Bildband zur Ausstellung "Von Odesa nach Berlin"
Die Ausstellung "Von Odesa nach Berlin" zeigt besondere, naturalistische Stillleben und andere Meisterwerke aus dem ukrainischen Odessa, einer Stadt, die tief in der europäischen Kultur verankert ist. Nun ist ein begleitender Bildband erschienen.
Igor Prohonyk, Museumsdirektor aus Odessa, hält sich nicht mit Jammern auf: "Diese Bilder haben viele Kriege überlebt, aber sie sind immer noch da", sagt er über seine Sammlung. "Das gibt uns die Kraft, dass auch dieser Krieg zu Ende geht!" Als Reaktion auf den russischen Überfall verpackten Prohonyk und seine Mitarbeiterinnen ihre besten Gemälde in Transportkisten und schickten sie nach Berlin. Eine Win-Win-Situation: In Deutschland sind die Bilder in Sicherheit. Gleichzeitig bekommt das Publikum hierzulande die Chance, 60 Meisterwerke der europäischen Malerei zu sehen, die normalerweise mehr als 1.400 Kilometer entfernt im Museum hängen.
Von Lampis wertschätzende Darstellung seiner Frau
Es ist ein intimes Bild - und gleichzeitig ein wegweisendes Frauenporträt: 1783 malt der Tiroler Künstler Johann Baptist von Lampi seine Frau Anna Maria. Sie hat die linke Brust entblößt, um ihr Kind zu stillen. Ein Säugling an der Mutterbrust: In unserem Bildgedächtnis ruft eine solche Szene die Erinnerung an Madonnengemälde wach. Und diese Assoziation ist wahrscheinlich auch beabsichtigt. Darstellungen religiöser Motive haben den Maler bekannt gemacht.
Doch Johann Baptist von Lampi sieht in seiner Frau mehr als eine Heilige: Anna Maria stützt ihren freien Arm auf einen Tisch, legt die Hand an die Stirn und blickt den Betrachter mit ihren klaren braunen Augen direkt an. Diese klassische Denkerpose war Ende des 18. Jahrhunderts fast ausschließlich Männern vorbehalten. Indem Lampi seine Frau in dieser Haltung porträtiert, zeigt er, wie sehr er sie als intellektuelle Gefährtin schätzt.
Meisterwerke aus dem ukrainischen Odessa
Lampis Gemälde ist eines der Meisterwerke, die aus dem "Museum für westliche und östliche Kunst" in Odessa, das sich auf Ukrainisch mit nur einem 's' schreibt, nach Berlin evakuiert wurden. Und eines von mehreren herausragenden Frauenbildern aus dieser Sammlung.
Fast 100 Jahre nachdem von Lampi die stillende Anna Maria porträtierte, malte der neapolitanische Künstler Domenico Morelli sein Porträt von Olena Tolstoi. Die Gräfin sitzt vor einer schlichten, ockergelben Wand. Um so auffälliger wirkt ihre teure Kleidung, die schimmernde Stola aus weißem Brokat. Doch die prunkvolle Erscheinung steht im Gegensatz zu dem melancholischen Gesichtsausdruck der jungen Frau.
Buchautorin Sabine Lata ordnet das Motiv ein: "Olena stammte aus einfachen Verhältnissen und hatte entgegen aller gesellschaftlichen Konventionen den wohlhabenden Grafen Michail Tolstoi aus Odessa geheiratet. Seine weit verzweigte Familie, zu der auch der Schriftsteller Leo Tolstoi gehörte, war in der Hafenstadt hoch angesehen, besaß eine Kunstsammlung und engagierte sich für wohltätige Zwecke." Morellis Porträt der Gräfin legt allerdings nahe, dass der angeheiratete Reichtum Olena nicht glücklich machte.
Besondere, naturalistische Stillleben
60 Meisterwerke aus ganz Europa sind - nach Themen geordnet - in dem neuen Bildband zu sehen: Unter der Überschrift "Gesichter aus Odesa" finden sich Porträts einflussreicher Persönlichkeiten aus der Geschichte der Schwarzmeer-Stadt. Es gibt Kapitel über biblische und mythologische Geschichten aus Italien und den Niederlanden, über Porträts und Charakterköpfe oder Licht und Farbe im 19. Jahrhundert.
Ein besonderer Genuss sind die Stillleben aus der ukrainischen Sammlung. Im Barock war das Genre so populär, dass Künstler sich auf die Darstellung bestimmter Lebensmittel spezialisieren konnten. Einer von ihnen ist Alexander Adriaenssen. Der Flame verdiente sehr erfolgreich sein Geld damit, Fische zu malen. In vollendeter Perfektion gibt er die gold-glänzenden Schuppen der Meerestiere wieder, ihre gelblichen Augen und das zart gerötete Fleisch. Seine Bilder wirken so naturalistisch, dass man meint, den Geruch von frischem Fisch und Salzwasser zu riechen. "Er war in seiner Heimatstadt Antwerpen ein gefragter und produktiver Maler. Sein Nachbar Rubens besaß zwei seiner Werke", erzählt die Katalogautorin Sabine Lata.
Einblicke in das europäische Kulturzentrum Odessa
Auch von Peter Paul Rubens gibt es ein Gemälde. Es zeigt den mythischen Heroen Herkules in erbärmlichem Zustand: Der Muskelmann ist sturzbetrunken und muss von einem Satyr und einer Nymphe gestützt werden.
Frans Hals, Abraham Bloemaert, Andreas Achenbach oder Paul Leroy sind nur einige der hochkarätigen Maler, deren Werke in dem neuen Bildband präsentiert werden. Jedes davon erzählt seine eigene Geschichte. Doch alle zeigen sie, wie tief die Hafenstadt Odessa in der europäischen Kultur verankert ist. Die Ausstellung in der Berliner Gemäldegalerie ist noch bis 22. Juni zu sehen.
Von Odesa nach Berlin - Europäische Malerei des 16. bis 19. Jahrhunderts
- Seitenzahl:
- 256 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- Hirmer Verlag
- Bestellnummer:
- 978-3-7774-4514-4
- Preis:
- 39,90 €
