Der Titel der Ausstellung "Grüne Moderne. Die neue Sicht auf Pflanzen" prangt an einer Wand im Eingangsbereich des Museums Ludwig in Köln. © picture alliance/dpa | Christian Knieps

Leihgaben oder Kopien? Wie weit geht nachhaltiges Kuratieren?

Stand: 23.04.2023 11:43 Uhr

Die Klimabilanz von Ausstellungen ist oft schlecht. Kunstwerke legen weite Reisen zurück, hinzu kommt das Drucken von Plakaten und Katalogen sowie aufwendige Gestaltungen, um Besucherinnen und Besucher anzusprechen. Wie weit kann nachhaltiges Kuratieren gehen?

von Anina Pommerenke

Es gibt sie - die Leuchtturmprojekte in Sachen nachhaltiges Kuratieren. Das Museum Ludwig in Köln hat im vergangenen Jahr ganz bewusst eine Ausstellung sichtbar nachhaltig kuratiert. Die Mitarbeiterin Miriam Szwast hat im Haus eine richtige Bewegung angestoßen - mittlerweile sind 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter freiwillig in ihrer Arbeitszeit im Team Nachhaltigkeit engagiert. Sie selbst hat sich zur "Kuratorin für Ökologie" weitergebildet. Nach dem Vorbild der britischen Organisation Julie's Bicycle sollte die Ausstellung "Grüne Moderne. Die neue Sicht auf Pflanzen" nachhaltig gestaltet werden - und zwar so, dass es auch zu sehen ist.

Individuelle Lösungen sind gefragt

Kuratorin Miriam Szwast betrachtet die Pflanzendarstellungen von Karl Blossfeld bei der Ausstellung "Grüne Moderne. Die neue Sicht auf Pflanzen" im Museum Ludwig. © picture alliance/dpa | Christian Knieps
Kuratorin Miriam Szwast ist froh, dass sich mittlerweile mehr in den Häusern tut.

Die Reihe der Maßnahmen war lang: Auf Leihgaben wurde komplett verzichtet, es gab nur einen digitalen Katalog. Von jeder bezahlten Eintrittskarte wurde ein Euro in die Wiedervernässung eines Moores in Schleswig-Holstein investiert. Damit wurden dem Haus zufolge etwa 400 Tonnen CO2 gebunden. Es folgten Klima-Workshops, handgeschriebene Wandtexte, lokal und von Hand produzierte Keramik als einziger Merchandising-Artikel bis hin zu veganen Eröffnungshäppchen. Doch Kuratorin Szwast weist darauf hin: "Einen goldenen Weg zur klimaneutralen Ausstellung gibt es leider nicht und jede Ausstellung verlangt individuelle Lösungen."

Szwast hat keine Scheu davor, auch negative Folgen anzusprechen: "Die Ausstellung hat uns, vereinfacht gesagt, vor allem von jungen Menschen viel Zuspruch gebracht." Sie sei mit 100.000 Besucherinnen und Besuchern zwar durchaus sehr gut besucht gewesen, dennoch habe es auch kritische Stimmen gegeben, die sich vor allem an der Umsetzung störten. Vor allem die reduzierte Ausstellungsarchitektur und die weißen Wände hätten nicht die Erwartungen erfüllt. Szwast ist allerdings davon überzeugt, dass sich andere Ausstellungen klimafreundlicher gestalten lassen, ohne dass es auf den ersten Blick ersichtlich ist. 

Kunstmanager Thun-Hohenstein fordert, auch Kopien auszustellen

Wie weit muss und darf nachhaltiges Kuratieren gehen? Die Meinungen gehen weit auseinander. Schließlich stehen auch die Museen vor der großen Herausforderung, durch immer neue Ideen Menschen anzulocken. Doch ist wirklich noch die Zeit von großen sogenannten Blockbuster-Ausstellungen? Der Kunstmanager Christoph Thun-Hohenstein (zuvor Leiter vom Museum für Angewandte Kunst in Wien) forderte in einem Interview mit "Der Standard" unlängst, auch das Potenzial von Kopien in den Blick zu nehmen. Es sei fraglich ob zu jeder Retrospektive unbedingt die Originale aus allen Ecken der Welt gezeigt werden müssten, Reproduktionen seien mittlerweile von sensationeller Qualität. Das bestimmende Thema der Zeit sei hingegen die Klimamoderne, wird er in dem Interview zitiert.

Christoph Grunenberg: "Faszination Original bleibt bestehen"

Der Direktor der Kunsthalle in Bremen, Christoph Grunenberg, steht vor dem Gemälde von Max Liebermann "Papageienallee", 1902 © picture alliance / dpa | Ingo Wagner
Christoph Grunenberg, Direktor der Kunsthalle Bremen, begrüßt das Thema Nachhaltigkeit, sieht jedoch auch Grenzen.

Hört man sich in norddeutschen Museen um, so werden die einzelnen Vorstöße in Sachen Nachhaltigkeit unterschiedlich aufgenommen. Christoph Grunenberg, der Direktor der Kunsthalle Bremen etwa, bewertet die Aktion des Museum Ludwigs in Köln als "absolut lobenswert". Überhaupt hätten Museen seit einigen Jahren ihre eigenen Bestände als ergiebiges Reservoir für Ausstellungen und Sammlungspräsentationen entdeckt. Gerade ein Haus mit so reichen Beständen wie das Museum Ludwig könne dabei aus dem Vollen schöpfen, so Grunenberg.

Radikal erscheint ihm hingegen der Verzicht auf Leihgaben oder gar die geforderte Präsentation von Kopien und Ausdrucken: "So lange diese klar erkennbar sind, ist das eine Strategie, die durchaus ihre Rechtfertigung hat, insbesondere wenn das Einsparen von Ressourcen direkt mit dem Ausstellungsthema verbunden ist", findet der Kunsthistoriker. Er ist jedoch der Überzeugung, dass die Faszination am Original bestehen bleibt und Menschen weiterhin zur Kunst und die Kunstwerke zu den Menschen reisen werden. Statt eines ausschließenden Verzichts plädiert Grunenberg für neue Strategien und innovative Methoden bei klimaschonender Verpackung, Transport und Präsentation.

"Leihgaben steigern die Attraktivität von Ausstellungen"

Auch Pirko Kristin Zinnow, Direktorin der Staatlichen Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, wägt die einzelnen Argumente differenziert ab. So entwickle das Staatliche Museum Schwerin bereits Strategien und Maßnahmen, um einen aktiven Beitrag zum Klima- und Umweltschutz zu leisten. Leihgaben, so Zinnow, würden schon seit Längerem gewissenhaft abgewogen und niedrigere Temperatur- und Lichteinstellungen ausgelotet. Doch zu den Kernaufgaben des Museums gehöre neben dem Bewahren der Kulturgüter eben auch die Präsentation der Kunst für die Öffentlichkeit, dabei spielen die Leihgaben für Zinnow eine wichtige Rolle: "Sie erweiterten den Diskurs, tragen zu produktiven und interessanten Dialogen mit der eigenen Sammlung bei und steigern die Attraktivität der Ausstellung wesentlich."

Trotzdem verzichte das Haus schon seit langem konsequent auf Ausstellungen, die sich nur mit Leihgaben realisieren lassen, sowohl aus Kosten- als auch aus Nachhaltigkeitsgründen, führt Zinnow aus. Sie glaubt zwar an das Potenzial von digitalen Angeboten in der Zukunft, dennoch soll das Museum ihrer Meinung nach ein Ort bleiben, an dem die Aura des Originals erlebbar ist: "Die damit verbundene Ausbildung der menschlichen Sinne ist ein unschätzbarer Wert für die Entwicklung von Innovationen, für die Ausprägung von Kreativität, die unsere Gesellschaft in Zukunft benötigt." Chancen für einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen sieht die Direktorin hingegen bei der Ausstellungsarchitektur und in der Nutzung medialer Vermittlungsangebote anstelle von Printerzeugnissen.

Zeit der Blockbuster-Ausstellungen ist vorbei

Carina Plath, Kuratorin für Malerei und Skulptur und stellvertretende Direktorin am Sprengel Museum in Hannover, glaubt, dass die Zeit der großen Blockbuster-Ausstellungen vorbei ist: "Die Klimabelastung von internationalen Kunsttransporten gilt es gegen Kulturerfahrung und wirtschaftliche Wertschöpfung abzuwägen", findet sie. Im Sinne der Nachhaltigkeit sei es gut, die vorhandenen Ressourcen zu nutzen und kreativ mit der eigenen Sammlung umzugehen. Gleichzeitig glaubt Plath, dass es zu den zentralen Museumsaufgaben gehöre, Begegnungen mit Originalen zu ermöglichen: "Eine Person vor einem Werk, das in seiner künstlerischen Intention, seiner Materialität und seiner Historizität einzigartig ist, ist eine Situation, die nirgendwo anders so herzustellen ist."

Auch wenn die Museen im Norden das Thema Nachhaltigkeit längst auf dem Schirm haben, dem aktuellen Stimmungsbild bei verschiedenen Einrichtungen zufolge müssen sich die Besucherinnen und Besucher hier wohl nicht auf enorme Einschnitte oder Veränderungen einstellen. Wenigstens in der nahen Zukunft nicht.

 

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 22.04.2023 | 08:16 Uhr

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