Deutsch-jüdische Schriftsteller in einer bitter-blutigen Welt
Wie lässt sich das Entsetzen über den Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 in Worte fassen? Deutsch-jüdische Schriftstellerinnen und Schriftsteller am Schauspielhaus Hannover setzen ein Zeichen gegen Antisemitismus.
Was ist die größte Klage? Die größte Klage ist meine Klage. Die größte Klage ist die Klage eines Fremden. Die größte Klage ist die Klage einer Mutter.
Ein Kaddisch, eines der wichtigsten Gebete im Judentum, mit einem Text von heute. Alexander Estis ist 1986 in eine jüdische Familie in Moskau geboren und hat sich am 3. November in der Tageszeitung Neues Deutschland darüber Gedanken gemacht. Virtuos begleitet von Mandolinenspieler Alon Sariel fragt er weiter, wen oder was er beklagen soll und: Was ist das beste Gebet? Die Berlinerin Dana Vowinckel hingegen fragte in der Wochenzeitung Die Zeit: "Leute, wo seid ihr", gelesen von Schauspielerin Johanna Bantzer.
Und ich stehe am Freitag nach dem Pogrom im Garten meiner Synagoge. Es stehen etwa 1.000 Menschen vor der Synagoge. Die meisten zum Schutz, einige scheinbar, um mal einen echten Juden zu sehen. Jedenfalls lässt ein Vater ein Kind am Zaun hochklettern, damit es eine bessere Sicht hat. Und manche fotografieren uns durch besagten Zaun, der ja aus einem Grund ein Zaun ist.
Ziel: Teilhabe an Lebenswirklickeit von Jüdinnen und Juden
Kaddisch und Kundgebung, die Frage, wieso niemand in Deutschland das Wort Jude aussprechen kann und wie jüdisch eigentlich die Familie ist, aus der man selbst kommt, das sind Themen in den Texten von Slata Roschal, Dana von Suffrin und Lea Streisand. An Lebenswirklickeit von Jüdinnen und Juden in Deutschland teilzuhaben, ist ein Ziel der Lesung, sagt Kathrin Dittmer, Leiterin des Literaturhauses Hannover. "Ich bin der Überzeugung, dass das geschriebene Wort, das vorgelesen und ausgesprochen wird, Denkräume öffnet und auch Reflexionsräume bietet, dass man Dinge miteinander teilt. Außerdem geht es auch darum, viele Stimmen zu hören."
Das Grauen wird durch die Texte spürbar
Sechs junge jüdische Autoren, drei Schauspielerinnen und die wehmütig klagende Mandoline - wie ein Mosaik setzt sich jüdischer Alltag an diesem Abend im Schauspiel Hannover aus den Texten zusammen. Das Grauen taucht dabei oft indirekt auf. Zum Beispiel wenn der in Kiew geborene Dimitrij Kapitelman arabischen Antisemitismus über das Verteilen süßen Gebäcks zur Feier des Hamas-Angriffs in Berlin thematisiert - gelesen von Leni Karrer.
Was denken eigentlich die arabischen Baclava-Bäcker, Süßigkeitenverkäufer und Konditoren der Sonnenallee? Was fühlen sie, wenn ihre Baclava symbolisch über Leichen geschmatzt wird? Träumen sogar sie, die doch den denkbar süßesten Beruf gewählt haben, von einer bitter-blutigen Welt?