"Prolog/Dionysos": Starker Auftakt der Antiken-Serie in Hamburg
Die Antike ist immer noch lebendig - und ihre Geschichten sind hochtoxisch. Das zeigte am Freitag die Uraufführung von "Prolog/Dionysos" am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Es war der Auftakt zu einer fünfteiligen Antiken-Serie.
Eine Frau hat ihren Sohn getötet: zerrissen, zerfetzt. Im glitzernden Ballkleid steht sie da. Es war im Wahn. Und langsam realisiert sie, was sie getan hat, blutüberströmt. Sie lacht wie eine Wahnsinnige.
Lina Beckmann, zu ihren Füßen der blutige Kopf des Sohnes. Eimerweise Leichenteile. Willkommen in "Anthropolis", in der Welt der Antike, der Welt des Rausches, des Wahns, des Übermuts. Es ist der schmerzhafteste, erschütterndste Augenblick an diesem Abend. Darüber geht nichts. "Das waren so unfassbar große Bilder, trotzdem ist die Geschichte erzählt worden - ich bin völlig weggeknallt", erzählt ein Zuschauer später. Ein anderer Zuschauer resümiert nach dem Stück: "Es geht vor allem darum, wie schnell Menschen dem Wahnsinn verfallen können."
"Prolog/Dionysos": Leg' dich nicht mit einem Gott an
Der Fehler dieser armen Menschen: Sie haben einen Gott missachtet - Dionysos, den Gott des Weins, des Feierns, der Lust. Carlo Ljubek spielt ihn mit weißer Schminke, Frauenperücke und einem Lächeln unter dem Lippenstift, bei dem einem das Blut gefriert. Man lernt: Leg' dich nicht mit einem Gott an.
Dabei hatte der Abend so leise, so sanft begonnen: Michael Wittenborn erzählt, in Alltagskleidung, eine uralte Geschichte. Den Raub der Königstochter Europa durch Zeus in Gestalt eines Stiers. Das Tolle: Es findet alles im eigenen Kopf statt. Eine Welt aus Worten.
Der Bau der Welt, in der wir heute leben
Dann geht der Vorhang hoch - und wir sehen dem Gründungsmythos unserer Zivilisation zu. Im Nebel kehren ein paar halbnackte Männer und eine Frau Mulch zusammen. Von oben fällt Regen. Sie bauen sich eine Stadt. Sie bauen unsere Welt, in der wir heute leben. Es ist eine Welt, die von vornherein auf Gewalt basiert. Eine Welt des Handels, des Streites und auch: der Freude.
Diesen ersten Teil des zweiteiligen Abends, den Prolog, den Roland Schimmelpfennig geschrieben hat, hat Karin Beier mit großem Atem inszeniert. Dabei gibt es immer wieder sehr witzige Brüche, ein Augenzwinkern ins Publikum, nach dem Motto: ist alles nicht so ernst gemeint. Ist es aber - das ist der Trick. Und er funktioniert, auch dank des großartigen Ensembles.
Lina Beckmann im Alice-Weidel-Look
Den zweiten Teil leitet Lina Beckmann ein, mit der vielleicht umwerfendsten Weinverkostung der Theatergeschichte. Sie, mit Alice-Weidel-haftem blonden Dutt, Brille und Reitstiefeln, betrinkt sich heillos und setzt damit den Ton: Wieviel Rausch, wie viel Irrationalität, auch Verschwörungsmythen akzeptieren wir? Ist die Erde eine Scheibe? Gibt es den Klimawandel?
Regisseurin Beier packt das ganz große Besteck aus. In einem grafisch klaren Raum von Johannes Schütz reitet Kristof Van Boven als Pentheus hoch zu Ross, wohlgemerkt: einem echten Schimmel. Er ist der Herrscher der Vernunft, spielt ihn glasklar. Er wird später von seiner Mutter ermordet.
Dionysos, wer auch immer das sein soll. Sie trinken krügeweise Wein, und dann machen sie's einfach, unter freiem Himmel, wie wilde Tiere. Pentheus in "Prolog/Dionysos"
Dieser zweite Teil hat einige Längen - da hilft auch die tolle 20-köpfige Taiko-Trommelgruppe nicht wirklich. Was aber diesem starken Auftakt der fünfteiligen Antiken-Serie gelingt: Er zeigt, dass die Antike immer noch lebendig ist. Diese Geschichten sind da, um uns, in uns. Und sie sind hochtoxisch. Fortsetzung folgt!
"Prolog/Dionysos": Starker Auftakt der Antiken-Serie in Hamburg
Die Uraufführung im Deutschen Schauspielhaus hat gezeigt: Die Antike ist immer noch lebendig - und ihre Geschichten sind hochtoxisch.
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Deutsches Schauspielhaus
Kirchenallee 39
20099 Hamburg - Telefon:
- 040 248713