Ein Mann im dunklen Anzug sitzt auf einer Holztreppe, trägt eine Brille und schaut in die Kamera. © picture alliance/dpa/documenta und Museum Fridericianum gGmbH | Götz Wrage Foto: Götz Wrage

Neuer documenta-Chef Andreas Hoffmann: "Eine große Herausforderung"

Stand: 13.01.2023 10:41 Uhr

Andreas Hoffmann wird neuer Geschäftsführer der documenta. Der derzeitige Leiter des Bucerius Kunst Forums in Hamburg wird seine neue Position am 1. Mai 2023 antreten. Im Interview mit NDR Kultur spricht er über seine neue Rolle.

Nach der von Antisemitismusvorwürfen überschatteten documenta 15 wird der Hamburger Andreas Hoffmann die Kunstschau in die Zukunft führen. Das gab der Aufsichtsrat der documenta am Donnerstag bekannt. Er folgt auf den Juristen Ferdinand von Saint André, der die Geschäfte der documenta noch bis Mai kommissarisch leitet. Hoffmann, der in Norden (Ostfriesland) geboren ist, leitet seit 2007 die Geschäfte des Bucerius Kunst Forums. Zudem lehrt er an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg.

Herr Hoffmann, gingen seit gestern bei Ihnen mehr Gratulationsanrufe ein oder waren es eher Leute, die sich Sorgen machen um Sie?

Andreas Hoffmann: Natürlich ist die Aufgabe der Geschäftsführung der documenta keine ganz einfache. Es ist eine große Herausforderung, eine Aufgabe, der ich mit sehr viel Respekt begegne. Aber die Gratulationsanrufe überwiegen, und ich freue mich sehr auf die neue Herausforderung in Kassel.

Es war das große Kulturthema im vergangenen Jahr: "die documenta 15 und der Rassismus". Man könnte sagen, die letzte documenta hinterlässt einen ziemlichen Scherbenhaufen. Nun wird ein Neuanfang gefordert. Was sind die ersten Pläne, die Ihnen gleich in den Kopf geschossen sind?

Hoffmann: Tatsächlich ist ja die documenta im Augenblick schon dabei, die Antisemitismusskandale der documenta 15 im letzten Sommer aufzuarbeiten. Es geht uns natürlich darum, sich auf Standards zu verständigen im Umgang mit der Kunstfreiheit, im Umgang mit jeglicher gruppenspezifischer Form von Menschenfeindlichkeit. Und dabei geht es einerseits um Antisemitismus, andererseits aber natürlich auch um Rassismus und Antiziganismus. Es geht ein bisschen darum, zu gucken, wie wir die Organisations- und Gremienstrukturen anpassen. Und es geht im Augenblick natürlich - in einer Phase, in der sich die künstlerischen Leiterinnen und Leiter der letzten documenta-Ausgaben zusammenfinden, darum eine Findungskommission zu besetzen -, auch darum, die Rahmenbedingungen zu definieren, unter denen die künstlerische Leitung der documenta 16 dann 2027 ihre kuratorische Verantwortung wahrnehmen wird.

Wenn so viele da zusammenkommen, sind Sie natürlich auch nicht nur mitspracheberechtigt, sondern vielleicht auch entscheidungsberechtigt?

Hoffmann: Die Frage, wer die künstlerische Leitung der nächsten documenta übernimmt, ist ja eine, die ein Geschäftsführer nicht alleine treffen kann und auf keinen Fall alleine treffen sollte. Sondern hier haben wir ein Verfahren gefunden, in dem die künstlerischen Leitungen der letzten Ausgaben der Weltkunstschau eine Findungskommission zunächst besetzen, die dann die Entscheidung trifft. Und ich glaube, es ist ganz wichtig, sich vor Augen zu führen, dass hier eine künstlerische Leitung besetzt wird, die von namhaften Kuratorinnen, Kuratoren, Direktorinnen, Direktoren internationaler Kultur und Kunstinstitutionen besetzt wird. Der Geschäftsführer der documenta ist dort beteiligt, aber er ist hier nicht die ausschlaggebende Stimme.

Jetzt hat Claudia Roth gesagt, die Politik fördert weiter, möchte aber auch inhaltlich eingreifen und Bescheid wissen. Wie sehen Sie das?

Hoffmann: Ja, diesbezüglich sind die Rahmenbedingungen im Moment sehr klar. Die documenta hat zwei Gesellschafter*innen: die Stadt Kassel und das Land Hessen. Beide halten 50 Prozent der Gesellschaftsanteile. Die Kulturstiftung des Bundes war bis 2018 im Aufsichtsrat der documenta vertreten. Sie hat zwei Aufsichtsratspositionen, die sie besetzen kann - die nach ihrem Vorschlag besetzt werden. Diese beiden Positionen sind im Augenblick nicht besetzt, sie könnte sie jederzeit besetzen. Schon darüber wäre ein inhaltlicher Einfluss auf die Entscheidung der documenta gegeben. Und natürlich ist die documenta darüber im Gespräch mit Frau Roth, mit der Kulturstaatsministerin, wie diese Dinge in Zukunft geregelt werden.

Wie haben Sie denn die documenta 15 in den verschiedenen Phasen erlebt, als es immer mehr Diskussionen und Vorwürfe gab und immer mehr ans Licht gekommen ist. Haben Sie manchmal auch gedacht: "Ui-ui-ui"?

Hoffmann: Nein, ich glaube, man muss zwei Dinge unterscheiden. Es gibt auf der einen Seite natürlich die Antisemitismusprobleme auf der letzten documenta, die natürlich auch zu einem "Ui-ui-ui" als Reaktion führen. Ich möchte aber gerne auch eine andere Ebene einschwören, die ist für mich als Kulturmanager, der ich nun erst einmal bin, einfach auch ganz zentral. Ich glaube, dass jede Ausgabe der Weltkunstschau in einer ganz besonderen, beeindruckenden Weise es geschafft hat, wie ein Seismograph, wie ein Brennglas aktuelle Diskurse und Entwicklungen in unserer Gesellschaft zu fokussieren. Und wenn ich an meinen Besuch in Kassel im letzten Sommer denke, dann muss ich sagen, dass ich sehr beeindruckt war von dieser Perspektive des globalen Südens. Sehr beeindruckt war von diesem Motto "Make friends not art", sehr beeindruckt war von Lumbung und diesen Blick auf kollektive Strukturen, diesen Blick auf gemeinsamen Ressourcenaufbau - gemeinsam Ressourcen gerecht zu verteilen, Nachhaltigkeit ...

Die großen zentralen Themen unserer Gesellschaft waren dort in einer Weise präsent, die mich sehr beeindruckt hat. Und wenn man dann noch schaut, wie diese documenta mit so wunderbaren Ideen auch im Bereich der Kulturvermittlung, einfach aktiv war und sich innovativ gezeigt hat, dann muss man sagen, dass das eine völlig neue Perspektive auf den Kulturbetrieb wirft und in einer Weise visionär war, die erst einmal nur beeindrucken kann. Und hier hat das Kurator*innen-Kollektiv Ruangrupa wirklich Großartiges geleistet. Und uns, glaube ich, Perspektiven bewiesen, die für den deutschen Kulturbetrieb in vielerlei Hinsicht einfach auch unglaublich innovativ und wegweisend sein können.

Also wenn man hört, wie engagiert und leidenschaftlich Sie drüber sprechen: Ich glaube, Sie freuen sich schon auch wirklich auf diese Aufgabe.

Hoffmann: Ich freue mich wirklich sehr auf die Aufgabe. Es ist einfach eine ganz besondere Position im deutschen Kulturbetrieb. Ich glaube, dass es der documenta immer in einer ganz besonderen Weise gelungen ist, fast wie mit einem Blick in die Glaskugel, aktuellste Themen unserer Gesellschaft aufzugreifen. Und das macht diese Schau zu einer ganz besonderen und natürlich diese Aufgabe, die ich übernehmen darf, zu einer sind sehr, sehr schönen.

Das Gespräch führte Philipp Schmid. Die erste documenta unter Hoffmanns Verantwortung findet vom 12. Juni bis 19. September 2027 in Kassel statt.

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Dieses Thema im Programm:

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