsätzlich offen gegenüber. "Die Schaffung guter Rahmenbedingungen für ein - körperlich wie psychisch - gesundes Arbeitsumfeld sowie einer guten Work-Life-Balance sind natürlich zu befürworten", so Geschäftsführer Christian Jaekel. Er gibt aber auch zu bedenken, dass bei 20 Prozent weniger Arbeitszeit der Druck wachse, denn die Aufgaben müssten dennoch erledigt werden.
Das Ganze sei zudem sehr subjektiv. Es gebe - so seine Beobachtung - viele Arbeitnehmer, die lieber in kürzerer Zeit mehr "reinhauen" und so in der kürzeren Zeit tatsächlich mehr schaffen als andere, die sich ihre Arbeitsmenge anders einteilen, unterstreicht Jaekel. Neben der Vier-Tage-Woche gebe es aber auch andere Möglichkeiten der Arbeitszeitgestaltung. Als Beispiele nennt er Teilzeit, Homeoffice und weitere flexible Arbeitszeitmodelle. Außerdem könnten Mitarbeiter bei der Einstellung ihre Arbeitszeit immer frei verhandeln, so Christian Jaekel weiter.