"Toxic Man": Erhellender Roman über einen Antihelden
Frédéric Schwilden erzählt in "Toxic Man", wie es im Untertitel heißt, "Die Geschichte von einem, der auszog, ein Mann zu sein". Der Roman ist eine höchst erhellende und sehr unterhaltsame Lektüre.
Ein auf Fesselballongröße aufgeblasenes Ego mit sehr geringer Frustrationstoleranz schwappt einem aus diesem Roman entgegen. Der Ich-Erzähler weiß alles, zur Not besser als alle anderen, und er hat auch über alle anderen ein Urteil, das er gern fällen möchte. Anmaßend und falsch liegen da selbstverständlich immer nur die anderen:
Es gibt keine Welt mehr, auf der alle sind. Jeder will in seiner eigenen leben, in der es nur so klingt, so aussieht, so riecht, wie man es selbst will, in der nur die politischen Gegebenheiten gelten, die das jeweilige Ich akzeptiert. Schopenhauers wichtigster Satz ist: Die Welt ist meine Vorstellung. Aber heute gilt für die meisten: Meine Vorstellung ist die Welt. Egal ob Influencer, Dschihadist oder Grünen-Wählerin, wirklich alle denken so. Leseprobe
Ein Antiheld auf der Überholspur des Lebens
Wir lernen einen Künstler kennen, der gerade eine große Ausstellung plant, als überraschend sein Vater stirbt. Er macht ein Foto vom Leichnam und verwandelt es in ein Kunstobjekt. Etwas überraschend - und gelegentlich auch schwer nachvollziehbar - gibt es für ihn eine Frau, die ihn liebt und mit ihm eine Familie gründen will. Sie versteht und verzeiht ihm vieles, während die unterschwelligen Aggressionen des Ich-Erzählers sich gegen fast alle anderen richten. Zum Beispiel ehemalige Lehrerinnen und Lehrer:
Das sind Leute, die als Achtundsechziger schlechten Sex mit Freiheit verwechselt hatten und jetzt prüder sind als nicht geoutete schwule Bischöfe. Leseprobe
Die Enthüllung zum schlechten Sex der sogenannten Achtundsechziger mag für manch einen Zeitzeugen überraschend kommen. Aber es sei dahingestellt. Unser Held trägt übrigens einen lila Cord-Anzug, den er für den Gipfel des geschmackvollen Outfits hält - fast alle anderen sind Spießer. Auch die Ernährungsweise rings um sein Gesichtsfeld herum wird bissig kommentiert:
Moderne Banker essen mittags keinen Hummer in Cognac-Sahne-Soße. Moderne Banker machen Yoga, fahren E-Bike und trinken Smoothies. Leseprobe
Dem sogenannten Terror der Mittelschicht zu entkommen, gehört zum Lebenskonzept des Ich-Erzählers in diesem Roman. Ein typischer Antiheld, der sich auf der Überholspur des Lebens befindet, gelegentlich auch als Geisterfahrer unterwegs.
"Toxic Man": Unterhaltsame Lektüre
Das Problem ist, dass es den meisten Menschen bei uns so gut geht, dass jede noch so kleine Schwierigkeit als Angriff auf ihre Existenz gesehen wird. Weil eigentlich niemand mehr Schwierigkeiten hat. Ein Busfahrer, der einem vor der Nase wegfährt, muss ein Rassist sein. Und wenn die Versicherung das geklaute Fahrrad nicht direkt ersetzen möchte, sondern noch Rückfragen hat, ist es der menschenverachtende Kapitalismus, der einen unten hält. In ihrem totalen Zugutgehen wollen viele, dass es ihnen noch besser geht. Sie optimieren und inszenieren alles. Leseprobe
Es gibt in der Geschichte dieses Romans Drogen-Exzesse und der Antiheld wird Opfer einer Vergewaltigung. Auf der anderen Seite, wie als Gegengewicht, ist da diese schöne Lebensgefährtin, die ein Kind von ihm erwartet. Er wird bei der Geburt seines Kindes, die mit sehr viel Empathie geschildert wird, dabei sein. Und zum Schluss wird der Held, durch die Liebe seiner Frau geläutert, ein besserer Mensch.
Der Roman ist eine höchst erhellende und auch sehr unterhaltsame Lektüre für alle, die diesen Typus Mann zu kennen meinen. Man möchte durchaus mal genauer hineinsehen in diese nur notdürftig als Herz kaschierte Mördergrube eines Egomanen.
Toxic Man
- Seitenzahl:
- 288 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Piper
- Bestellnummer:
- 978-3-492-07191-8
- Preis:
- 22 €