"Aussage einer Bühnenfigur ist nicht die Aussage des Stückes"
Am Theater Lüneburg finden derzeit Proben zu "Vögel" statt, einem Stück, das am Münchner Metropol-Theater nach Antisemitismusvorwürfen abgesetzt wurde. Treffen diese Vorwürfe zu? Ein Gespräch.
Angekündigt wird das Stück des libanesisch-kanadischen Autors Wajdi Mouawad als eine moderne "Romeo und Julia"-Variante vor dem Hintergrund des Nahost-Konflikts, als eine globale Familiengeschichte. 2017 wurde das Stück in Paris uraufgeführt. Seither wurde es an diversen Theatern aufgeführt, so auch am Metropol-Theater in München.
Dort wurde die Inszenierung aber abgesetzt. In einem offenen Brief von jüdischen Studierenden wurde dem Stück vorgeworfen, es mache antisemitische Narrative salonfähig und verharmlose den Holocaust. Im Februar feiert die Tragödie "Vögel" nun in Lüneburg Premiere. Ein Gespräch mit dem Chefdramaturgen am Theater Lüneburg, Friedrich von Mansberg.
Herr von Mansberg, welche Geschichte wird in "Vögel" erzählt?
Friedrich von Mansberg: Das ist nicht ganz verkehrt, das zu beschreiben als eine moderne "Romeo und Julia"-Geschichte. Es geht tatsächlich um eine Liebesgeschichte zwischen zwei Menschen, die ganz unterschiedlichen Herkünften abstammen. Die Eine mit einem arabischen Hintergrund, der Andere mit einem jüdischen Hintergrund. Diese Liebesgeschichte wird zum Anlass genommen, dass vor allem der Mann, der seine jüdische Vergangenheit selbst erforschen will, in die Vergangenheit einsteigt, sich mit seinen Eltern, seinen Großeltern auseinandersetzt und zu verstehen versucht, was es mit seiner Identität auf sich hat.
Was hat es überhaupt mit Identitäten auf sich und wie sehr prägen uns als Menschen unsere Herkünfte, unsere Identitäten? Es gibt also vordergründig eine Liebesgeschichte, die, so wie auch das Shakespearsche Original, nicht glücklich endet. Aber im Hintergrund geht es vor allem um Fragen von Identität, Herkunft, und wie wir überhaupt solche Herkünfte verhandeln.
In dem offenen Brief von den jüdischen Studierenden, der dafür sorgte, dass das Stück in München abgesetzt wurde, heißt es, das Stück verharmlose den Holocaust. Können Sie das nachvollziehen oder im Stück entdecken?
Von Mansberg: Ja, ich kann das nachvollziehen, auch wenn ich diese Einschätzung nicht teile. Nachvollziehen kann ich, dass einzelne Sätze, die in dem Stück fallen, wenn man sie aus dem Zusammenhang der Figurenrede herauslöst, verstörend wirken. Dass sie den Eindruck erwecken, als werde der Holocaust relativiert.
Wichtig im Zusammenhang eines Theaterstückes ist, dass die Aussage einer Bühnenfigur nicht die Aussage des Stückes ist - und schon gar nicht die Aussage des Theaters, dass das Stück aufführt. Das Stück selber kontextualisiert solche scheinbar verstörenden Sätze, und durch diese Kontextualisierung kann man es verstehen. Wir sind jedenfalls der festen Überzeugung, dass wenn man das sorgfältig inszeniert, nicht der Eindruck einer Verharmlosung oder gar eines Antisemitismus entstehen wird, sondern es wird ein komplexes Fragenfeld aufgemacht und mit künstlerischen, theatralen Mitteln diskutiert.
Glauben Sie, dass sich das allein aus der Regie erklärt? Oder wollen Sie diesem Vorwurf noch anderweitig begegnen? Sie haben auch ein Begleitprogramm geplant.
Von Mansberg: So ist das. Das ist der Vorteil, den wir als Theater Lüneburg haben gegenüber dem Metropol-Theater in München, die von dieser Diskussion ein Stück weit überrascht worden sind. Wir sind das nicht, wir sind vorbereitet, und uns ist sehr wohl bewusst, dass man sehr sorgfältig mit den sehr kritischen Fragen umgehen muss, die an das Stück gestellt werden.
Wir werden vor jeder Vorstellung eine Einführung anbieten und nach jeder Vorstellung ein Nachgespräch. Wir werden zusätzlich ein Begleitprogramm anbieten, also Podiumsdiskussionen und Informationsabende, die in verschiedene Aspekte dieses Themas einführen werden und in dem wir hoffentlich auch mit Vertreter*innen jüdischer Organisationen ins Gespräch kommen.
Meron Mendel, deutsch-israelischer Pädagoge, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, entdeckt in der Debatte um das Stück "Vögel" ein "bedenkliches Kunstverständnis". Das sagte er in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung". Er spricht von einer Tendenz, alles, was irritierend oder schmerzhaft sein könne, aus der Kunst zu verbannen. Wie sehen Sie das?
Von Mansberg: Ich glaube, das ist ein Thema, was weit über diese konkrete Frage und den konkreten Umgang mit dem Stück "Vögel" hinausgeht. Aber die Frage ist in der Tat eine schwierige. Für uns am Theater Lüneburg ist es eine Herausforderung, aber auch eine Chance, dass wir plötzlich Teil so einer Diskussion sind. Was kann Theater im Konkreten oder Kunst im Allgemeinen leisten, wenn es darum geht, komplexe, schwierige Themen, auch Aspekte, die möglicherweise schmerzhaft sein können, künstlerisch zu thematisieren? Da einen sorgfältigen Umgang zu wählen, der weder diesen Schwierigkeiten aus dem Weg geht noch sie ignoriert und so tut, als wäre alles ganz einfach - das ist eine tolle Herausforderung. Und das werden wir versuchen.
Das könnte auch ein Thema bei diesen Podiumsdiskussion werden, oder?
Von Mansberg: Ganz genau. Ich glaube, dass der Begriff "Spielräume" hier wichtig ist, Theater braucht Spielräume. In diesen Spielräumen muss auch Schwieriges, Anstrengendes verhandelbar sein, solange wir dabei respektvoll mit allen Menschen umgehen.
Das Interview führte Eva Schramm.