"Twist": Colum McCann taucht ab in Meerestiefen - und die menschliche Psyche
Im Roman "Twist" geht es auf den ersten Blick um die Reparatur von Tiefseekabeln. Doch Colum McCann unternimmt dabei eine Expedition in die Tiefe der menschlichen Psyche.
Colum McCann ist kaum auf ein literarisches Genre festzulegen: Der in Irland geborene Autor schreibt ebenso Romane über den Israel-Palästina-Konflikt, wie über historische Personen und über die Begegnung einer Mutter mit dem Mörder ihres Sohns - wie zuletzt in "American Mother". In einem kürzlich erschienenen Interview mit der "Irish Times" gab der Autor zu, dass er sich selbst und seine Leserschaft gerne überrascht.
Reportage auf einem Reparaturschiff für Tiefseekabel
Anthony Fennell heißt der Erzähler dieser Geschichte: mäßig erfolgreicher Autor von Romanen und Theaterstücken, Alkoholiker, Vater eines Sohns, zu dem er kaum Kontakt pflegt. Im Auftrag eines Online-Magazins soll Fennell an Bord eines Reparaturschiffs für Tiefseekabel gehen und eine Reportage über den Alltag an Bord schreiben.
Ich interessierte mich nicht für Kabel. Jedenfalls anfangs nicht. In dem Artikel hieß es, ein Kabel bleibe so lange ein Kabel, bis es gebrochen sei, danach verwandle es sich, wie wir alle, in etwas anderes. Leseprobe
Zwielichtiges Crewmitglied
In Südafrika besteigt Fennell die "George Lecointe". Die Crew soll mehrere Kabel reparieren, die vor der Küste Kongos nach einer Naturkatastrophe gerissen sind. 53 Männer auf See, einer von ihnen ist John Conway. Ein wortkarger Ire, Freitaucher, liiert mit einer Schauspielerin, wirkt er von Beginn an etwas zwielichtig. Conway ist an Bord dafür zuständig, das gebrochene Kabel mit Hilfe eines Greifhakens aufzuspüren. Eine langsame, langwierige und nervenaufreibende Angelegenheit.
"Alles wird geflickt, und wir alle bleiben gebrochen." Conway war an eine Grenze gekommen. Er war da draußen auf der Jagd. Doch vielleicht jagte er nur sich selbst. Leseprobe
Colum McCann beschreibt den Alltag an Bord des Schiffs und die Arbeit der Crew minutiös, ohne zu langweilen. Das liegt vor allem an seinem literarischen Können: Mal mutet die Handlung wie ein Krimi an, mal nimmt er Anleihen bei Joseph Conrad oder mal beim Film "Apocalypse now".
McCann: "Es ist ein trügerisch einfaches Buch für mich"
Kurz vor Ende der Mission - ein "Twist", eine Wende: Conway verschwindet spurlos. Damit endet für Fennell die Reise in Ghana, wo er seinen Artikel schreibt und schließlich auf einer Müllhalde eine Art Schlüsselerlebnis hat. Das Ende des Romans ist das allerdings noch nicht: Einen "Twist" hat Colum McCann noch in petto, der aber nicht verraten werden kann. In einem Interview mit der "Irish Times" Anfang März sagte er: "Es ist ein trügerisch einfaches Buch für mich. Ich versuche es immer noch zu ergründen. Es handelt von zwei Charakteren, ist chronologisch erzählt, hat nur eine Erzählstimme und ist nicht außerhalb meines Erfahrungshorizonts, wie bei 'Apeirogon' oder 'American Mother'. Ich geniere mich fast ein bisschen, wie scheinbar einfach es ist."
Oberflächlich geht es in "Twist" um die Reparatur von Tiefseekabeln. Wie das Reparaturboot auf den Wellen des Atlantiks schaukelt und die eigentliche Handlung in der Tiefe stattfindet. So ist das auch in diesem Roman. Es geht um das Wieder-Herstellen von Verbindungen, auch von menschlichen. Colum McCann unternimmt eine Expedition in die Tiefe der menschlichen Psyche. Und die ist ebenso unergründlich wie die Tiefsee. Wieder einmal hat Colum McCann mit "Twist" literarisches Neuland betreten, herausgekommen ist: Wieder einmal ein richtig guter Roman!
Twist
- Seitenzahl:
- 416 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Übersetzt von Thomas Überhoff
- Verlag:
- Rowohlt
- Veröffentlichungsdatum:
- 17. März 2025
- Bestellnummer:
- 978-3-498-00385-2
- Preis:
- 28 €
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