Zeh & Urban über "Zwischen Welten" und den Umgang mit Kontroversen
In "Zwischen Welten" thematisieren Juli Zeh und Simon Urban die Verrohung der Debattenkultur in Deutschland. Im Interview mit NDR Kultur à la carte sprechen sie über den Diskurs und die gemeinsame Arbeit.
Juli Zeh und Simon Urban erzählen die Geschichte von Stefan und Theresa. Theresa und Stefan haben zusammen studiert, in einer WG gewohnt, danach aber unterschiedliche Wege eingeschlagen. Nach 20 Jahren begegnen sie sich wieder: Stefan arbeitet in Hamburg bei Deutschlands größter Wochenzeitung. Theresa lebt bodenständig auf ihrem Bio-Milchhof in Brandenburg. In Mails und Chats geraten sie über virulente Fragen wie Klima oder Rassismus in hitzige Streitereien.
Wie ist die Idee zu dieser Geschichte entstanden? Was war Ihr Ausgangspunkt? Sie haben zum ersten Mal zusammen geschrieben.
Juli Zeh: Das ist unsere erste Zusammenarbeit, wo wir wirklich von der Pike auf einen Text zusammen geplant und geschrieben haben. Wir haben davor aber schon wechselseitig an Romanen mitgearbeitet und uns gegenseitig geholfen. Es war jetzt kein totaler Kaltstart in die Zusammenarbeit. Wir wussten, dass wir literarisch gut harmonieren. Dadurch, dass wir auch schon lange befreundet sind, gab es auch immer regen Austausch über politische Fragen. Wir haben uns gleichermaßen zunehmend Sorgen über die Entwicklung des Diskurses im Land gemacht und hatten das Gefühl, dass die Fronten immer aggressiver werden. Dass Auseinandersetzungen immer unversöhnlicher geführt werden. Hinzu kamen Erlebnisse aus dem privaten Bereich, wo man mit ansehen musste, wie zum Teil enge Freundschaften an politischen Fragen regelrecht zerbrochen sind.
Ist Ihnen das wirklich passiert?
Zeh: Mir persönlich ist es passiert, aber nicht ganz so dramatisch. Ich habe es im Freundeskreis ein paar Mal in voller Härte miterlebt. Vor allem in der Corona-Zeit und gerade, wenn es um das Thema Impfen ging. Leute, die sich schon lange kannten und vertrauensvolle Verhältnisse miteinander hatten, haben sich auf einmal so gestritten, dass sie nicht mehr zueinander finden konnten. Die Fragen: 'Warum ist das so?' und 'Wie passiert das eigentlich?' haben uns aufgewühlt.
Man muss verschiedene Meinungen aushalten. Das ist etwas, das Sie mit dem Buch "Zwischen Welten" vor allem zeigen wollen, oder?
Zeh: Wenn man überhaupt sagen kann, dass unsere Literatur eine Art Anliegen hat. Man wehrt sich als Autor gerne gegen die Kategorie der engagierten und der politischen Literatur. Das ist etwas Spezielleres, wo wir uns nicht einsortieren würden. Man müsste zwei Perspektiven zeigen, die, wenn man empathisch in sie eingeht, auch in sich jeweils logisch, verständlich und nachvollziehbar sind. Dann müsste man zeigen, warum es trotzdem krachen kann, obwohl beide auf ihre Weise recht haben - mit dem, was sie sagen. Darin liegt eine kleine versteckte Aufforderung, ob wir nicht vielleicht mit genau dieser Ambivalenz, diesen Unterschieden und Kontroversen auch innerhalb von Freundschaften und der gesamten Gesellschaft wieder auf eine reifere Art und Weise umgehen müssten.
Corona war wie eine Art Katalysator. Würden Sie das auch so sagen, Simon Urban?
Simon Urban: Es gibt drei große Ereignisse in den letzten acht Jahren, die dazu geführt haben, dass die Debatten immer schärfer geworden sind: die Flüchtlingssituation 2015, Corona und der Ukraine-Krieg. Jedes Mal hatte man das Gefühl, es kommt auf die Diskurs-Eskalation noch eine Schippe drauf. Es wird noch enthemmter, noch feindseliger, noch unversöhnlicher. Das ist auch dem Pech unserer Zeit geschuldet. Es haben große Verwerfungen in relativ kurzer Abfolge stattgefunden. Dazu kommen die üblichen Internet-Mechanismen, die das Ganze befeuern. Jetzt haben wir den Salat und müssen sehen, wie wir nach Möglichkeit wieder aus dieser Situation rauskommen und neue Verständigung schaffen.
Zeh: Ich möchte anfügen, dass man in der Gegenwart, in der man lebt, gerne das Gefühl hat, das wäre alles wahnsinnig krisenhaft und auch noch nie so schlimm gewesen. Wenn man dann mal den Blick zurück in die Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik richtet - in die 1960er-, 1970er- oder frühen 1980er-Jahre - dann stellt man fest, dass die Krisendichte nicht unbedingt kleiner war als heute. Die Debatten, die damals geführt wurden - die Atomkraftdiskussion, der Nato-Doppelbeschluss, der Feminismus, Frauen, die sich in der Politik emanzipieren - das waren polarisierende und stark kontroverse Auseinandersetzungen. Ich würde nicht sagen, dass es durch Ereignisse von außen an uns herangetragen wird, dass wir uns nicht mehr so gut oder respektvoll miteinander auseinandersetzen können, wie es vielleicht mal war. Sondern dass es doch eher was mit der Mentalität und der allgemeinen Befindlichkeit zu tun hat, in der wir gerade sind - also eher unabhängig von dem, was passiert.
Das Interview führte Katja Weise.
Das ganze Gespräch mit Juli Zeh und Simon Urban hören Sie bei NDR Kultur à la carte.