Cover von "Die schmutzige Frau" von Annette Pehnt © Piper Verlag

"Die schmutzige Frau": Zaghafte Befreiung aus toxischer Ehe

Stand: 02.02.2023 06:00 Uhr

Die Autorin Annette Pehnt befasst sich in ihren Büchern mit ungewöhnlichen zwischenmenschlichen Beziehungen. In "Die schmutzige Frau" erzählt sie eine leise Emanzipationsgeschichte.

von Juliane Bergmann

Eine sterile Neubau-Wohnung über den Dächern der Stadt: Wenig geschieht, niemand taucht auf, nichts gibt es zu tun. Das ist die öde Realität für die Ich-Erzählerin in Annette Pehnts neuem Roman. An diesen Ort hat sie ihr Mann gebracht, während er weiterhin im gemeinsamen Haus lebt. Die Wohnung soll und will sie nicht mehr verlassen.

In der Isolation beginnt es zu brodeln

Gähnende Stille, sich dehnende Stunden und Isolation erwarten die Protagonistin in ihrem neuen Zuhause. Warum sie sich auf dieses Gefängnis eingelassen hat? Und umso merkwürdiger: Warum sie sich die Situation permanent schönredet, obwohl sie sich sichtlich quält? All das verrät die Autorin erst nach und nach. Über die skurrile Verabredung des Paares können wir zunächst nur rätseln. Die Rollen sind klar verteilt: Er, der intellektuelle, akkurate Gutverdiener, unterdrückt subtil-aggressiv seine devote Frau. Dabei ist sie ihm geistig mindestens ebenbürtig. Reden soll sie jedoch nur auf sein Stichwort. Die Ruhe in der Abgeschiedenheit ist trügerisch. Der Abstand hilft tatsächlich. In der Frau beginnt es, zu brodeln.

Weil mein Tag mir gehört, kann ich so langsam oder schnell essen, wie es mir passt
Manchmal schlinge ich alles hinunter, weil ich keine Lust habe zu kauen
Lasse das Besteck in der Schublade und klaube das Essen mit den Fingern aus der Pfanne, stopfe mir den Mund voll und verreibe mir das Fett im Gesicht
Es sieht keiner, ich kann fettverschmiert aus dem Fenster starren, den Mund halb offen, Halbzerkautes unter der Zunge
Aber das bleibt die Ausnahme Nicht weil ich Sorge habe zu verwahrlosen, sondern weil ich mir alle Möglichkeiten erhalten will Leseprobe

 

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Episoden aus dem Leben einer kleinen Frau

Bedrückend ist der Selbsthass der Erzählerin. Man will sie schütteln, wenn sie sich unnötig kleinmacht und in endlosen Schleifen die Fehler allein bei sich sucht. Ein Gutes hat die neue Umgebung: Die Erzählerin beginnt zu schreiben. Ihre Geschichten sind Episoden aus dem Leben einer kleinen, wortkargen, schmutzigen Frau - mit dreckiger Haut, verwuschelten Haaren, in zotteliger Strickjacke und schweren Stiefeln. Eine Erscheinung, die die Mitmenschen fasziniert und gleichzeitig abstößt. In diesen parabelhaften Texten gelingt es der Hauptfigur, sich zum ersten Mal selbst anzuschauen.

Sie schäumt immer wieder Seife in die aufgeraute Haut, während das Wasser nun schon in Pfützen auf dem Boden steht, so sauber war sie noch nie, und erst als sie ablässt, sieht sie, dass im Wasser rote Schlieren treiben. Leseprobe

Sprachlich schlicht und elegant, aber stellenweise ermüdend

Form und Inhalt gehen in diesem Buch Hand in Hand. Die beschriebene Ehe ist toxisch. Die Erkenntnis darüber bahnt sich nur allmählich den Weg. Passenderweise schreibt Annette Pehnt ihren Text als Versroman. Verschachtelte, lange Sätze formen zäh die Gedanken der Figur. Das geschieht sprachlich schlicht und elegant, ist allerdings stellenweise ermüdend. Die Leere, mit der sich die Ich-Erzählerin in ihrem Käfig konfrontiert sieht, ergreift auch uns beim Lesen. Das muss man aushalten können. Die Vergangenheit, die Stadt, die Familie - es gibt sogar zwei Kinder, von denen wir spät erfahren - bleiben leider skizzenhaft. Was die Autorin hingegen hervorragend nachzeichnet, ist die leise Emanzipation dieser Frau.

"Die schmutzige Frau" lässt uns am Ende ratlos zurück

Ein starker Stoff: Die gehirngewaschene Frau, die ihre Lebenslüge aufdeckt und zaghaft aus ihrem männergemachten Korsett heraussteigt. Mit diesem Text zeigt Annette Pehnt, dass sie ihr Handwerk beherrscht. Die Struktur ist schlau durchkomponiert. Sie schreibt hochreflektiert und glasklar. Bedauerlicherweise bleibt ihr Ton aber auch: distanziert und verbissen. Wir bleiben der Geschichte fern. Das Buch lässt uns am Ende ratlos zurück.

Die schmutzige Frau

von Annette Pehnt
Seitenzahl:
176 Seiten
Genre:
Roman
Verlag:
Piper
Veröffentlichungsdatum:
26.01.2023
Bestellnummer:
978-3-492-07107-9
Preis:
22 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 02.02.2023 | 17:21 Uhr

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