Antoine Leiris: "Meinen Hass bekommt ihr nicht"
Der Kulturredakteur Antoine Leiris, der bei dem Überfall auf das Rockkonzert im Bataclan seine Frau verlor, hat 2016 ein Buch geschrieben, in dem er die ersten zwei Wochen nach dem Unbeschreiblichen zu beschreiben versucht.
"Freitagabend habt ihr das Leben eines außergewöhnlichen Wesens geraubt. Das der Liebe meines Lebens. Der Mutter meines Sohnes. Aber meinen Hass bekommt ihr nicht." So schrieb es Antoine Leiris nur Tage später auf Facebook. Es wäre so einfach und nur allzu menschlich gewesen, hätte er all seine Trauer, all seine Wut und seine Verzweiflung über den Tod seiner Frau auf die Attentäter projiziert. Aber Leiris widerstand: "Ich weiß nicht, wer ihr seid. Und ich will es nicht wissen. Ihr seid tote Seelen. Wenn der Gott, für den ihr blind tötet, uns nach seinem Ebenbild geschaffen hat, dann muss jede Kugel, die den Körper meiner Frau getroffen hat, eine Wunde in sein Herz gerissen haben."
"Entscheidend ist, dass sie nicht mehr da ist."
Zwölf Jahre lang war der damals 32-jährige Antoine Leiris mit Hélène verheiratet, er Kulturredakteur, sie Maskenbildnerin. Ihr gemeinsamer Sohn Melvil ist gerade einmal 17 Monate alt, als das Unfassbare eintritt, alles aus den Fugen gerät: "Es hätte auch ein Verkehrsrowdy sein können, der zu spät gebremst hätte, ein Tumor, der ein bisschen bösartiger gewesen wäre als andere, oder eine Atombombe. Entscheidend ist, dass sie nicht mehr da ist. Die Waffen, die Kugeln, die Gewalt - das ist nur Kulisse für die Szene, die sich eigentlich abspielt. Ihr Fehlen."
In dieser Kulisse aber wird Leiris fortan auftreten, wird er leben müssen – mit seinem nicht einmal anderhalb-jährigen Sohn, der noch nicht verstehen kann, was geschehen ist. Antoine wird ihn morgens zur Krippe bringen und ihm nachmittags seinen Snack machen. Er wird ihn baden, ihm vorlesen, ihn lieben – sein Leben mit ihm leben.
Leiris bewundern?
Nur wenige Menschen können verstehen, dass ich so schnell über die Umstände hinweggehe unter denen Hélène getötet wurde," erzählt Leiris. "Ich werde gefragt, ob ich vergessen oder verziehen hätte. Ich verzeihe nichts. Ich vergesse nichts. Ich gehe über nichts hinweg. Und schon gar nicht so schnell. Wenn jeder in sein Leben zurück gekehrt sein wird, werden wir immer noch damit leben. Diese Geschichte wird unsere Geschichte sein. Sie abzulehnen hieße, sich selbst zu verleugnen."
Man mag Leiris für die Haltung bewundern, die er bei all seinem abgrundtiefen Kummer in diesen ersten Tagen nach dem Unbegreiflichen bewahrt. Er selbst fände das falsch: "Aus der Ferne betrachtet, hat man immer den Eindruck, dass derjenige, der das Schlimmste überlebt, ein Held ist. Ich weiß, dass ich keiner bin. Das Schicksal hat zugeschlagen. Das ist alles. Es hat mich vorher nicht gefragt. Es hat nicht herauszufinden versucht, ob ich dafür bereit war. Es hat Hélène geholt und mich gezwungen, morgens ohne sie aufzuwachen. Seither weiß ich nicht, wohin ich gehe, ich weiß nicht, wie ich dorthin komme, und man darf sich nicht allzu sehr auf mich verlassen."
Stärker als alle Armeen dieser Welt
Als "Polaroidaufnahmen eines Lebens, das nach Atem ringt" beschreit Leiris seine Aufzeichnungen. Es sind die erschütterndsten "Polaroidaufnahmen", die man seit Langem gelesen hat. Ohne Larmoyanz, ohne Pathos, ohne Hass - aber auch: ohne Orientierung. Aufnahmen eines Mannes, der den Boden unter den Füßen verloren hat, der nicht weiß, wie es weitergehen soll, wie es weitergehen darf, wie es weitergehen wird. Nur eines hat Leiris sich schon in diesen ersten 13 Tagen danach fest vorgenommen: Er wird mit seinem geliebten Sohn weiterleben. Gemeinsam werden sie stärker sein als alle Armeen dieser Welt und mit ihrer gelebten Freiheit, ihrem Glück die Attentäter, die das Gegenteil erreichen wollten, tagtäglich aufs Neue beleidigen. Denn - das schwört Leiris - auch den Hass seines Sohnes werden sie niemals bekommen.
Meinen Hass bekommt ihr nicht
- Seitenzahl:
- 144 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Blanvalet
- Bestellnummer:
- 978-3-7645-0602-5
- Preis:
- 12,00 €