"Darling, it’s Dilius": Lebenserinnerungen von F. C. Delius
F. C. Delius hat als Autor immer wieder überrascht, belehrt und nebenbei auch gut unterhalten. Seine Erinnerungen sind ein liebenswertes Gesprächsangebot, sie mit den eigenen Ansichten und Meinungen zu vergleichen.
Der im vergangenen Jahr verstorbene Friedrich Christian Delius gehört in seiner Generation zu den besten Autoren in deutscher Sprache, politisch hellwach, blitzgescheit und gewissenhaft in seinem Schreiben. Für seine Lebenserinnerungen hat er ein eigenwilliges Verfahren gewählt: Er nimmt Wörter, die mit dem Buchstaben A anfangen, und beschreibt, welche Erinnerung er damit verbindet.
Assoziationen von "Blutgruppe A, Rhesus positiv" bis "Azzurro"
Wenn jemand den Buchstaben A wählt und dann von "Blutgruppe A, Rhesus positiv" bis "Azzurro" erzählt, was ihm zu einem großen Strauß von Wörtern, die mit A anfangen, einfällt, dann suggeriert er souverän, es hätte auch B oder M oder T sein können und dann wären die Assoziationen eben andere gewesen. Das ist vermutlich das, was viele Freunde, Kollegen, Lektoren, Verleger und seine Leserschaft an ihm mochten: Er hat sich selbst nicht allzu wichtig genommen, wirkte immer unprätentiös, fast verspielt und hatte doch eine sehr ernsthafte Art zu denken und zu schreiben. Durchaus wütend konnte Friedrich Christian Delius dagegen über politische Zustände werden.
Diese spezielle Autobiographie soll ein Fragment bleiben. Denn den ganzen maximalen Lebensstoff von A bis Z auszubreiten - so viel Wahnsinn plus Größenwahnsinn kann ich nicht bieten (…) da scheint es mir klüger zu sagen: A reicht doch. Ein Buch mit den Stichworten nur in A. Leseprobe
Delius' Begegnung mit Günter Grass
Vermeiden möchte er die Begradigungen, Vereinfachungen, Beschönigungen, Selbstüberschätzungen, die zum Genre Autobiografie üblicherweise dazu gehören. Man liest sich fest in seinen Gedankensplittern, die Lektüre wird zum angeregten Gespräch mit Delius, der keine Avocado essen kann, ohne dabei an die verheerenden Folgen für ganze Landstriche in Südamerika zu denken. Er erinnert sich an seine Recherchen zum Thema Siemens oder zur RAF. Selbstironisch beschreibt er eine Begegnung mit Günter Grass und gesteht seine Vermutung, dass Grass später in einem Gedicht "Söhne aus zu gutem Hause" ihn und seinen Bruder wenig schmeichelhaft porträtiert hat. Er erinnert sich an den Ort Ahlbeck, von dem aus einer seiner Helden in den Westen flieht und wo heute "Ausländer raus" Parolen zu hören sind, an die "Ahle Worscht" seiner hessischen Heimat oder an Begegnungen mit Freunden. In einem ganz zarten Text erzählt er von den Augen seiner Tochter Charlotte 1983, als ihm dieser kleine Mensch nach der Geburt in den Arm gelegt wird:
Das eben aus der Dunkelheit des Mutterleibs geschobene Mädchen sieht seinen Vater an, als wolle es sagen: So, jetzt bist du also zuständig, hier bin ich, pass gut auf mich auf! (…) Und obwohl du weißt, dass das ein kühnes Versprechen ist, versprichst du dem kleinen Wesen, immer für es da zu sein und es zu schützen, nichts anderes ist dein Empfinden und dein Wunsch (…) und möchtest dir einbilden, in den kleinen Pupillen eine Antwort zu lesen und ein kristallklares Ja zu allem, was kommen wird. Leseprobe
"Darling, it’s Dilius": Kluge Analysen
F. C. Delius hat als Autor immer wieder überrascht, verzaubert, belehrt und auch nebenbei gut unterhalten. Er hatte sein Leben lang einen jungenhaft wirkenden Charme, mit einem Lächeln, das verschmitzt und nie herablassend oder spöttisch war. Seine Erinnerungen sind ein liebenswertes Gesprächsangebot, sie mit den eigenen Ansichten und Meinungen zu vergleichen. Von leiser Klugheit getragen sind seine Analysen der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft. So ist ihm ganz nebenbei ein Vexierbild der Jahre, die wir kennen, in 1-A-Fassung gelungen.
"Darling, it’s Dilius"
- Seitenzahl:
- 320 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Rowohlt
- Bestellnummer:
- 978-3-7371-0163-9
- Preis:
- 24 €