"Josef und Maria" in Hamburg: Der raue Charme der Silverager
Peter Turrinis "Josef und Maria" an den Hamburger Kammerspielen erzählt nicht die Weihnachtsgeschichte, sondern vom rauen Charme einer Begegnung zwischen zwei älteren Menschen, die Weihnachten fast allein verbracht hätten. Am Dienstag hat das Stück Premiere gefeiert.
Maria Patzack ist bitter enttäuscht. Sie sitzt an Heilgabend im Keller eines Kaufhauses, ein Glas Brandy in der Hand. Auf der Flasche steht "Napoleon", sie ist ein Geschenk vom Arbeitgeber. Maria ist Reinigungskraft - und ihr Sohn Willi und die böse Schwiegertochter haben sie ausgeladen. "Manchmal denke ich, es ist besser, man geht von dieser Welt", sagt sie mit trockenem Realismus.
"Josef und Maria": Einige hatten sich etwas anderes vorgestellt
Unter dem Titel "Josef und Maria" haben sich manche im Publikum etwas anderes vorgestellt. Einer Zuschauerin fehlt so etwas wie eine Botschaft, ein anderer sinniert: "Vielleicht wollte man so etwas Realistisches auch nicht haben in der Weihnachtszeit."
Peter Turrinis "Josef und Maria" sind eben aus anderem Holz als die Hauptdarsteller des Krippenspiels. Josef ist Wachmann im Kaufhaus: Das wurde gerade, kurz vor Heiligabend, geschlossen. Als bekennender Kommunist hat der Weihnachts-Muffel den Dienst gerne angenommen. Zufällig trifft er beim Rundgang auf Maria. "Ich bin ja Freidenker, dafür ist mir alles Heilige zuwider", erzählt er. Um nicht wie eine einsame alte Frau dazustehen, schwindelt Maria anfangs: "Meine Schwiegertochter macht einen Karpfen, und wenn ich da zu spät komme, wird sie sehr ungnädig."
Sewan Latchinian inszeniert Stück von Peter Turrini
So entsteht der raue Charme einer Begegnung zwischen Metall-Spinden, Aufzugstür und Wischmopp. April Hailer und Gerhard Garbers spielen die beiden knorrigen Oldies. Maria war früher beim Varieté, Josef, gelernter Glasschleifer, hat als Statist an der Oper gearbeitet. Die zwei tasten sich aneinander heran, starten einen vorsichtigen Flirt. Der geht so weit, dass Maria später aus dem Obergeschoss des Kaufhauses eine nagelneue Matratze zerrt, mit eindeutiger Absicht.
Regisseur Sewan Latchinian inszeniert das 30 Jahre alte Stück leise, ohne Kitsch. Schon allein, dass man hier, auf der Traditionsbühne der Kammerspiele, wie selbstverständlich eine gar nicht prüde Liebesgeschichte zweier Silverager erlebt, ist natürlich ein Plus - denn solche Stories sollen erzählt werden. Eine Zuschauerin lobt: "Das war schon großartig anzugucken - ein bisschen anstrengend teilweise, aber aus dem Leben eben."
Kitzel-Orgie im leeren Kaufhaus
Leider braucht es an dem Abend, bis der Funke überspringt. Die sperrigen, volkstümlichen Dialoge gehen oft aneinander vorbei. Die Schauspieler schwingen im ersten Teil nicht miteinander, es fehlen Situationen, Blicke, Neugier. Das ändert sich nach der Pause. Denn als Maria und Josef als Ginger Rogers und Fred Astaire über die Bühne tanzen, leuchtet plötzlich etwas auf: Der Gedanke nämlich, dass Einsamkeit an Weihnachten wehtut - gerade den Älteren. Und dass eine Kitzel-Orgie im leeren Kaufhaus besser ist als manch spießige Bescherung unterm Baum.
An diesen Terminen läuft "Josef und Maria" in den Hamburger Kammerspielen: 16.12. (19:30 Uhr), 17.12. (15 und 19.30 Uhr), 19.12. (19.30 Uhr), 20.12. (19.30 Uhr), 21.12. (19.30 Uhr), 22.12. (19.30 Uhr), 26.12. (15 und 18 Uhr).