Nachgedacht: Kirschblütenzeit
Die Welt dreht ab, Blüten fliegen trotzdem. Und Kunst findet immer einen Weg, meint unsere Kolumnistin.
Es ist Frühling, es ist Kirschblütenzeit. Rosafarbene Blüten hängen wie kleine Ballons an Bäumen. Zart, leicht. Im Wind flattern und flirren sie wie gutgelauntes Konfetti durch die Gegend. Japan feiert die Zeit der Kirschblüte, Ende März, Anfang April, also jetzt. Menschen gehen auf die Straßen, machen Fotos vor Kirschblütenbäumen, essen, trinken, tanzen in Parks. Die Kirschblüte - sie steht für Schönheit, Vergänglichkeit, für Neuanfang und Aufbruch.
"Kirschblüten - Hanami" - unvergessen und berührend der Film von Doris Dörrie. 2008 ein Riesenerfolg. Der schwerkranke Rudi reist an die Orte, die seine gerade verstorbene Frau eigentlich noch so gerne gesehen hätte: Er fliegt nach Tokio zur Kirschblütenzeit, sieht den schneebedeckten Fuji, verkleidet sich, tanzt mit seiner toten Frau den Butoh - und stirbt. Starke Momente, nachdenklich, mutmachend.
Es geht um Macht und die Deutungshoheiten
Mutmachende Momente – davon kann man in diesen Tagen nicht genug haben. Unruhe überall: Trump lässt nicht nur die Börsen beben, er vermiest auch renommierten Forschern und Wissenschaftlerinnen das Leben. Große Summen an Zuwendungen für Projekte, Forschungsvorhaben, Programme werden gestrichen. Kluge Menschen fühlen sich im Land der unbegrenzten Möglichkeiten nicht mehr wohl, nicht frei in ihrem Denken und Tun, in ihrem Alltag eingeschränkt. Prominentes Beispiel: der Historiker Timothy Snyder, bekannt durch seine messerscharfen Analysen zu Faschismus und Diktaturen im 20. Jahrhundert.
Weitere Beispiele könnten locker genannt werden. Warum das Ganze? Ist es tatsächlich der Unmut gegen alles vermeintlich Elitäre, gegen alles, das Trump und seiner Regierung irgendwie verdächtig vorkommt? Am Ende geht es um Macht und die Deutungshoheiten, die der Präsident für sich in Anspruch nehmen will. Das hatte er versprochen im Wahlkampf und wie so vieles gehört das zu seiner Agenda, die es für die amtierende Regierung gerade abzuarbeiten gilt. Der US-amerikanische Kulturkampf ist in vollem Gange.
Hoher Wiedererkennungswert - positiv besetzt
Und während wir uns hierzulande über dieses und jenes wundern, fliegt auch bei uns die Kirschblüte durch die Luft, erzeugt für einen Moment eine Unterbrechung, schafft den Unterschied, sorgt für Augenblicke des Innehaltens. Japaner wissen seit Ewigkeiten, was sie tun, wenn sie die Kirschblüte verehren, schätzen und feiern.
Der Künstler Takashi Murakami verwandelt die Kirschblüte in comicartige Blumen. "Cherry Blossom Drop" ist das typische Motiv von Murakami, mit dem er auch für das französische Luxuslabel Taschen, Koffer oder Tücher designt. "Superflat"-Style nennt sich die Richtung, die Takashi Murakami weltberühmt gemacht hat. Superflach, also schnell eingängig, mit großem Wiedererkennungswert, unverwechselbar und natürlich positiv besetzt.
Unendliche Liebe - ein mutmachender Ausblick
Takashi Murakamis Kunst wird im September nach Hannover kommen. Nicht allein, sondern begleitet von zwei großen Künstlerinnen, die auch mit Punkten und Farben arbeiten: Yayoi Kusama und Niki de Saint Phalle. Ihre Kunst hat nichts Kirschblütenzartes. Hier ist das Knallbunte und Grelle gefragt. Bei Kusama die Polka Dots, bei de Saint Phalle nicht zuletzt die drallen Nana-Figuren. Eine Kunst, die immer auch eng verzahnt ist mit Verletzung, mit Psychedelischem, mit dem, was zwischen Fakten und Fiktionen schwebt.
In diesen verwirrten Zeiten kann die Kunst Kraftort sein. Ich freue mich auf den September und die große Show der übertrieben krassen Statements und Reaktionen auf die Zeit: "Niki, Kusama, Murakami: Love you for infinity", heißt es dann im Sprengel Museum Hannover. Unendliche Liebe - ein mutmachender Ausblick.
