Ein ganz großer Wurf: Premiere von "Cabaret" in Oldenburg
Es geht um Lebenslust, Romantik und Spaß - bis die Stimmung kippt und sich politische Botschaften in das bunte Leben mischen. Eine mitreißende und zugleich nachdenklich stimmende Premiere von "Cabaret" am Staatstheater Oldenburg.
"Das Leben ist ein Cabaret", so heißt es im Titelsong. Das Treiben auf der Glitzerbühne ist ausgelassen, divers, anzüglich und provokant. Es steht für die Freiheit und Vielfalt des Lebens. Regisseurin Katja Wolff setzt zunächst ein schrilles Kaleidoskop in Szene, lässt überbordende gute Laune zu, als Kontrast zu dem, was sich später zusammenbraut: "Ein Ort, wo sich Menschen jeglicher Couleur, jeglicher sexuellen Orientierung in einem geschützten Rahmen treffen können, in einem geschützten Raum und das leben können, was sie leben wollen. Und dieser Raum ist in Gefahr."
Nach Lebenslust und Romantik braut sich etwas zusammen
Zu den Klängen der von Jazz und Ragtime inspirierten Musik finden sich in Berlin die englische Barsängerin Sally und der erfolglose amerikanische Schriftsteller Cliff. Sie werden ein Paar im Chaos zwischen Geldnot und Lebenslust, Prostitution und Romantik, Sehnsucht und Hoffnung.
Und noch ein Paar findet zusammen: die ältliche Zimmervermieterin und der auch schon betagte Obsthändler von nebenan. Auf ihrer Verlobungsfeier wird aber deutlich, dass diese beiden keine gemeinsame Zukunft haben, denn er ist Jude. Völkischer Gesang erhebt sich.
Klare politische Botschaft
Die Stimmung kippt, die Komödie ist vorbei. Plötzlich singen viele mit, von denen man es nicht gedacht hätte. Auch Freunde und Bekannte von Sally und Cliff entpuppen sich als Anhänger einer neuen Rechten Partei.
Regisseurin Wolff braucht für diese Szene keine Braunhemden und keine Hakenkreuze. Der beklemmende Effekt ist zeitlos, sagt sie, und so hat sie ihn auch inszeniert, eben nicht als Rückblick mit leicht abschüttelbarem Gruseln: "Man guckt dem so zu und sagt: Ja, ja, das war schon scheiße in den 30er-Jahren. Dann kamen die Nazis, oh, oh. Aber wie ist es heute? Was soll ich mich in den 30er-Jahren aufhalten? Ich kann nur sagen: Augen auf, wehret den Anfängen!"
Angefasste Reaktionen im Publikum
Die Warnung vor der neuen Rechten als Bildungsauftrag des Theaters. Was sagt das Publikum dazu? "Es spricht unsere Gegenwart an", so eine Zuschauerin. Ein anderer Besucher sagt: "Viele junge Leute sollen sich so ein Stück angucken oder sollten sich auch mit der ganzen Thematik beschäftigen. Wer die Zukunft verstehen will, der muss aus der Geschichte lernen." Eine Frau aus dem Publikum erzählt sehr nachdenklich: "Es wurde auch die Remigration genannt. Ich habe richtig Herzklopfen gekriegt, muss ich sagen. Ich saß da und dachte: Oh! Aber das war ja auch gewollt - und es ist gelungen."
Gelungene Inszenierung
Gelungen ist zweifellos die gesamte Inszenierung, ein ganz großer Wurf. Das Staatstheater bietet eine reife Leistung aus Schauspiel, Gesang und Tanz, teils mit Hilfe auswärtiger Gäste, unterstützt vom musikalischen Leiter der Produktion, Eric Staiger, und bestens aufgehoben im zeitlosen Bühnenbild und herrlichen Cabaret-Kostümen. Es gibt viel zu lachen, zu genießen, zum Mitwippen - und zum Fürchten. Das Leben mag ein Cabaret sein. Aber, so lautet die Botschaft, die durchaus ankommt: Draußen, außerhalb des Theaters, gibt es auch noch eine Welt.