Blick auf die Strecke zwischen Landungsbrücken und Baumwall im Juni 1912 © Hochbahn Hamburg

Wie Hamburgs Untergrund in Fahrt kam

Stand: 07.03.2022 09:20 Uhr

Am 15. Februar 1912 eröffnet in Hamburg die erste U-Bahnlinie - eine technische Meisterleistung nach nur sechs Jahren Bauzeit. Buchstäblich zügig nimmt eine Erfolgsgeschichte ihren Lauf.

von Irene Altenmüller, NDR.de

"Wir Hamburger sind nicht immer rasch von Entschluss, aber was wir in Angriff nehmen, pflegt gut zu werden. Für alle Hamburger ist die Hochbahn geschaffen - und allen soll sie nützen." Hamburgs Erster Bürgermeister, Johann Heinrich Burchard, zeigt sich stolz und zufrieden, als am 15. Februar 1912 die erste U-Bahnlinie der Hansestadt eröffnet. Die neueste technische Errungenschaft soll nicht nur viele Verkehrsprobleme der wachsenden Stadt lösen, sie hat auch einen wichtigen ideellen Stellenwert für die Bürger: Hamburg ist nach Berlin die zweite Stadt in Deutschland mit einer Hoch- und Untergrundbahn - und sieht sich nun in einer Reihe mit Metropolen wie London, Paris und New York, die ebenfalls bereits eine U-Bahn besitzen.

58 Viadukte, Brücken und Tunnel, sechs Jahre Bauzeit

Die erste Teilstrecke verbindet Barmbek mit dem Rathausmarkt und läuft zunächst im zweiwöchigen kostenlosen Probelauf. Am 1. März nimmt die neue Hochbahn dann auch offiziell ihren Betrieb auf. In kurzen Abständen eröffnen die weiteren Teilabschnitte der als Ringlinie angelegten Trasse: Am 10. Mai 1912 geht das Teilstück Barmbek - Kellinghusenstraße in Betrieb, am 25. Mai die Strecke zwischen Kellinghusenstraße und Millerntor (heute: St. Pauli) und am 29. Juni der letzte Abschnitt zwischen Millerntor und Rathausmarkt - die Ringlinie ist nun geschlossen. Sie führt über 23 Haltestellen und passiert auf ihrem Rundkurs von Barmbek über die Innenstadt, den Hafen, Eimsbüttel und Eppendorf 58 Brücken, Tunnel und Viadukte. Ein eigens für die Hochbahn erbautes Kraftwerk in Barmbek liefert die notwendige elektrische Energie.

Fünf Stationen für zehn Pfennig, Kinder zahlen vollen Preis

Zehn Pfennig kostet eine Fahrt im Abteil der dritten Klasse, der sogenannten Holzklasse, für bis zu fünf Stationen. 15 Pfennig zahlen die Fahrgäste in der mit Linoleum-Fußboden und Kunstleder-Polstern ausgestatteten zweiten Klasse. Längere Fahrten sind entsprechend teurer, Kinder zahlen den vollen Fahrpreis. Die Fahrkarten gibt es an speziellen Verkaufshäuschen an den Eingängen der Stationen. Obwohl es auch verbilligte Vielfahrerkarten gibt, kann sich bei diesen Preisen nicht jeder das neue Verkehrsmittel problemlos leisten: Ein einfacher Arbeiter verdient zu Beginn des 20. Jahrhunderts rund 27 Mark die Woche, ein Maurer etwa 40 Mark.

Eine erste Klasse gibt es bei der neuen Hochbahn übrigens nur theoretisch. In der Logik der damaligen Zeit wäre sie dem Kaiser vorbehalten gewesen.

Bis zu 150.000 Fahrgäste am Tag

Trotz der relativ teuren Tarife ist der Ansturm auf das neue Verkehrsmittel riesig: Bereits nach wenigen Wochen nutzen jeden Tag mehr als 100.000 Fahrgäste die U-Bahn, an Sonntagen sind es sogar bis zu 150.000. Um das große Fahrgast-Aufkommen zu bewältigen, muss die Hochbahn schon bald weitere Triebwagen bestellen. Mit ihren zwei 100 PS starken Motoren für 800 Volt Gleichstromspannung können die sogenannten T1-Modelle die relativ starke Steigung beim Mönkedammfleet hinauf zum Rödingsmarkt problemlos überwinden. Die Bahn fährt bereits ähnlich schnell wie heute: Von Barmbek bis zu den Landungsbrücken dauert es nur 21 Minuten, heute sind es 19.

Hamburg um 1900: Wachsende Stadt, knapper Wohnraum

Sandtorhafen, etwa 1889: Seeschiffe liegen umringt von kleineren Schuten an der Kaimauer, dahinter die gerade errichtete Speicherstadt. © Hamburger Hafen und Logistik AG
Um die Jahrhundertwende müssen viele Hamburger aus der Innenstadt weichen, weil die Speicherstadt entsteht.

Viele Hamburger hatten die neue U-Bahn geradezu herbeigesehnt, um die Verkehrsprobleme der wachsenden Stadt zu lösen: Hamburg boomt, alte Wohnviertel in der Innenstadt mussten neuen Gebäuden oder Lagerkomplexen weichen. Allein durch den Bau der Speicherstadt sind 24.000 Wohnungen verloren gegangen, weitere alte Wohnviertel hat die Stadt nach der Cholera-Epidemie 1892 planieren lassen. Zehntausende Arbeiter und Angestellte müssen in die Peripherie umsiedeln, in ehemaligen Dörfern wie Barmbek, Eilbek, Hamm oder Eimsbüttel entstehen neue Wohnviertel. Arbeiter und Angestellte, die im Hafen und in der Innenstadt arbeiten, müssen lange Wege zu ihren Arbeitsstätten bewältigen. Bereits um 1890 pendeln täglich rund 50.000 Menschen allein zu den Betrieben im Freihafen und zurück. Und Hamburgs Bevölkerung wächst weiter: Allein zwischen 1890 und 1900 um durchschnittlich zwölf Prozent im Jahr.

Schwebebahn, Straßenbahn oder Hochbahn?

Ende des 19. Jahrhunderts beginnt die Stadt damit, Ideen für den Aufbau eines modernen Nahverkehrsnetzes zu sammeln. Darunter sind auch Vorschläge für eine Schwebebahn nach Wuppertaler Vorbild und für eine "Unterpflasterstraßenbahn", die das bereits bestehende Straßenbahnnetz ergänzt. Die Wahl fällt schließlich auf eine elektrisch betriebene Hoch- und Untergrundbahn, die größtenteils oberirdisch auf Wällen und Viadukten verläuft. Die Pläne stammen von zwei damals führenden Unternehmen der noch jungen Elektrotechnik, der Siemens & Halske AG und der Allgemeinen Elektrizitaets Gesellschaft (AEG). Im Juni 1906 genehmigt der Senat den Bauvertrag und bewilligt insgesamt rund 55 Millionen Mark für den Bau. Am 7. Oktober 1906 beginnen die Bauarbeiten.

Tunnelbau - eine technische Herausforderung

Arbeiter beim Bau des U-Bahntunnels zwischen Moorkamp und Christuskirche am 13. August 1910 © Hochbahn Hamburg
Schaufeln, Hacken, eine Lorenbahn zum Abtransport des Schuttts und viel Muskelkraft: Mit einfachen Mitteln gruben die Arbeiter die Tunnel der Ringlinie, wie hier zwischen Moorkamp und Christuskirche im August 1910.

Die Pläne sehen eine Ringlinie mit mehreren Erweiterungslinien vor. Nur im innerstädtischen, dicht bebauten Bereich soll die Trasse unterirdisch verlaufen. Tunnel sind sehr teuer und bautechnisch schwierig, besonders in einer wasserreichen Stadt wie Hamburg. Die insgesamt sieben Kilometer Tunnel entstehen in offener Bauweise: Die Straßen, unter denen die Strecke verlaufen soll, werden aufgerissen und die Arbeiter heben mit Schaufeln, Schubkarren und kleinen Dampfbaggern große Gruben aus. Mit Stahlträgern und Holzbohlen werden die Tunnelwände geschalt und mit Beton ausgegossen.

Víaduktbau: Knochenarbeit für Schwindelfreie

Auch die Arbeit an den stählernen Viadukten ist kompliziert: Dazu errichten die Stahlbauer zunächst hölzerne Gerüste. Mit Winden und Dampfkränen wuchten sie die stählernen Einzelteile in die Höhe. Nieter stehen auf den Trägern oder auf den Gerüsten und fügen die Stahlteile mit Vorschlag- oder Presslufthammern in mehreren Arbeitsschritten zusammen. Die Hauptlast der Viadukte tragen Eisenbetonpfähle, die ebenfalls vor Ort gefertigt werden. Den längsten Teil der Strecke, rund zwölf Kilometer, verläuft die Trasse aber über Erdwälle. Millionen Kubikmeter Erde, Sand und Geröll müssen dafür bewegt werden. Die meisten Tätigkeiten sind noch Handarbeit, außer kleinen Loren und Baggern gibt es kaum technische Hilfsmittel. Zehn bis zwölf Stunden täglich schuften die Arbeiter, an sechs Tagen die Woche.

Zweiglinien, Nachtbusse und eine zweite U-Bahnlinie

Eine Hochbahnmitarbeiterin am Stellwerk Ohlsdorf (historisches Bild vom 7. Oktober 1916) © Hochbahn Hamburg
Eine Mitarbeiterin am Stellwerk in Ohlsdorf. Während des Ersten Weltkriegs arbeiten viele Frauen bei der Hochbahn - die Männer sind an der Front.

Nach der Fertigstellung der Ringlinie gehen die Arbeiten an den geplanten Ergänzungslinien weiter. Schon 1913 ist die erste Zweigstrecke nach Eimsbüttel fertig, 1914 eröffnet die Zweiglinie nach Ohlsdorf, die den Hauptfriedhof anbindet. Ab 1918 werden die Zweigstrecken mehrmals verlängert. Ab 1921 ergänzen Omnibusse das Angebot, 1925 kommt eine erste Nachtbuslinie hinzu. 1931 eröffnet mit der KellJung-Linie, die heute ein Teil der U 1 ist, eine zweite schnelle Verbindung in Richtung Innenstadt.

Starke Beschädigungen im Zweiten Weltkrieg

Im Zweiten Weltkrieg werden große Teile des Streckennetzes schwer beschädigt, viele U-Bahnwagen verbrennen. Erst ab 1950 ist die Ringlinie wieder komplett befahrbar, die zerstörte Zweiglinie nach Rothenburgsort wird nach dem Krieg komplett stillgelegt. Ab den 60er-Jahren baut die Hochbahn ihr Netz weiter aus. Schrittweise werden die neuen Wohnsiedlungen im Osten ebenso angeschlossen wie das heute zu Norderstedt gehörende Garstedt nördlich von Hamburg. Gleichzeitig wächst auch das S-Bahnnetz. 1965 schließen sich Hamburger Hochbahn AG, S-Bahn, HADAG und die Verkehrsbetriebe Schleswig-Holstein zum Hamburger Verkehrsverbund (HVV) zusammen. Die Fahrgäste können jetzt Tickets lösen, die für alle Verkehrsmittel gelten.

VIDEO: Angestellte der Hamburger Hochbahn erhalten neue Uniformen (2 Min)

Der Netz-Ausbau geht weiter

Bis heute geht der Ausbau des Streckennetzes weiter. Im Herbst 2012 etwa nahm die Linie U4 ihren Betrieb auf. Sie verbindet seither die Hafencity mit der Hamburger Innenstadt und soll weiter verlängert werden. Ein weiteres Großprojekt ist der Bau der U-Bahnlinie 5. Sie soll nach der kompletten Fertigstellung auf rund 24 Kilometern Strecke von Bramfeld über die City Nord zum Hauptbahnhof führen und von dort durch die Innenstadt über Universität und das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf bis zu den Arenen und zum Volkspark in Stellingen.

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Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 06.03.2022 | 19:30 Uhr

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