VIDEO: Was bewirken die Demos gegen rechte Hetze bei AfD-Anhängern? (2 Min)

Welchen Effekt haben die Proteste gegen Rechtsextremismus?

Stand: 22.01.2024 20:52 Uhr

Der Zulauf zum Protest gegen rechts übertrifft die Erwartungen der Veranstalter, einige Demos müssen wegen Überfüllung abgebrochen werden. Auch wenn sich nun nicht unmittelbar massenhaft Wähler von der AfD abwenden, könnte der Protest laut Experten langfristig eine demobilisierende Wirkung haben.

von Ann-Brit Bakkenbüll, Anouk Schollähn und Daniel Sprenger

Nach dem Bekanntwerden eines Plans zur "Remigration" von Menschen ausländischer Herkunft aus Deutschland, den AfD-Politiker zusammen mit Neonazis in einem Potsdamer Hotel diskutiert haben, wurde auch am vergangenen Wochenende bundesweit gegen Rechtsextremismus demonstriert. In Hamburg haben die Organisatoren die Demo, zu der laut Polizei 50.000 Menschen kamen, wegen Überfüllung abgebrochen. "Dass Zehntausende kommen werden, damit haben wir nicht gerechnet", sagt der Organisator der Hamburger Demo, Kazim Abaci vom Verband Unternehmer ohne Grenzen in der Rückschau am Montag: "Das war sehr berührend." Auch in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern zogen Tausende auf die Straße.

Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff (CDU) sagte am Montag auf NDR Info, er sei inzwischen fest davon überzeugt, dass gerade Großes passiere. Immer mehr Menschen in der Mitte der Gesellschaft würden verstehen, dass Demokratie eben nicht nur konsumiert werden könne, sondern unmittelbar von allen gestaltet werden müsse: "Die Menschen begreifen, dass sie mehr wählen müssen, demokratisch wählen müssen, dass sie Positionen beziehen müssen, dass sie sich mehr einbringen müssen."

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Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff spricht auf einer Demonstration gegen Rechtsextremismus. © Moritz Frankenberg/dpa Foto: Moritz Frankenberg

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Eine breite Allianz mit einem Minimalkonsens gegen rechts

Doch welchen Effekt haben die Proteste? Helfen sie, den Zulauf zur AfD zu begrenzen oder umzukehren? "Tatsächlich erleben wir ein sehr breites Bündnis, eine Art prodemokratische Allianz, die letztendlich zeigt, dass, wenn es einen Anlass gibt, die Demokratie auch sehr wehrhaft sein kann", analysiert Nina Wienkoop vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung Berlin. Viele Menschen hätten die Entwicklungen jetzt als eine Art Weckruf empfunden. Es sei an der Zeit, wehrhaft zu werden als Demokratinnen und Demokraten. Wienkoop stellt zudem fest, dass es ein Mehr-Generationen-Protest sei.

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Eine Frau blickt in die Kamera bei einer Demonstration gegen Rechtsextremismus auf dem Lübecker Rathausplatz und hält ein Plakat mit dem Schriftzug "Nie wieder ist jetzt" in ihren Händen. © NDR Foto: Phillip Kamke
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Wie langfristig der von einem sehr breiten Bündnis gesellschaftlicher Kräfte getragene Protest sein wird, darüber ist sich Wienkoop unsicher. "Erst mal sieht man ja einen Minimalkonsens, und das ist eine Mobilisierung gegen rechts." Was die gemeinsamen Forderungen der Demonstranten sind, das sei jedoch noch mal eine ganz andere Frage.

"Solche Phänomene wird man nicht dauerhaft wiederholen", meint Volker Kronenberg, Professor am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn, mit Blick auf die großen Proteste. Nachhaltigkeit könne hierbei nur bedeuten, dass die Politik jene Probleme im Land löst, die die Menschen umtreiben. "Das war damit auch ein Appell indirekt", so Kronenberg.

"Überfüllung wegen Demokratie: Auf einem guten Weg"

Der Politikwissenschaftler und Rechtsextremismus-Experte Hajo Funke findet die Größe der Protestbewegung "überraschend". Es sei eine der größten Bürgerbewegungen, die es in der Geschichte der Bundesrepublik gegeben habe, "eine der größten nach den großen Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg und nach der Bürgerbewegung der späten DDR", sagte Funke auf NDR Info. 80 Prozent der Menschen sähen nun eine Gefahr für die Demokratie. "Wenn eine Demonstration wie die in Hamburg wegen Überfüllung geschlossen wird - Überfüllung wegen Demokratie - dann sind wir auf einem gutem Weg."

Hajo Funke, emeritierter Professor für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin. © NDR
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AfD-Verbot bringt erst mal nichts - Protest das Entscheidende

Ein AfD-Verbot hingegen bringe "zunächst einmal nichts, weil es lange dauert. Die Debatte mag gut sein, aber die Fixierung auf ein Verbot entlastet uns unnötigerweise als Bürger", so Funke. Da ein Verbotsverfahren zwei bis vier Jahre dauere, würde es für die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September und auch für die Bundestagswahl im September nächsten Jahres nichts bringen.

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Gerhart Baum, ehemaliger Bundesinnenminister und Rechtsanwalt, in einem Fernsehstudio. © dpa picture alliance Foto: Horst Galuschka
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Das Entscheidende seien der Protest und die Wahlentscheidung am 9. Juni bei den Europawahlen und den Kommunalwahlen in Thüringen am selben Tag. "Und da bin ich inzwischen doch nach all den schwierigen Jahren optimistisch", sagt Funke. Schwierig seien diese Jahre gewesen, weil sowohl die Medien als auch die Politik und die Öffentlichkeit sehr verhalten geworden seien, obwohl der rechtsextreme Charakter der AfD im Kern bekannt gewesen sei. "Das hat sich nun durch den Schock, den Correctiv ausgelöst hat, fundamental verändert."

Soziologe: Öffentlichkeit und AfD wie das Kaninchen vor der Schlange

Seit Beginn der Ampelkoalition, aber auf jeden Fall in den vergangenen Monaten, habe die Öffentlichkeit "so ein bisschen wie das Kaninchen vor der Schlange auf die steigenden Umfragewerte der AfD geblickt", erklärt auch Soziologe Nils Kumkar von der Universität Bremen. Man habe nicht gewusst, was man dem entgegnen könne. Die Correctiv-Recherche sei dann "in erster Linie der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat". Auch wenn man vielleicht immer noch nicht genau wisse, was man konkret tun könne, müsse man jetzt langsam zumindest mal in Bewegung kommen. "Weil zu zeigen, dass man lieber was machen würde, immer noch besser ist, als nichts zu machen." Die aktuellen Proteste seien das Auf-die-Straße-tragen eines relativ breit geteilten Konsenses, der vorher ein wenig in Schockstarre verharrt habe.

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Der Protest ist das eine, Umfragen sind das andere. Die politische Stimmung in Mecklenburg-Vorpommern rutschte inzwischen weiter nach rechts. Die AfD ist dort nach einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Ostsee-Zeitung stärkste politische Kraft mit 31 Prozent. Die SPD landet mit zehn Prozentpunkten Abstand auf Platz zwei. Der Befragungszeitraum war vom 10. bis 16. Januar - also nach der Veröffentlichung der Correctiv-Recherchen am 10. Januar, aber noch vor den großen deutschlandweiten Protesten der vergangenen Woche. Deren mögliche Effekte sind in den Zahlen also noch nicht abzulesen.

AfD wird nicht massenhaft Wähler verlieren - aber Diskurs wird verlagert

Der Soziologe Kumkar kann in seiner wissenschaftlichen Beobachtung nicht feststellen, dass die Demonstrationen der AfD jetzt massenhaft Wählerinnen und Wähler abspenstig machen. "Diejenigen, die die AfD wählen, die werden unter Umständen sogar ihre Position eher bestärkt fühlen." Dennoch seien die Proteste bedeutsam, da sie das Thema verlagerten. "Wir beobachten in der Forschung zur politischen Soziologie, dass die Unterstützung für Rechtspopulisten und Rechtsextremisten ganz stark daran hängt, welche Themen in der Öffentlichkeit besprochen werden", erklärt Kumkar. "Wenn ihre Themen besprochen werden, wenn zum Beispiel Migration als Schicksalsfrage der Nation behandelt wird, dann bekommen die Zulauf. Wenn aber über den Rechtsextremismus der AfD gesprochen wird, dann nicht."

Zahlreiche Menschen nehmen an einer Demonstration gegen Rechtsextremismus auf dem Opernplatz Hannover teil. © picture alliance/dpa | Moritz Frankenberg Foto: Moritz Frankenberg/dpa
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Die Partei habe daher Angst, so Kumkar. Führende Köpfe der AfD und Menschen aus dem rechtsextremistischen Spektrum seien auffällig bemüht darum, schnell Distanz zwischen sich und diesem Treffen aufzubauen und zu erklären, dass diese ganzen Demonstrationen nur ein Strohfeuer seien. "Da stellt man von außen schon fest: Für die Partei scheint es auf jeden Fall ein Problem zu sein."

Können Proteste Menschen vom rechten Rand zurück in die Mitte holen?

Dass die grundlegenden Einstellungen von Menschen, die jetzt die AfD wählen würden, geändert werden durch die Demonstrationen, das hält Kumkar für unwahrscheinlich. "Aber was ich glaube ist, dass dieses Wiederaufrichten eines Tabus gegenüber rechtsextremistischen Positionen, dieser zur Schau gestellte breite Konsens gegen rechts, diese Themenverlagerung hin zu 'Wir reden über den Rechtsextremismus der AfD' durchaus demobilisierende Wirkung haben kann." Heißt: Leute wählen dann vielleicht nicht die AfD. Das könne dazu führen, dass Menschen sich irgendwann auch gar nicht mehr vorstellen könnten, die zu wählen. Viel wichtiger an den Demonstrationen sei jedoch, dass sie diejenigen bestärkten, die an ihnen teilnähmen oder die sympathisiert darauf blickten und die jetzt eben das Gefühl hätten, es sei nicht alles verloren, es lohne sich, etwas zu tun.

Politikwissenschaftlerin Wienkoop erwartet, dass sich der Protest erst mal über einige Wochen hält und dass noch einmal eine starke Mobilisierung erfolgt. "Das wird, glaube ich, auch noch mal ganz spannend, welche Akteure dann noch stärker aufspringen. Wir erleben jetzt schon einige Unternehmen, die sich zum Beispiel positionieren, ja auch das neugegründete Business Council for Democracy." In den kommenden Wochen werde sich zeigen, inwiefern das auch vielleicht noch mal in ganz andere Bereiche überspringt als die, die eh schon längerfristig gegen rechts arbeiten.

Rechtsextremismus verschwindet nicht einfach so: "Es muss weitergehen"

Dass sich die Wirtschaft in Hamburg an dem Protest beteiligt hat, freut auch Organistor Kazim Abaci. "Es ist auch ein Standortfaktor", warnt er. "Wir brauchen Arbeitskräfte, die Wirtschaft ist darauf angewiesen, und Rechtsextremismus und Rassismus sind ein Risikofaktor für dieses Land."

Wie es in Hamburg weitergehen wird mit den Protesten, weiß Abaci noch nicht. Die Großkundgebung vom vergangenen Freitag werde zunächst ausgewertet. "Fakt ist aber: Es muss weitergehen", fordert Abaci. Denn Rechtsextremismus und Rassismus würden nicht einfach so verschwinden. Man könne nicht nur erwarten, dass die Politik sich damit beschäftige - sondern es müsse ein Thema der gesamten Zivilgesellschaft sein.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | NDR Info | 22.01.2024 | 17:00 Uhr

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