"Gorch Fock": Der "weiße Schwan der Ostsee"
Als "weißer Schwan der Ostsee" bereist die "Gorch Fock" - das Segelschulschiff der Deutschen Marine - die Weltmeere. Ihre jüngste Sanierung entwickelte sich zum Debakel, sie dauerte sechs Jahre.
Zehntausende Gäste verfolgen am 23. August 1958 den Stapellauf der "Gorch Fock" im Hamburger Hafen. "Boben dat Leben steiht de Dod, aber boben den Dod steiht wedder dat Leben" (Über dem Leben steht der Tod, aber über dem Tod steht wieder das Leben) - mit diesen plattdeutschen Worten tauft die 14-jährige Ulli Kinau das erste Segelschulschiff der Bundesmarine auf den Namen ihres Onkels Gorch Fock, den bekannten Seefahrtsdichter.
Bau der "Gorch Fock": Aus Untergang der "Pamir" gelernt
Am 17. Dezember 1958 wird die "Gorch Fock" in Dienst gestellt, am 3. August 1959 sticht sie zu ihrer ersten Ausbildungsfahrt in See. Seither hat sie Hunderttausende Seemeilen zurückgelegt und alle Weltmeere befahren. Rund 300 Tonnen Eisenballast im Rumpf geben dem Schiff auf See eine besonders hohe Stabilität - theoretisch bis zu 90 Grad Krängung. Diese Bauweise ist auch eine Konsequenz aus dem Untergang der "Pamir" gewesen, bei dem 80 Seeleute ums Leben kamen. Das Segelschulschiff der Handelsmarine war 1957 in einem Hurrikan im Atlantik gesunken.
"Gorch Fock" ziert den Zehn-Mark-Schein
Spätestens ab 1963 ist die "Gorch Fock" auch allen Landratten ein Begriff: Millionenfach ziert sie bis zur Einführung des Euro die Rückseite des Zehn-Mark-Scheins. Mit ihren drei Masten, 23 Segeln und einer Gesamtlänge von fast 90 Metern ist die Bark schon bald ein gern gesehener Gast bei Hafenfesten wie dem Hamburger Hafengeburtstag, der Kieler Woche im Heimathafen des Schulschiffes oder der Hanse Sail in Rostock.
"Schwimmende Botschafterin"
Große Bedeutung hat die "Gorch Fock" aber nicht nur als Schulschiff: In der Welt fungiert sie als Deutschlands "schwimmende Friedensbotschafterin" - ganz im Gegensatz zu den anfänglichen Befürchtungen mancher Deutscher, mit der "Gorch Fock" würde erneut ein Kriegsschiff vom Stapel laufen. So reist das Schiff zum Beispiel 1974 als erster Truppenteil der Bundeswehr nach dem Zweiten Weltkrieg nach Polen und ist 1976 bei der 200-Jahr-Feier der amerikanischen Unabhängigkeit in New York zu Gast. Auf ihren Ausbildungsfahrten ist sie in den Häfen regelmäßig für Besucher geöffnet und auch viele Politiker nutzen das Segelschulschiff als repräsentativen Ort für diplomatische Begegnungen.
Kaum Komfort an Bord
Mehrmals wird die technische Ausstattung des Schulschiffs, zu dessen 223-köpfiger Besatzung ab 1989 auch Frauen gehören, modernisiert. Von Komfort an Bord kann dennoch keine Rede sein, Privatsphäre gibt es kaum. In den zwölf Quadratmeter großen Schlafsälen nächtigen 30 Personen in Hängematten über- und nebeneinander. Extreme Wetterbedingungen mit Sturm und hohen Wellen sowie lange Nachtwachen an Deck oder anstrengende Übungen sind Alltag auf der "Gorch Fock".
Tod einer Kadettin löst Diskussionen aus
Jahrzehntelang ist das Schiff der Stolz und das Aushängeschild der Deutschen Marine. Doch dann ereignen sich zwei folgenreiche Unglücksfälle. Am 3. September 2008 geht die 18 Jahre alte Kadettin Jenny Böken über Bord und stirbt, im November 2010 stürzt die 25-jährige Kadettin Sarah Lena Seele während einer Ausbildungsfahrt aus der Takelage in den Tod.
Der Unfall löst heftige Diskussionen über die Bedingungen an Bord aus. Der Kommandant verliert seinen Posten, die Ausbildungsfahrten werden ausgesetzt. Erst im November 2012 bricht die "Gorch Fock" unter dem neuen Kapitän Helge Risch und mit einem modernisierten Ausbildungskonzept erneut mit Kadetten an Bord in See. Im Juni 2014 übernimmt Fregattenkapitän Nils Brandt das Kommando.
Schwere Schäden an der "Gorch Fock": Kosten explodieren
Zum Jahreswechsel 2015/16 kommt die "Gorch Fock" zur Überprüfung in die Elsflether Werft bei Bremerhaven. Dort werden schwere Schäden festgestellt. Anfänglich geht man von geschätzten zehn Millionen Euro Sanierungskosten aus, doch nach und nach zeigt sich: Die Instandsetzung wird rund 135 Millionen Euro verschlingen. Die Werft beantragt Insolvenz. Trotzdem wird die Sanierung fortgesetzt, im Juni 2019 schwimmt der Rumpf wieder. Die weiteren Arbeiten übernimmt die Lürssen-Werft.
"Gorch Fock" nach sechsjähriger Sanierung zurück im Heimathafen Kiel
Am Werft-Standort Berne wird die "Gorck Fock" am 10. März 2021 ausgedockt und zum Standort Lemwerder überführt, dort erfolgen letzte Arbeiten an den Innenausbauten. Außerdem bekommt der Dreimaster seine Segel zurück. Eine erste Probefahrt nach der Verlegung nach Wilhelmshaven Anfang September muss wegen eines defekten Ventils im Motor allerdings abgebrochen werden, wird nach der Reparatur aber eine Woche später erfolgreich nachgeholt. Am 30. September schließlich hat die Marine das Segelschulschiff offiziell zurückbekommen. Rund sechs Jahre haben die Sanierungsarbeiten an der "Gorch Fock am Ende gedauert, bis das Segelschulschiff in seinen Heimathafen Kiel zurückgekehrt ist. Nun können wieder Ausbildungstörns stattfinden. Regelmäßig wird das Schiff von den Menschen verabschiedet und bei seiner Rückkehr wieder empfangen. Von 2022 bis 2024 ist Andreas-Peter Graf von Kielmansegg Kommandant der "Gorch Fock". Sein Nachfolger wird Elmar Bornkessel, der in den vergangenen Jahren schon einige Posten an Bord des Schiffes gehabt hat.
Am 16. April 2024 beginnt am Landgericht Oldenburg ein Mammutverfahren: Es geht in dem Prozess unter anderem um Betrugs- und Korruptionsvorwürfe. Denn bei der Sanierung des Segelschulschiffs habe es "eine Kette von Fehlern" gegeben, so die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Am 1. Oktober 2024 werden die vorerst letzten Urteile gesprochen. Der ehemalige Werft-Vorstand muss wegen Untreue und Betrugs in besonders schwerem Fall sowie Insolvenzverschleppung für vier Jahre ins Gefängnis.
Hinweis der Redaktion: Mit "Gorch Fock" ist in diesem Kontext die "Gorch Fock" (II) gemeint.