Chorarbeit und Demenz: Wenn Musik hilft und Ausgleich schafft
Mehr als 1,8 Millionen Menschen in Deutschland leben aktuell mit einer Demenzerkrankung. Musik kann den Betroffenen im Umgang mit der Demenz helfen. Der Chor Vergissmeinnicht der Alzheimer Gesellschaft Hamburg bietet ein inklusives Angebot.
Dreizehn Sängerinnen und ein Sänger stehen im Kreis vor ihren Stühlen. Sie gähnen, gurgeln, zischen und klopfen sanft den Körper ab. Chorleiterin Monika Röttger wiederholt die Übungen mehrmals. Etwa 20 Minuten lang dauert das Einsingen. Die Atem-Stimm- und Sprechtherapeutin möchte mit den Übungen möglichst viele Körperregionen ihrer Sängerinnen und Sänger aktivieren.
Auch die Lieder verbindet Monika Röttger mit Bewegungen, "weil die Stimme entlastet ist. Man kann besser singen, wenn man sich bewegt", so die Therapeutin. "Ich finde von der Stimmung an sich macht das viel aus, ob man jetzt auf einem Stuhl sitzt und singt oder ob man eben steht und sich bewegt, das verändert die Stimmung im Raum."
Chorarbeit mit Positionswechsel im Raum
Die Stimmung im Veranstaltungssaal vom Kulturschloss Wandsbek ist blendend an diesem trüben, regnerischen Morgen. Zweimal im Monat probt der Chor Vergissmeinnicht hier. Die Stimmen klingen voll und selbstbewusst. Es ist das Ergebnis der intensiven Körperarbeit. Sängerinnen und Sänger führen den Atem bewusst und steigen weich in die Töne ein.
Die Lied-Texte sind in großer Schrift auf Din A 4 Zettel gedruckt - wer sein Blatt nicht in den Händen halten mag, kann auf ein Pult schauen. Viele singen auswendig. Etwa ein Drittel der Chormitglieder ist von der Diagnose Demenz betroffen. Zwei Frauen begleiten an diesem Tag Menschen, die an Demenz erkrankt sind und nehmen auch an der Probe teil. Wenn es zweistimmig wird, wechseln manche die Position im Raum. Liebevoll helfen alle einander, den richtigen Platz zu finden.
Neugierig und offen in die Proben
Eine Dreiviertelstunde lang fordert Monika Röttger ihren Chor bis zur Pause und kommt damit bei den Mitgliedern sehr gut an. Antje ist schon einige Jahre dabei: "Ich empfinde das auch als große Erleichterung und als Geschenk, dass der ganze Körper mitsingt. Das finde ich wichtig, und das macht mir hier auch Spaß." Und Gerlinde fügt an: "Ich singe schon seit vielen Jahren - früher jahrzehntelang im Schubert-Chor. Ich bin froh, dass ich jetzt, wo ich auch an Alzheimer erkrankt bin, hier singen kann."
Monika Röttger leitet viele Chöre, hatte aber, bevor sie den Chor Vergissmeinnicht übernahm, kaum Berührung mit Menschen, die an Demenz erkrankt sind. Neugierig und offen ging sie in die ersten Proben. "Ich war erstaunt, wie viel geht. Da habe ich viel rumprobiert. Das Klischee, die können eben alle Volkslieder und die alten Sachen singen, da wollte ich überprüfen und ausprobieren, ob was anderes geht. Ganz schnell war klar, dass auch durchaus neue Lieder gelernt werden können", so die Therapeutin.
Chortreffen ist wichtiger Bestandteil des Alltags
Auch Lieder aus Afrika und Neuseeland stehen auf dem Programm und können von den an Demenz erkrankten Mitgliedern neu gelernt und wieder erinnert werden. 90 Minuten lang konzentrieren sich alle auf Töne und Text, Rhythmus und Takt. Beim Abschlusslied bewegen sich Sängerinnen und Sänger tanzend durch den Raum.
Zwei weitere inklusive Chöre bietet die Alzheimer-Gesellschaft Hamburg zurzeit an. Bald soll ein vierter dazukommen. Für viele Mitglieder sind diese Proben zu einem wichtigen Bestandteil ihres Alltags geworden, wie für Antje: "Es macht mir einfach Freude und es hellt meine oft etwas gedrückte Stimmung auf." Chorleiterin Monika Röttger ergänzt: "Das Besondere finde ich hier, dass eigentlich letztendlich Humor und natürlich auch die Tragik sehr dicht beieinander liegen. Wir kriegen mit, dass es den Leuten nicht so gut geht, dass sie auch mehr erkranken, oder dass auch teilweise die Sänger und Sängerinnen verstorben sind. Das ist so eine Mischung, die wir hier haben. Und das muss man als Chorleiterin auch mögen."