Eine Person in rotem Kostüm singt auf einer Bühne © Staatsoper Hannover / Sandra Then Foto: Sandra Then
Eine Person in rotem Kostüm singt auf einer Bühne © Staatsoper Hannover / Sandra Then Foto: Sandra Then
Eine Person in rotem Kostüm singt auf einer Bühne © Staatsoper Hannover / Sandra Then Foto: Sandra Then
AUDIO: Premiere von "Lear": Über das Dunkle in der Seele des Menschen (4 Min)

Premiere von "Lear": Über das Dunkle in der Seele des Menschen

Stand: 11.02.2024 11:19 Uhr

Die Oper "Lear" des deutschen Komponisten Aribert Reimann ist die Vertonung des wohl blutrünstigsten Dramas von Shakespeare. Gut 45 Jahre nach seiner Uraufführung ist der Klassiker der Moderne zum ersten Mal in Hannover zu sehen.

von Agnes Bührig

Der Mensch steht im Mittelpunkt: Gewandet in einen ausladenden Hermelin-Umhang, eine große, schlicht gezackte Krone auf dem Kopf, steht Lear vor einem riesigen Quader aus Pappkartons. Der Plan, sein Reich unter seinen drei Töchtern aufzuteilen, geht schief. Während die beiden älteren ihre Liebe beteuern, schweigt die Jüngste - und wird verstoßen.

Lear, beeindruckend verkörpert von Bariton Michael Kupfer-Radecky, gerät in einen Strudel der Machtgelüste. Sein Kartonhaus beginnt einzustürzen, seinen Ruhestand hatte er sich anders vorgestellt. "Das ist ein sehr selbstbewusster Herrscher, der seine Kriege geführt hat und jetzt entscheidet: Ich will nicht mehr", erzählt Michael Kupfer-Radecky. "Er will sein Leben jetzt genießen. Deswegen feiert er mit seinen Soldaten, säuft, frisst, reißt Witze. Da verwickelt er sich in den Vorstellungen seiner Töchter, die sagen: Nee, das ist uns zu viel, das ist uns zu teuer."

"Lear" von Aribert Reimann: "Ein völlig unpolitisches Stück"

Verzweiflung, Wahnsinn, Raserei - Lear bekommt die Lage nicht mehr in den Griff. Monumental grollt, kreischt und wogt das Niedersächsische Staatsorchester, das in verstärkter Besetzung spielt. Zwei Harfen und eine ausladende Schlagwerkgruppe sitzen auf der Bühne, weil der Platz im Orchestergraben nicht ausreicht. Vom Chor singen nur die Männer - es geht vor allem um das Dunkle in der Seele des Menschen, erklärt Generalmusikdirektor Stephan Zilias: "Es ist ein Stück, was den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Es hat zum Beispiel mit Gesellschaftskritik überhaupt nichts zu tun. Ich vergleiche das manchmal mit 'Die Soldaten' von Bernd Alois Zimmermann, dem 'Lear' sehr viel verdankt. Das ist ein bisschen vorher entstanden, aber ein Stück, das Weltpolitik in den Mittelpunkt stellt. Davon gibt es in 'Lear' überhaupt nichts. Das ist ein völlig unpolitisches Stück."

Weitere Informationen
Bühnenbild von "Lear" in Hannover. Ein König streicht einer blonden Frau durchs Haar - abseits steht eine dunkelhaarige Frau und guckt betrübt. © Sandra Then Foto: Sandra Then

"Lear" an der Staatsoper Hannover: "Musik, die erschüttern kann"

Shakespeares blutrünstiges Königsdrama in der avantgardistischen Opernfassung von Aribert Reimann feierte Sonnabend Premiere. mehr

Die Untiefen menschlichen Seins durchleben

Das Team um den britischen Regisseur Joe Hill-Gibbins spiegelt das Existenzielle eindringlich mit einem abstrakten Bühnenbild: ein Trümmerfeld aus Kartons am Boden, oben eine fast geometrisch wirkende Ebene aus Leuchtröhren, dann beginnt es, auch noch zu regnen. Auferstanden aus Ruinen erscheint Edgar, verstoßener Sohn von Lears Gefolgsmann Graf von Gloster: eine schwere Partie, die Countertenor Nils Wanderer mit Bravour meistert.

Von Sopranistin Angela Denoke als Tochter Goneril bis zu Robert Künzli als Glosters unehelicher Sohn Edmund - die Solisten ziehen einen in ihren Bann. Intensiv lässt das Niedersächsische Staatsorchester Hannover das Publikum die Untiefen menschlichen Seins durchleben. Die Oper aus den 1970er-Jahren hat diesmal auch mehr jüngeres Publikum neugierig gemacht. Das Urteil ist vorwiegend positiv: "Es ist ein gewaltiges Stück, eine gewaltige Inszenierung, überwiegend toll, fantastische Sänger", findet eine Zuschauerin. "Musikalisch fantastisch gemacht, ganz große Leistung vom Orchester und von dem Ensemble - und ein wunderbares Bühnenbild", meint eine andere Premierenbesucherin.

Weitere Informationen
"Trionfo - Vier letzte Nächte" nach einem Oratorium von Georg Friedrich Händel in der Staatsoper Hannover © Sandra Then Foto: Sandra Then

Staatsoper Hannover

Die Staatsoper Hannover erarbeitet mit internationalen Künstlern und Künstlerinnen vielfältige und innovative Programme. mehr

Eine Souffleuse sitzt am Freitagabend (06.07.2007) am Wiesbadener Staatstheater vor Beginn einer Aufführung in einer versteckten Ecke an der Bühne. Foto: Frank May dpa/lhe +++(c) dpa - Report+++ © picture alliance / dpa / Foto: Frank May

Opern-Souffleuse Karin Seinsche "Zur Not singe ich auch!"

Sie spricht mehrere Sprachen, hat eine Gesangsausbildung und wird auch schon mal "gute Perle im Kasten" genannt. Karin Seinsche ist eine von zwei Souffleusen an der Staatsoper Hannover. mehr

Deutsches Schauspielhaus, Hamburg © Deutsches Schauspielhaus / Kerstin Schomburg Foto: Kerstin Schomburg

Was bringt die neue Spielzeit? Die Theaterszene im Norden

Queere Menschen, die NS-Euthanasie oder antike Stoffe: Auf den norddeutschen Bühnen geht es um Vielfalt und Zusammenhalt. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Sonntag | 10.02.2024 | 14:20 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Theater

Oper

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Christian Kind steht in seinem Plattenladen hinter der Kasse und lächelt in die Kamera. © NDR Foto: Antonia Reiff

Gerettet durch Crowdfunding: Hamburger Plattenkiste macht weiter

Das Geschäft im Stadtteil Hoheluft versorgt Musikfans mit Vinyl und CDs - doch durch die Corona-Zeit und Schulden stand es kurz vor dem Aus. mehr