Cover: Colum McCann / Diane Foley,  "American Mother" © Rowohlt

"American Mother": Colum McCann über Hass und Vergebung

Stand: 18.12.2024 06:00 Uhr

Das Buch "American Mother" des irischen Autors Colum McCann, mit verfasst von Diane Foley, sendet eine zutiefst menschliche Botschaft. Es erzählt von der Verzweiflung einer Mutter, die ihr Kind verloren hat: Diane Foley ist die Mutter des 2014 ermordeten Journalisten James Foley.

von Katja Eßbach

Im August 2014 wird der US-amerikanische Journalist James Foley von Mitgliedern des sogenannten Islamischen Staates enthauptet. Zuvor hatte er fast zwei Jahre in Syrien in Geiselhaft gesessen. Seine Mutter Diane hat jetzt, zehn Jahre später, mit dem Bestsellerautor Colum McCann ein Buch über ihren Sohn geschrieben. Darin setzt sie dem Kriegsjournalisten ein Denkmal, aber es ist auch eine Geschichte von Hass und Vergebung.

Dem Mörder Auge in Auge gegenüber

Im Oktober 2021 erwacht Diane Foley in einem Hotelzimmer mit der Gewissheit, dass sie in wenigen Stunden einen der Mörder ihres Sohnes treffen wird. In diesem Moment weiß sie selbst noch nicht genau, warum sie das auf sich nimmt. Auch in ihrer Familie gibt es Zweifel und Zorn: Warum dem Täter eine Bühne bieten? Aber für Diane Foley ist es wichtig zu erfahren, was der Mörder für ein Mensch ist. Und dann sitzt sie Alexanda Kotey das erste Mal gegenüber:

Seine Art zu sprechen hat fast etwas Sanftes, etwas Höfliches oder zumindest Kontrolliertes. Vermutlich hat er das geübt, mit seinen Anwälten oder einem Betreuer. Er hat sich genau überlegt, was er sagen darf. Leseprobe

Kotey ist auf der Hut, immer wieder hat Diane Foley das Gefühl, dass er nicht die Wahrheit sagt. Dennoch hört sie ihm zu, erzählt ihm von ihrem Sohn. Der ist das älteste ihrer fünf Kinder, war nach seinem Studium Lehrer, wurde dann Journalist. Berichtete aus dem Irak, aus Afghanistan, aus Libyen, wo er das erste Mal entführt wurde. Und dann 2012 in Syrien erneut.

Ungewöhnliche Kräfte einer Mutter

Colum McCann schildert in den Worten von Diana Foley, was diese Entführung mit der ganzen Familie macht, den Schock und die Angst. Aber auch, welche Kräfte vor allem die Mutter dadurch entwickelt. Die kämpft um das Leben ihres Sohnes, setzt sich für andere Angehörige von Geiseln ein, kritisiert immer wieder das Verhalten der US-amerikanischen Regierung:

Es gab nicht eine Behörde oder Abteilung, die sich zuständig fühlte, für die Rückkehr von im Ausland entführten Amerikanern zu sorgen. Es wurde ein Haufen Gespräche geführt, aber viel kam nicht dabei heraus. Es gab das Außenministerium, das FBI, das Militär und noch zwölf weitere Nachrichtendienste, aber keiner wusste so genau, was die anderen taten. Wir versanken im Chaos. Leseprobe

Die amerikanische Regierung lehnte zu diesem Zeitpunkt Verhandlungen mit Geiselnehmern grundsätzlich ab. Das kostete James Foley vermutlich das Leben.

"American Mother": Ein Buch voller Kraft und Hoffnung

"American Mother" ist nicht leicht auszuhalten. Jede Zeile erzählt von der Verzweiflung einer Mutter, die ihr Kind verloren hat:

Der seelische Schmerz lässt sich nur metaphorisch beschreiben. Ich war erschlagen, mein Herz in tausend Stücke gerissen. Nichts hatte sich jemals auch nur annähernd so angefühlt. Nichts. Der vernichtende Schock unbändigen Hasses. Leseprobe

Genau dieser Hass ist es, dem Diane Foley irgendwann nicht mehr Raum geben will. Um ihres eigenen Friedens willen, aber auch, weil sie glaubt, dass ihr Sohn diesen Hass nicht gewollt hätte. Und so trifft sie sich mehrfach mit dem Mörder Alexanda Kotey. Und reicht ihm irgendwann die Hand zur Vergebung.

Was für eine zutiefst menschliche Botschaft, was für ein Buch: herzzerreißend, niederschmetternd, voller Kraft und Hoffnung! Was für eine Frau!

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American Mother - Eine Geschichte von Hass und Vergebung

Seitenzahl:
272 Seiten
Genre:
Roman
Zusatzinfo:
Übersetzt von Volker Oldenburg
Verlag:
Rowohlt
Bestellnummer:
978-3-498-00386-9
Preis:
26 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 18.12.2024 | 12:40 Uhr

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