Menschen in roten Kostümen stehen bei der Premiere von "Cabaret" auf der Bühne des Oldenburgischen Staatstheaters. © Stephan Walzl
Menschen in roten Kostümen stehen bei der Premiere von "Cabaret" auf der Bühne des Oldenburgischen Staatstheaters. © Stephan Walzl
Menschen in roten Kostümen stehen bei der Premiere von "Cabaret" auf der Bühne des Oldenburgischen Staatstheaters. © Stephan Walzl
AUDIO: Ein ganz großer Wurf: Premiere von "Cabaret" in Oldenburg (3 Min)

Ein ganz großer Wurf: Premiere von "Cabaret" in Oldenburg

Stand: 27.10.2024 11:20 Uhr

Es geht um Lebenslust, Romantik und Spaß - bis die Stimmung kippt und sich politische Botschaften in das bunte Leben mischen. Eine mitreißende und zugleich nachdenklich stimmende Premiere von "Cabaret" am Staatstheater Oldenburg.

von Gerhard Snitjer

"Das Leben ist ein Cabaret", so heißt es im Titelsong. Das Treiben auf der Glitzerbühne ist ausgelassen, divers, anzüglich und provokant. Es steht für die Freiheit und Vielfalt des Lebens. Regisseurin Katja Wolff setzt zunächst ein schrilles Kaleidoskop in Szene, lässt überbordende gute Laune zu, als Kontrast zu dem, was sich später zusammenbraut: "Ein Ort, wo sich Menschen jeglicher Couleur, jeglicher sexuellen Orientierung in einem geschützten Rahmen treffen können, in einem geschützten Raum und das leben können, was sie leben wollen. Und dieser Raum ist in Gefahr."

Nach Lebenslust und Romantik braut sich etwas zusammen

Menschen in bunten Kostümen stehen bei der Premiere von "Cabaret" auf der Bühne des Oldenburgischen Staatstheaters. © Stephan Walzl
Die Premiere von "Cabaret" am Oldenburgischen Staatstheater spielt auf hochaktuelle Themen an.

Zu den Klängen der von Jazz und Ragtime inspirierten Musik finden sich in Berlin die englische Barsängerin Sally und der erfolglose amerikanische Schriftsteller Cliff. Sie werden ein Paar im Chaos zwischen Geldnot und Lebenslust, Prostitution und Romantik, Sehnsucht und Hoffnung.

Und noch ein Paar findet zusammen: die ältliche Zimmervermieterin und der auch schon betagte Obsthändler von nebenan. Auf ihrer Verlobungsfeier wird aber deutlich, dass diese beiden keine gemeinsame Zukunft haben, denn er ist Jude. Völkischer Gesang erhebt sich.

Klare politische Botschaft

Die Stimmung kippt, die Komödie ist vorbei. Plötzlich singen viele mit, von denen man es nicht gedacht hätte. Auch Freunde und Bekannte von Sally und Cliff entpuppen sich als Anhänger einer neuen Rechten Partei.

Regisseurin Wolff braucht für diese Szene keine Braunhemden und keine Hakenkreuze. Der beklemmende Effekt ist zeitlos, sagt sie, und so hat sie ihn auch inszeniert, eben nicht als Rückblick mit leicht abschüttelbarem Gruseln: "Man guckt dem so zu und sagt: Ja, ja, das war schon scheiße in den 30er-Jahren. Dann kamen die Nazis, oh, oh. Aber wie ist es heute? Was soll ich mich in den 30er-Jahren aufhalten? Ich kann nur sagen: Augen auf, wehret den Anfängen!"

Angefasste Reaktionen im Publikum

Die Warnung vor der neuen Rechten als Bildungsauftrag des Theaters. Was sagt das Publikum dazu? "Es spricht unsere Gegenwart an", so eine Zuschauerin. Ein anderer Besucher sagt: "Viele junge Leute sollen sich so ein Stück angucken oder sollten sich auch mit der ganzen Thematik beschäftigen. Wer die Zukunft verstehen will, der muss aus der Geschichte lernen." Eine Frau aus dem Publikum erzählt sehr nachdenklich: "Es wurde auch die Remigration genannt. Ich habe richtig Herzklopfen gekriegt, muss ich sagen. Ich saß da und dachte: Oh! Aber das war ja auch gewollt - und es ist gelungen."

Gelungene Inszenierung

Gelungen ist zweifellos die gesamte Inszenierung, ein ganz großer Wurf. Das Staatstheater bietet eine reife Leistung aus Schauspiel, Gesang und Tanz, teils mit Hilfe auswärtiger Gäste, unterstützt vom musikalischen Leiter der Produktion, Eric Staiger, und bestens aufgehoben im zeitlosen Bühnenbild und herrlichen Cabaret-Kostümen. Es gibt viel zu lachen, zu genießen, zum Mitwippen - und zum Fürchten. Das Leben mag ein Cabaret sein. Aber, so lautet die Botschaft, die durchaus ankommt: Draußen, außerhalb des Theaters, gibt es auch noch eine Welt.

Weitere Informationen
Georg Heckel im Porträt © Matthias Jung

Oldenburgs Generalintendant Georg Heckel: Wach und zugänglich

Das Oldenburgische Staatstheater ist in seine neue Spielzeit gestartet - mit neuem Generalintendanten. Ein Porträt des Nachfolgers von Christian Firmbach. mehr

Der Schauspieler Tobias Schormann als Ismene, die Schwester von Antigone auf einer Bühne. © Oldenburgisches Staatstheater Foto: Stephan Walzl
4 Min

"Antigone/Schwester von": Mutiger Doppelabend mit Perspektivwechsel

Das Oldenburgische Staatstheater präsentiert Antigone und die gleiche und dabei völlig andere Geschichte aus der Sicht ihrer Schwester. 4 Min

Die Kostümschneiderin Regine Meinardus hängt ein Kleid an eine Kleiderstange. © NDR Foto: Helgard Füchsel

Schneiderin am Theater: Mit Nadel und Faden für die Illusion

Bei ihr werden Handwerker zu Eseln und Männer zu Frauen. Die Kostümschneiderin Regine Meinardus hat viele Tricks auf Lager. mehr

Ein Mann lacht in die Kamera © Oldenburgisches Staatstheater / Stephan Walzl

Intendant Christian Firmbach: Gehen, wenn es am schönsten ist

Der Intendant des Oldenburgischen Staatstheaters hat in den letzten zehn Jahren das Theaterhaus für die breite Masse geöffnet. mehr

Blick von den oberen Rängen ins gut besuchte Oldenburgische Landestheater. © Screenshot
2 Min

Oldenburg feiert Opernball und verabschiedet Intendanten

Christian Firmbach war seit der Spielzeit 2014/15 Generalintendant des Oldenburgischen Staatstheaters. Nun nahm er Abschied. 2 Min

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Sonntag | 27.10.2024 | 09:20 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Oldenburg

Theater

Oper

Rechtsextremismus

AfD

Hände halten ein Smartphone auf dem der News-Channel von NDR Kultur zusehen ist © NDR.de

WhatsApp-Channel von NDR Kultur: So funktioniert's

Die Kultur Top-News aus Norddeutschland direkt aufs Smartphone: NDR Kultur ist bei WhatsApp mit einem eigenen Kanal aktiv. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Szene aus dem Film: "Alter weißer Mann" © 2024 LEONINE Studios

Komödie "Alter weißer Mann": Überfordert vom Zeitgeist

Regisseur Simon Verhoeven ist eine generationsübergreifende, überaus sympathische Gesellschaftskomödie gelungen. mehr