"Iokaste"-Premiere in Hamburg: Wucht durch Aktualität
Intendantin Karin Beier startet am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg mit einem Mammutprojekt in die neue Spielzeit. Mit "Iokaste" gab es nun die vierte von insgesamt fünf Premieren der Antikenserie "Anthropolis".
Draußen an der Fassade des Schauspielhauses hängt ein großes Banner: "Nein zu Antisemitismus und Terror". Drinnen auf der Bühne heißt es: "Es muss Frieden geben können. Und gibt es keinen Frieden, dann muss Frieden verhandelt werden."
Iokaste sitzt am Verhandlungstisch. Ihre Söhne Eteokles links und Polyneikes rechts neben ihr. Beide wollen Krieg gegeneinander führen. Eteokles, weil er weiter herrschen will, Polyneikes, weil er sich um die Herrschaft betrogen sieht. Mit einem großen Heer lagert er vor den Toren Thebens. "So einen aktuellen Bezug habe ich selten im Theater erlebt," meint eine Zuschauerin im Anschluss.
"Iokaste": Vierter Teil der Antiken-Saga am Deutschen Schauspielhaus
Immer wieder fordert Iokaste die Söhne zu Verhandlungen auf, immer wieder mit den gleichen Worten. Die Geschichte dreht sich im Kreis. Nur der Tisch wird länger, wenn auch nicht ganz so lang wie der, an dem Putin im vergangenen Jahr westliche Staatsmänner empfing. Keiner der Brüder ist bereit, auf etwas zu verzichten, sie hören nicht auf ihre Mutter: "Diesen Krieg kann niemand gewinnen, denn wer ihn gewinnt, verliert ihn dennoch." Götter spielen keine Rolle mehr in dieser Gesellschaft, sie hat ihnen abgeschworen. Doch der Fluch des Ödipus, Sohn und Mann der Iokaste, verfolgt die Stadt immer noch.
Karin Beier zeigt in einem komplett schwarzen Bühnenkasten eine düstere, rohe Welt am Abgrund. Ein Entkommen ist nicht möglich, kaum einer hat hier wirklich eine Wahl. Die Leichtigkeit, die vor allem in den ersten beiden Teilen der Serie noch aufblitzte: verschwunden. Für Zwischentöne ist wenig Raum.
Karin Beiers konsequente Schwarz-Weiß-Ästhetik
Atmen kann der Abend, wenn Michael Wittenborn als blinder Seher Teiresias die Bühne betritt oder Daniel Hoevels als Menoikeus. Der ist, anders als die hasserfüllten Brüder, bereit, ein Opfer zu bringen. Er glaubt noch an etwas, das wichtiger ist als Macht und Geld.
Karin Beier arbeitet mit einer konsequenten Schwarz-Weiß-Ästhetik, für starke Bilder sorgen vor allem die Projektionen, die immer wieder über die Wände flimmern. Am Ende fließt eimerweise Blut, und doch findet die Inszenierung hier zu sich, zu einer Konzentration und Ruhe, die erschüttert. Minutenlang stehen die Brüder blutüberströmt ineinander verkeilt.
"Iokaste": Bindeglied zwischen "Ödipus" und "Antigone"
"Iokaste" ist der bisher schwächste Teil der Serie, nicht nur inszenatorisch - das gilt auch für den Text von Roland Schimmelpfennig. Vielleicht war die Grundidee des immerwährenden, zu nichts führenden Kreislaufs, des immer wieder mit den gleichen Worten neu Ansetzens, allzu verlockend, wenngleich absolut nachvollziehbar.
Dieses Stück ist spürbar ein Bindeglied, eine Brücke von "Ödipus" zu "Antigone", dem Finale der Serie und tut sich etwas schwer, allein zu stehen. Wucht entsteht vor allem durch die erschreckende Aktualität.
"Iokaste"-Premiere in Hamburg: Wucht durch Aktualität
"Iokaste" bildet eine Brücke von "Ödipus" zum Finale der Antiken-Saga. Das Stück tut sich schwer, allein zu stehen.
- Art:
- Bühne
- Datum:
- Ort:
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Deutsches Schauspielhaus Hamburg
Kirchenallee 39
20099 Hamburg