Karin Prien: Kulturelle Bildung für Resilienz in einer komplexen Welt
Mit einer Werbekampagne, guter Bezahlung und Quereinsteigern will Bildungsministerin Karin Prien den Lehrermangel in Schleswig-Holstein beheben. Im Interview spricht sie außerdem über kulturelle Bildung und den Umgang mit KI.
Mit einer Werbekampagne oder auch mit dem neuen Musiklehrer-Studiengang in Lübeck will die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien (CDU) mehr Menschen für das Lehramt in ihrem Bundesland begeistern. Die Kampagne "Traumberuf Lehrer/in" formuliert das Angebot so: "Der Lehrerberuf ist einer der gesellschaftlich bedeutsamsten Berufe überhaupt. Für viele ist es ein Traumberuf - nur noch dadurch zu toppen, dass man ihn in Schleswig-Holstein ausübt. (...) Kommen sie in den Echten Norden, an unsere Schulen. Sie sind hier herzlich willkommen." NDR Kultur hat mit Karin Prien über den Lehrermangel, die Bedeutung kultureller Bildung im Lehrplan sowie über den Umgang mit Künstlicher Intelligenz (KI) gesprochen.
Karin Prien, Bildungsministerin in Schleswig-Holstein: Wer hat sich die Kampagne ausgedacht, eine Agentur, Sie oder ihr Ministerium?
Karin Prien: Wir sind selber sehr kreativ im Ministerium, da brauchen wir keine Agentur. Aber ich meine, das sagt doch alles: Was kann man sich Schöneres vorstellen, als diesen unglaublich erfüllenden Lehrerberuf zu ergreifen und dann auch noch im Land zwischen den Meeren, wo es die zufriedensten Menschen gibt.
Wie viele Interessierte haben sich denn schon gemeldet? Gerade was die Quereinsteiger angeht?
Prien: Sie spielen an auf unserem neuen Quereinstieg-Studiengang an der Musikhochschule in Lübeck. Wir bilden erstmals zum nächsten Wintersemester für die Grundschule Lehrkräfte aus, bieten da ein Master an für Menschen, die zuvor eine künstlerisch-pädagogische Ausbildung angestrebt haben und sich jetzt doch für das Lehramt Grundschule entscheiden. Das Interesse ist, wenn man der Hochschule zuhört, sehr groß für diesen neuen Studiengang.
In dem Studiengang gibt es dann auch Zertifikate, zum Beispiel für Mathe und Deutsch. Gibt es da nicht irgendwann von den Menschen, die noch mehrere Staatsexamen machen mussten, Beschwerden, dass das mittlerweile so einfach zu haben ist in wenigen Semestern?
Prien: Das gilt ja für alle anderen auch, die jetzt Englisch oder Sachkunde oder Textilkunde studieren. Die müssen immer entweder noch ein Zertifikat in Deutsch oder in Mathe zusätzlich machen. Das haben wir irgendwann mal eingeführt, weil wir wollen, dass die Lehrkräfte, egal, was sie sonst für Fächer studiert haben, auf jeden Fall auch eine Kompetenz haben im Bereich der Kernfächer. Aber daneben bilden wir natürlich auch in großem Umfang noch Mathematiklehrer und Deutschlehrkräfte aus.
Auf der Webseite des Bildungsministeriums in Schleswig-Holstein steht, "wir verbeamten Sie und als Grundschullehrkräfte erhalten Sie eine bessere Bezahlung". Besser als wo genau?
Prien: Besser als in vielen anderen Bundesländern, weil wir ja schon 2019 begonnen haben, A13 für Grundschullehrkräfte einzuführen. Viele Länder machen sich jetzt gerade erst auf den Weg, das umzusetzen.
Insgesamt steht Schleswig-Holstein auf der mir vorliegenden Liste in der Beamtenbesoldung von Lehrern vor Thüringen. Damit liegt Ihr Bundesland fast ganz hinten, also nicht im Spitzenfeld, was die Besoldungsstufe A13 angeht.
Prien: Mit der grundsätzlichen Einstufung sind wir, glaube ich, genau da, wo alle anderen Bundesländer auch sind. Und A13 für Grundschullehrkräfte haben viele Bundesländer noch nicht.
Sie meinen, in der Einstufung sei es besser für Grundschullehrer in Schleswig-Holstein?
Prien: Ja, ab nächstem Jahr sind wir dann bei A13 angelangt. Wir haben das stufenweise eingeführt über Zuschläge und ab nächstem Jahr sind wir frei davon, dann tritt A13 in Kraft.
In unserem Alter hat man schon mehrere Pisa-Schocks erlebt. Der letzte war im Dezember, der saß wieder sehr tief. Natürlich hören wir jetzt überall: Mathe und Sprachkenntnisse müssen verbessert werden. Da würde niemand widersprechen. Andererseits: Was ist denn mit den musischen Fächern? Was ist mit Kunst, mit Musik, wo stehen die in dieser Debatte?
Prien: Ohne jeden Zweifel muss das Erlernen der deutschen Sprache zentrales Anliegen schon in der Kita, aber dann auch in der Grundschule sein. Denn ohne Lesen und Schreiben kann man keine erfolgreiche Bildungskarriere absolvieren. Insofern gibt es gar keine zwei Wege. Deutsch und Mathematik sind zentral. Auf der anderen Seite ist es so, dass zur Persönlichkeitsentwicklung und auch zu der Frage - wie gut kann ich eigentlich lernen, wie resilient bin ich eigentlich in einer immer komplexeren Welt, wo viele Krisen auch für Kinder und Jugendliche zu bewältigen gibt? - die kulturelle Bildung von ganz großer Bedeutung ist. Das gilt namentlich auch für die Musik, auch für das Darstellende Spiel. Deshalb darf man diese Themen nicht gegeneinander ausspielen, sondern muss sich gleichermaßen Mühe geben, besser als bisher und mehr als bisher basale Kompetenzen zu vermitteln, aber auch weiter Wert auf gut ausgebildete Musiklehrkräfte zu legen.
Wenn wir mehr Mathe machen, was wird denn dann gestrichen?
Prien: Wir haben eine Kontingentstundentafel, die den Schulen relativ große Spielräume einräumt. Wir haben in der Kulturministerkonferenz (KMK) entschieden, dass wir schon über hälftig wollen, dass Kinder und Jugendliche in Deutsch, Mathematik und Sachkunde ausgebildet werden. Das sind mindestens 53 Stunden. Insgesamt sind es in Schleswig-Holstein 94 Stunden. Da bleibt natürlich dann schon noch Raum für Sport, für Religion, für Musik und so weiter.
Wenn ich mir die Besetzung der wissenschaftlichen Kommission anschaue, die die Kultusministerkonferenz dauerhaft berät, dann sehe ich da Berufspädagogik, Wirtschaft, Pädagogik, Mathematik, Pädagogik. Das sind wenig Menschen, die aus der musischen Bildung kommen.
Prien: Ja, das ist so, wenn man nur eine begrenzte Kommission hat. Immerhin äußern die sich in ihrem Gutachten - ich denke jetzt mal an das Grundschulgutachten - sehr wohl zur Bedeutung emotional-sozialer Kompetenzen, in dem Kontext auch zur kulturellen Bildung. Da habe ich nicht den Eindruck, dass die kein hinreichendes Gespür dafür hätten, dass auch das wichtig ist, um sich zur Persönlichkeit zu entwickeln.
Sie haben mich das letzte Mal besucht zum Schuljahresbeginn 2022. Da bin ich noch nicht auf die Idee gekommen, nach künstlicher Intelligenz im Klassenzimmer zu fragen. Mittlerweile haben viele Schulen die Hausaufgaben abgeschafft, weil es keinen Sinn mehr hat, zu Hause Texte zu verfassen, wenn die dann ohnehin von Künstlicher Intelligenz erstellt werden. Das ist ein wahnsinniges Tempo, in dem sich Bildung und Bildungspläne verändern müssen. Wie kann man in so einer Kommission und mit den Kultusministerinnen und Kultusministern darauf eingehen? Wie soll das gelingen?
Prien: Wir müssen wie viele andere gesellschaftliche Bereiche noch agiler werden als bisher. Wir haben schon im vergangenen Sommer eine Handreichung an die Schulen gegeben im Umgang mit künstlicher Intelligenz. Ich teile übrigens ihre Einschätzung nicht, dass man deshalb keine Hausaufgaben mehr geben sollte oder könnte. Sondern es geht um die Frage, wie sind die Hausaufgaben ausgestaltet? Es geht mehr um die Frage der Prüfungsformate als um die Frage, ob Prüfungen überhaupt noch stattfinden. Ich weiß nicht, ob sie mit ChatGPT arbeiten. Ich tue das gelegentlich, und die Qualität, muss man sagen, ist durchwachsen. Es hängt ja bei diesen Programmen immer davon ab, womit die eigentlich gefüttert werden. Denn nur das können sie dann auch produzieren. Wenn ich dann in der Schule trotzdem Leistungen erbringen muss, ohne ChatGPT, dann habe ich tatsächlich ein Problem, wenn ich Aufgaben unreflektiert abgebe. Entscheidend ist es, wie mit Wikipedia und anderen Quellen auch, dass man die Schülerinnen und Schüler dazu trainiert, anzugeben, ob sie mit oder ohne Hilfsmittel arbeiten. Dann bleiben Hausaufgaben, wenn man sie grundsätzlich für sinnvoll hält, auch weiterhin sinnvoll. Das Gleiche gilt natürlich auch für Prüfungsarbeiten in der Schule.
Können Sie sich erinnern, wann - seit sie Ministerin sind - das letzte Mal etwas aus den Lehrplänen gestrichen wurde und was das war?
Prien: Oh ja, wir sind laufend dabei, neue Fachanforderungen zu entwickeln. Die heißen aus gutem Grund gar nicht mehr Lehrpläne. Die bilden in Schleswig-Holstein inzwischen nur noch einen groben Rahmen, weil sie sehr stark kompetenzorientiert sind. Da finden Sie wenig Stoff, der zwingend vermittelt werden muss. Das behaupten zwar immer manche, es ist aber schon lange nicht mehr so. Die Schulen machen inzwischen ihre eigenen Curricula und haben große Freiheiten in diesem Kontext. Insofern ist dieses Problem, was ich natürlich auch häufiger mal höre, eigentlich gar nicht so ein Problem, wenn die Schulen von den Spielräumen Gebrauch machen, die wir ihnen einräumen.
Karin Prien war das, Bildungsministerin von Schleswig-Holstein über all das, was man vorhat in Schleswig-Holstein, um dem Lehrermangelproblem zu begegnen. Herzlichen Dank!
Das Interview führte Mischa Kreiskott.