"Antigone": Niederlage des Menschen, Triumph des Theaters
Mit "Antigone" ist am Freitag das Finale der Antiken-Serie "Anthropolis" am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg uraufgeführt worden. Der glänzende Abschluss setzt fast schon altmodisch-konsequent auf bewährte Mittel des Theaters.
Leise geht die Welt zu Grunde. Ein Mensch in beiger Freizeitkleidung - er könnte ein Tourist sein - steht am Rand der Bühne und erzählt. Vom Ende der Welt, menschenleeren Ruinen. Michael Wittenborns feine, fast singende Stimme trifft ins Herz, weil er nicht moralisiert, weil er sieht und mitteilt. Mit ihm hatte die fünfteilige Antiken-Serie im Stück "Prolog/Dionysos" begonnen. Jetzt schließt sich der Kreis.
Lilith Stangenberg spielt sich fast in den Wahnsinn
"Es war sehr gewaltig und intensiv, also sehr: Puff und Peng", fasst ein Zuschauer später seine Eindrücke vom Abend im Schauspielhaus zusammen. "Peng" ist vor allem: Lilith Stangenberg. "Ich war unglaublich fasziniert von ihrer Körperlichkeit, das war irre", sagt eine Zuschauerin danach. Stangenbergs Antigone ist eine vor Energie berstende junge Frau, die sich fast in den Wahnsinn spielt - einfach fantastisch.
Sie ist eine Frau, die sich gegen das Gesetz auflehnt. Die zwei Brüder Antigones hatten um die Stadt gekämpft, beide fielen. Der eine bekommt ein Staatsbegräbnis, der andere muss auf offenem Feld verrotten. Wer ihn beerdigt, muss sterben. So will es König Kreon.
Kreon: Du kanntest das Gesetz.
Antigone: Wie sollte ich nicht? Es war ja allgemein bekannt.
Kreon: Und trotzdem hast du es gebrochen.
Dialog aus "Antigone"
Abschluss der Antiken-Serie "Anthropolis" am Deutschen Schauspielhaus
Denn Antigone hat Sand auf den Toten gestreut, um ihn zu ehren. Sie wird zum Tode verurteilt. Was diesen glänzenden Abschluss der Antiken-Serie so von den anderen Teilen unterscheidet: Er wirkt fast altmodisch konsequent. Es ist Theater - mit Dialogen, Situationen, Figuren.
Die Bühne ist nackt. Der Trotz Antigones, ihr Einstehen für die Toten und das Irrationale, steht Kreons Kampf um die Vernunft gegenüber. Ernst Stötzner spielt den König fabelhaft als erschöpften Kraftmenschen, der endlich die Welt besser machen will. Vergebens.
Kreon: Jetzt nachzugeben, das wäre furchtbar! Aber furchtbar wäre auch, durch Starrsinn Unheil über sich selbst zu bringen. Das versetzt mich in große Angst. aus "Antigone"
Große, barocke Bilder
Es ist ein furioses, gewaltiges Räderwerk, was Regisseurin Karin Beier in Gang setzt. Antigone tanzt mit einem Skelett, vermählt sich mit den Toten. Das sind große Bilder, barock, vor dem Schwarz der Bühne. Stangenberg wirbelt Staub auf - wortwörtlich, sie schlägt Kreidesteine gegeneinander, bis sich der schwarze Raum mit weißen Wolken füllt, die langsam über das Parkett treiben. Ihr extremes Spiel leuchtet auch dadurch, dass das Ensemble sie so fabelhaft kontrastiert. Ute Hannig etwa, sie spielt den Berater des Königs hochpräzise und modern.
"Gewaltig ist vieles, doch nichts ist gewaltiger als der Mensch." Nachdem Hannig diese Zeilen spricht, wird es still im Saal. Der Mensch: ein Witz. Einer, der tötet, zerstört, was er errichtet. Dieser Abgesang ist bitter, hochaktuell. "Wenn man an die Klimakrise und auch jegliche Kriege denkt, die im Moment wüten, denke ich, dass der Mensch auch sein eigener Feind ist und sich selbst zerstört. Es geht ins Herz", sagt eine Zuschauerin nach dem Stück.
"Aber sich selbst kann der Mensch nicht entkommen"
Am Schluss trägt Hannig den kreideweißen, nackten Körper Antigones wie ein totes Kind im Arm nach vorne und spricht: "Aber sich selbst kann der Mensch nicht entkommen. Er vernichtet sich." Anthropolis, die Stadt des Menschen, ist am Ende. Dann geht das Licht aus. Die Niederlage des Menschen wird zum Triumph des Theaters.
"Antigone": Niederlage des Menschen, Triumph des Theaters
In Hamburg ist am Freitag das Finale der Antiken-Serie "Anthropolis" am Deutschen Schauspielhaus uraufgeführt worden.
- Art:
- Bühne
- Datum:
- Ort:
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Deutsches Schauspielhaus
Kirchenallee 39
20099 Hamburg - Telefon:
- 040 248713