Der "Koloss" von Rügen: Größenwahn der Nazis in Prora
Als "Seebad der 20.000" hatten die Nazis die riesige Anlage im Binzer Ortsteil Prora auf der Insel Rügen geplant. Lange Zeit verfielen die denkmalgeschützten Gebäude - inzwischen sind sie wieder interessant.
Viereinhalb Kilometer misst das längste Bauwerk der Nationalsozialisten. Auf der Insel Rügen legt die NS-Organisation Kraft durch Freude (KdF) am 2. Mai 1936 den Grundstein für die Ferienanlage in Prora, die aus acht aneinandergereihten baugleichen Häuserblocks besteht. Dabei handelt es sich um eines der wenigen Monumentalprojekte der Nationalsozialisten, das zumindest zum Teil verwirklicht worden ist. Die vorrangig vom Architekten Clemens Klotz entworfene Anlage an der Ostsee zwischen den Orten Binz und Sassnitz dokumentiert eindrucksvoll den Größenwahn der NS-Zeit. Der Gesamtentwurf wird auf der Weltausstellung in Paris 1937 sogar mit dem Grand Prix ausgezeichnet.
Größenwahn-Ferienanlage in Prora: Alle Zimmer mit Meerblick
In Prora soll sich der deutsche Arbeiter zu günstigen Preisen erholen und neue Kraft tanken. Der "Koloss von Rügen", nur 150 Meter vom Strand entfernt, ist für 20.000 Menschen konzipiert. Jeder der acht Blöcke - ursprünglich sind sogar neun geplant - ist 550 Meter lang und verfügt über sechs Stockwerke. 10.000 Zimmer sollen am Ende fertiggestellt sein. Die geplante Ausstattung der nur 2,5 mal 5 Meter großen Zimmer ist - gemessen an heutigen Maßstäben - sehr einfach gehalten: zwei Betten, eine Sitzecke, ein Schrank und ein Waschbecken. Sanitäre Einrichtungen befinden sich in den Treppenhäusern der Blocks. Aufgrund der langgezogenen Bauweise bekommt jedes Zimmer Meerblick. Die Kosten für das Projekt werden damals auf etwa 237 Millionen Reichsmark taxiert, die heute rund 850 Millionen Euro entsprächen.
Im Zweiten Weltkrieg gesprengt, aber nicht zerstört
Der Zweite Weltkrieg verhindert allerdings eine Nutzung Proras als Ferienanlage. 1939 ist lediglich der Rohbau fertig, nicht jedoch die Schwimmbäder, die große Festhalle und die meisten Wirtschaftsgebäude. Geplant sind eigentlich auch ein Aufmarschplatz und Kaianlagen, die ein Anlegen von Seebäderschiffen ermöglichen sollen. Die Nazis stoppen die Bauarbeiten zu Kriegsbeginn. Sie nutzen Prora als Ausbildungsstätte für Luftwaffenhelferinnen und ein Polizeibataillon. 1943 werden Teile der südlichen Blocks ausgebaut, um Ersatzquartiere für ausgebombte Hamburger zu schaffen. Von 1944 an dient die Anlage der Wehrmacht als Lazarett. Gegen Ende des Krieges finden dort auch Flüchtlinge aus den früheren Ostgebieten eine Bleibe.
1945 sprengt die Rote Armee Teile des Nordflügels, die jedoch lediglich schwer beschädigt, nicht aber zerstört werden. Etwa 2,5 Kilometer Gebäude sind daraufhin noch nutzbar, die restlichen zwei Kilometer Ruine.
Prora zu DDR-Zeiten: Bis zu 10.000 NVA-Soldaten stationiert
Nachdem die Sowjetunion im Mai 1945 die Kontrolle über Rügen übernimmt, wird die Anlage zur Internierung von Grundbesitzern und weiterhin zur Unterbringung von Heimatvertriebenen aus den ehemaligen Ostgebieten genutzt. Teile der Anlagen werden für den Abtransport als Kriegsreparationen demontiert. Zwischen 1948 und 1953 nutzt die Rote Armee die Bauten.
Später zieht die Nationale Volksarmee (NVA) der DDR in die Anlage. Das umliegende Areal wird über Jahrzehnte zum Sperrgebiet und somit unzugänglich für die Öffentlichkeit. Bis zu 10.000 NVA-Soldaten werden in Prora stationiert sowie ausgebildet und geschult. 1969 wird eine Technische Unteroffiziersschule gegründet. In den 1980er-Jahren sind zudem bis zu 500 Bausoldaten zeitgleich dort untergebracht. Sie arbeiten am Bau des Fährhafens Mukran. Der südlichste Teil der Anlage steht Angehörigen von NVA und Grenztruppen als Erholungsheim, Kinderferienlager und Ferienort zur Verfügung.
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 übernimmt die Bundeswehr die Anlage, stellt die Nutzung Ende 1992 aber ein und verlässt Prora. Seit Anfang 1993 ist das Gelände öffentlich zugänglich. 1994 wird Prora unter Denkmalschutz gestellt.
Museen erzählen Geschichte des Koloss von Rügen
Die Anlage fristet lange Zeit ein stiefmütterliches Dasein und wird unterschiedlich genutzt. Privatleute ergreifen 1994 die Initiative und gründen die Museumsmeile Prora, die neben Museen auch Cafés, Galerien und Ausstellungen umfasst. Noch heute können sich Interessierte in verschiedenen Ausstellungen über die DDR informieren. Außerdem ist in den Gebäuden unter anderem das Dokumentationszentrum Prora untergebracht, das im Jahr 2000 gegründet worden ist. Es zeigt unter anderem die Dauerausstellung MACHTUrlaub, die Prora und die staatliche Organisation der Freizeit im Nationalsozialismus in den machtpolitischen Rahmen einordnet. Außerdem gibt es eine Sonderausstellung zu den Plänen des Seebades.
Zusätzlich gibt es das Prora-Zentrum, das sich seit 2003 mit der NS- und DDR-Geschichte befasst. Das Zentrum gerät im Laufe der Zeit in finanzielle Schwierigkeiten und muss 2024 Insolvenz anmelden.
Über diese Nutzungen hinaus stehen die meisten Blöcke lange leer und verfallen.
Prora heute: Längste Jugendherberge der Welt
Im Jahr 2003 findet das Jugendtreffen "Prora03" auf Rügen statt. Damals kommen rund 15.000 Jugendliche. Daraufhin entsteht die Idee, die Ruine in eine Jugendherberge umzubauen. Die Pläne sind Jahre später Realität geworden: Am 4. Juli 2011 wird die Herberge mit 100 Zimmern und 400 Betten am Nordende der Prora-Bauten in Block V eröffnet. Sie ist die größte Mecklenburg-Vorpommerns und die längste der Welt. Ein internationaler Jugendzeltplatz mit 250 Plätzen besteht bereits seit September 2007.
In unmittelbarer Nachbarschaft der ehemaligen KdF-Anlage befindet sich seit 2013 das Naturerbe-Zentrum, das mit seinem Baumwipfelpfad ein Touristenmagnet geworden ist.
Moderner Komfort zieht in Prora ein
Nach und nach werden Gebäudeteile verkauft und anschließend saniert - wie etwa die Blöcke I und II. Ein Investor zahlt etwa für Block I Ende März 2012 bei einer Versteigerung 2,75 Millionen Euro. In dem Komplex entstehen unter anderem etliche Eigentums- und Ferienwohnungen sowie ein Hotel. Die Architekten müssen dabei den Denkmalschutz berücksichtigen und trotzdem modernen Wohnkomfort in den geschichtsträchtigen Wänden gewährleisten. Die Preise für diese zumeist luxuriösen Wohnungen erreichen bis zu 6.500 Euro pro Quadratmeter. Kritiker sprechen von Wohnraum für die "oberen Zehntausend".
Der Blick auf die Ostsee ist aber wie schon in den 1930er-Jahren eigentlich unbezahlbar. Heute wie damals fasziniert und verstört Prora mit seinem Monumentalbau die Menschen.
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version hatten wir geschrieben, dass das Dokumentationszentrum Prora 2024 Insolvenz angemeldet habe. Tatsächlich handelt es sich aber um das Prora-Zentrum. Wir haben die Passage angepasst und bitten, den Fehler zu entschuldigen.