Was bringt die neue Spielzeit? Die Theaterszene im Norden
Queere Menschen, die NS-Euthanasie oder antike Stoffe: Auf den Bühnen der norddeutschen Theater zwischen Kiel und Göttingen geht es in der neuen Spielzeit oft um Vielfalt, Zusammenhalt und Teilhabe.
Fühlen, Feiern, Zusammenstehen - die Themen der neuen Spielzeit an den Theaterbühnen Norddeutschlands sind so facettenreich wie das Leben selbst. "Fühlst du mein Herz schlagen?", fragt etwa das Staatstheater Braunschweig in den kommenden Monaten und bringt "Babettes Fest" nach dem Roman der Dänin Karen Blixen auf die Bühne.
Theater Osnabrück bietet Bühne für Partnerländer
Das Theater Osnabrück öffnet seinen Theaterraum für die Begegnung mit Communitys und Menschen, die in Deutschland eine neue Heimat gefunden haben. Nach Syrien und der Türkei ist Polen inzwischen das dritte Partnerland. "Andere Leute" heißt das Stück nach Dorota Masłowska, das Menschen in Warschau in den Mittelpunkt rückt, die Aggression und Verzweiflung trotzen.
Schauspiel Hannover und Theater Göttingen: Gemeinsam und gegen Ausgrenzungen
"Niemand denkt für sich allein" lautet das Motto beim Schauspiel Hannover. Den Herausforderungen der Zukunft könne man nur im gemeinsamen Suchen begegnen, sagt Chefdramaturgin Nora Khuon. Etwa, wenn es um alltägliche Ausgrenzungen geht - wie in "Fremd" nach einem Buch von Publizist und Moderator Michel Friedman.
Auch queere Menschen erfahren immer wieder, dass sie nicht dazugehören. Doch allzu oft wird nur über sie, aber nicht mit ihnen gesprochen, finden Regisseur und Sozialarbeiter Johannes Rieder und Autor und Regisseur Philipp Löhle. Das wollen sie mit ihrem Stück "Queerio" ändern, das im Frühjahr am Deutschen Theater in Göttingen Premiere feiert - nach Gesprächen mit Menschen aus der LGBTQIA+-Community.
Stücke über NS-Euthanasie und gestörte Erinnerungskultur in SH
Doch wie entsteht überhaupt die Begrenzung von Teilhabe? Am Theater Kiel dreht sich die Uraufführung "Lebenswert" unter anderem um diese Frage. Das Dokumentar-Theaterstück in der Regie von Marie Schwesinger erforscht die NS-Euthanasie in Schleswig-Holstein anhand ihrer Protagonisten Fritz Sawade und Werner Catel, der eine als Arzt unter Decknamen in Flensburg, der andere als Leiter der Kieler Kinderklinik - beide nach dem Krieg tätig.
Am Theater Lübeck untersucht Sänger, Autor und Regisseur Schorsch Kamerun dagegen, was eine gestörte Erinnerungskultur mit der Wahrnehmung einer vergangenen Katastrophe macht. "Cap Arcona" heißt das Stück, das den Untergang des gleichnamigen Luxusdampfers mit mehr als 4.000 Kriegsgefangenen und jüdischen Häftlingen vor der Lübecker Bucht in den Fokus nimmt - verbunden mit der Frage, welche vergleichbaren Denkmuster es heute gegen alles vermeintlich andere gibt.
Neuinterpretation der Antike am Mecklenburgischen Staatstheater und Hamburger Schauspielhaus
Im Mecklenburgischen Staatstheater wird die Saison mit einem großen, antiken Stoff eröffnet: "Die Orestie". Rache und Vergeltung, Gewalt und Gegengewalt in der Familie beschrieb der Dichter Aischylos 458 v. Chr. in seiner griechischen Tragödie. Ein Stoff, der die Frage aufwirft, worauf Grundwerte der Gesellschaft wie Recht und Demokratie fußen.
Den modernen Blick auf die alte Zeit wirft auch das Deutsche Schauspielhaus Hamburg, allerdings in besonderem Format mit der Theaterserie "Anthropolis. Ungeheuer. Stadt. Theben.". Alle zwei Wochen wird eine der großen thebanischen Tragödien in der Bearbeitung des Dramaturgen und Autors Roland Schimmelpfennig uraufgeführt, parallel zum Erscheinen seines gleichnamigen Sachbuches. Die Regie führt Intendantin Karin Beier.
"Der Vater" auf Hoch- und Plattdeutsch versus die Mutter aus dem Stücke-Baukasten
Dass Familie immer wieder ein wichtiges Thema ist, zeigt ein Werk des französischen Schriftstellers und Regisseurs Florian Zeller, das sowohl auf Hoch- wie Plattdeutsch im Programm norddeutscher Bühnen steht. Als niederdeutsche Erstaufführung am Mecklenburgischen Staatstheater mit dem Titel "De Vadder" sowie als "Der Vater" am Oldenburgischen Staatstheater. Wird die Wahrnehmung von Familie anders, wenn sie in unterschiedlichen Sprachen präsentiert wird? Und was macht es mit einer Mutterrolle, wenn man sie aus verschiedenen Perspektiven betrachtet? Dieses Experiment unternimmt Peter Stuppner für das Ateliertheater am Volkstheater Rostock unter dem Titel "Blank". Aus 100 Szenen, die die britische Dramatikerin Alice Birch geschrieben hat - zur freien Kombination gedacht. Facettenreich, wie Theater nun einmal ist.