Menschen in der Rostocker Innenstadt © imago
Menschen in der Rostocker Innenstadt © imago
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AUDIO: Mehr als Shopping (11 Min)

Mehr als Shopping - Von der Transformation unserer Innenstädte

Stand: 01.04.2023 06:00 Uhr

In unseren Innenstädten entstehen immer mehr klaffende Lücken. Der Online-Handel stellt den stationären Einzelhandel infrage. Damit die Stadtzentren nicht weiter veröden, müssen sie sich also verändern. Aber wie?

von Nina Hangebruch

Februar 2023, San Francisco. An der Market Street nahe dem Union Square, San Franciscos Top-Einkaufslage, warten hunderte Touristen auf die Cable Cars, die Seilbahnen, die als Straßenbahn dienen. Und gleichzeitig: massive Funktionsverluste, ein Ladenleerstand neben dem anderen. Die Warenhäuser Bloomingdales und Nordström sind noch geöffnet. Ebenso das Westfield-Shopping Center - aber menschenleer. Unter der beeindruckenden Kuppel, einst Treffpunkt der feinen Gesellschaft zum Essen und Trinken, zum Sehen und Gesehenwerden, hat die Gastronomie komplett aufgegeben, nur Poster erinnern an glorreiche vergangene Zeiten. An ein paar Tischen zwei Personen vor ihren Laptops - sie sind offensichtlich nicht zum Einkaufen hier.

Die Menschen kommen seltener in die Stadt

Die Krise des innerstädtischen Einzelhandels ist nicht mehr nur ein Problem kleiner, strukturschwacher Zentren. Sie ist längst in den bislang starken Innenstädten der Metropolen angekommen. Sie ist auch kein deutsches Problem: In Großbritannien haben in den letzten Jahren mehr als 400 Kauf- und Warenhäuser geschlossen, in den Niederlanden über 60. Das Einkaufsverhalten der Menschen hat sich gewandelt, das Internet als Einkaufskanal fest etabliert - mit noch größerem Angebot und vermeintlich günstiger und bequemer.

Bei den innenstadtrelevanten Sortimenten, also den Produkten, die vor allem in den Innenstadtzentren verkauft werden, erzielt der Onlinehandel fast 40 Prozent des Umsatzes. Einnahmen, die den stationären Anbietern fehlen. Mit dem Einkauf bricht das Hauptbesuchsmotiv für die Innenstädte weg. Die Menschen kommen seltener in die Stadt, die Zentren leeren sich.

Und das nicht erst seit Corona. Die Zahl der Warenhäuser in Deutschland hat sich seit 1994 auf rund ein Drittel reduziert, zahlreiche weitere Schließungen sind angekündigt, Galeria ist wieder einmal insolvent. Wie Peek & Cloppenburg, Görtz und Salamander. Das ist Anlass zum Nachdenken über die Entwicklungsperspektiven unserer Innenstadtzentren. Wie können sie wieder Anziehungspunkte werden? Und welche Rolle spielen dabei die Warenhausimmobilien?

Aktuelles Innenstadt-Modell nicht zukunftsfähig

Teils stehen sie leer, wie in Hamburg an der Mönckebergstraße. Im ehemaligen Kaufhof gibt es nur einen Sonderverkauf. Die Fassade ist mit Netzen gesichert, der Sanierungsbedarf offensichtlich. Das Gebäude von Karstadt Sports gegenüber wurde zuletzt durch Kreative und Kulturschaffende genutzt - und soll es ab April wieder werden. Die Kreativgesellschaft, eine städtische Tochter, nutzt die Immobilie gegen Zahlung der Nebenkosten. Künstlerinnen und Künstler haben die Chance, ihre Werke in zentralster Innenstadtlage zu präsentieren - an einem bisher unbezahlbaren Standort. Das Gebäude bietet zudem Raum für Debatten zur Innenstadtentwicklung, für Präsentationen studentischer Arbeiten und - mein besonderes Highlight! - für eine Rollschuhdisco. Das völlig andere Angebot bringt Menschen in die Innenstadt, denen ansonsten die Gründe fehlen, herzukommen.

Denn während die einen mit dem Rückzug des Einzelhandels den Niedergang der Innenstädte befürchten, werden die anderen längst nicht mehr erreicht. Sie können dort nicht einkaufen, weil ihnen das Geld fehlt, oder sie wollen dort nicht einkaufen, weil sie Secondhand tragen, insgesamt weniger und individueller kaufen - oder eben online. Unsere Innenstadtzentren haben sich zu monotonen Einkaufszentren verwandelt, mit Fußgängerzonen, deren Funktion es ist, die Menschen von Geschäft zu Geschäft zu bringen. Oft in die immer gleichen Läden, landauf, landab. Dieses Modell ist nicht mehr zukunftsfähig.

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Innenstädte brauchen mehr Diversität und Nutzungsmischung

Durch die vom Einzelhandel getriebene Innenstadtentwicklung haben unsere Zentren ihre Vitalität und Nutzungsvielfalt verloren. Nun folgen Funktionsverluste durch den Rückzug des Handels. Es braucht daher wieder mehr Diversität und Nutzungsmischung in den Innenstädten - sowohl mit Blick auf die Zentren als Ganzes als auch innerhalb einzelner Gebäude. Einzelhandel kann dabei weiterhin von Bedeutung sein, aber nur neben Kultur und Bildung, Büro und Co-Working, urbaner Produktion, Freizeit, Sport, Gesundheit, öffentlicher Verwaltung, Hotel und Wohnen, auch betreutem Wohnen.

Dabei ist Nutzungsflexibilität wichtig: Die Wandlungsfähigkeit von Nutzungen, ihre Anpassungsfähigkeit an Veränderungen im innerstädtischen Nutzungsgefüge. Zudem Vernetzung und Multifunktionalität: Verbindung verschiedener Funktionen und Nutzungen, Durchlässigkeit zwischen öffentlichen und privaten Nutzungen sowie zwischen Immobilie und Stadtraum, Flächen, die zu unterschiedlichen Tageszeiten unterschiedliche Funktionen übernehmen.

Wertschöpfung neben konsumfreien Orten

Wie können wir dabei künftig neue Wertschöpfung und gleichzeitig auch konsumfreie Orte schaffen, integrative Räume und für alle zugängliche Treffpunkte? In unseren Innenstädten finden gemeinwohlorientierte Nutzungen bisher nur schwer Raum, gleichzeitig aber sind unsere Zentren als Kulminationspunkte der Gesellschaft zentral für das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Menschen und Milieus.

Wichtig sind Nutzungen, die Identität stiften und vorhandene Identitäten aufgreifen. Warenhäuser sind wie Kirchen, Bahnhof und Marktplatz über Jahrzehnte Konstanten im Stadtbild und damit von baukultureller Bedeutung. Die Debatte um ihre Schließung und Nachnutzung ist emotional hoch aufgeladen, sie wird mit großer öffentlicher Aufmerksamkeit verfolgt und reicht weit über die wirtschaftliche Bedeutung und Versorgungsfunktion hinaus. Der Verlust liebgewonnener Geschäfte wird als Verlust von Heimat empfunden.

Der Wandel erfordert Experimentierfreude

Wenn die Warenhausnutzung vergänglich ist, wie können dann die Gebäude erhalten und weitergenutzt werden? Die Frage der Umnutzung ist nicht zuletzt mit Blick auf den Schutz von Klima und Ressourcen unerlässlich. Denn der Bau- und Gebäudesektor verursacht 40 Prozent des CO2-Ausstoßes und 60 Prozent des Abfallaufkommens. Durch Umbau und Sanierung können Gebäude, die ihre Funktion verloren haben, ein zweites Leben bekommen, Abriss wird vermeidbar.

Die anstehende Transformation erfordert die Trennung von tradierten Innenstadtbildern und Abhängigkeiten. Mein Kollege Stefan Postert vom Planungsbüro Stadt + Handel schrieb einmal sinngemäß: Die Angst und Sorge um Bewährtes und der Wille des Bewahrens darf nicht unser Denken und Handeln für die Innenstädte bestimmen, sondern unsere Fantasie, unsere Leidenschaft und unser Verlangen nach Erleben. Stefan, ich bin ganz deiner Meinung! Ich bin gespannt auf die anstehenden Veränderungsprozesse, ich selbst freue mich auf mehr Nutzungsvielfalt in unseren Zentren. Aber klar ist: Der Wandel wird grundlegend und disruptiv sein, er erfordert neue Denkmuster, Innovationskraft, Experimentierfreude, Kreativität, Lösungsorientierung und Offenheit. Und mutige Menschen, die die Initiative ergreifen und vorangehen.

Die Transformation ist eine Gemeinschaftsaufgabe

Klar ist auch: Die Transformation unserer Innenstadtzentren ist eine Gemeinschaftsaufgabe, die neue Akteursbündnisse, neue Formen der Ko-Kreation und Ko-Produktion braucht. Das ist eine Frage von politischem Veränderungswillen, Gestaltungsvermögen und Durchsetzungskraft. Der Zugriff auf die Immobilien ist unabdingbar für den Nutzungswandel, die Mitwirkungs- und Investitionsbereitschaft der Immobilieneigentümer unverzichtbar. Aufgabe der Kommunen ist das Managen von Transformationsprozessen: Vermitteln zwischen unterschiedlichen Akteuren und ihren Handlungslogiken, Aufbrechen von Blockaden, Mobilisieren von Kräften, immer wieder Antreiben. Das reicht von informellen Abstimmungen über Anreiz- und Förderinstrumente bis zu rechtlichen Rahmensetzungen und formellen Kooperationen.

Es gibt viele gute Beispiele für das, was kommen kann: In Oldenburg ist ein früheres Warenhaus inzwischen ein beliebter Treffpunkt der Stadtgesellschaft: mit Co-Working, multifunktional nutzbaren Flächen, einer Markthalle mit Raum für Gastronomie, Lesungen und Konzerte und mit Außenbestuhlung im öffentlichen Raum. Die Umnutzung des Gebäudes hat das Umfeld spürbar belebt, auch lange ungenutzte Ladenlokale haben neue Funktionen gefunden. Angetrieben wurde die Entwicklung durch einen örtlichen Architekten, der mit Partnern vor Ort die Initiative für das Projekt übernommen hat.

Bürgerinnen und Bürger engagieren sich für neue Nutzung

Auch in Gelsenkirchen-Buer geht die Umnutzung vor allem auf bürgerschaftliches Engagement zurück: Personen aus dem Ort haben das leerstehende Warenhaus gemeinsam erworben. In dem denkmalgeschützten Gebäude findet sich nun ein Seniorenheim, die Stadtteilbibliothek, die Volkshochschule, eine Familienberatungsstelle, ein Fitnessstudio - und nach wie vor Einzelhandel: in kleineren Läden, jeweils mit Eingang zur Fußgängerzone. In Lübeck hat die Stadt das ehemalige Karstadt Sporthaus gekauft, um hier weitere Klassenzimmer und Veranstaltungsräume für die vier Altstadt-Gymnasien zu schaffen. In Neuss sind das Rheinische Landestheater und die Kreisverwaltung in ein ehemaliges Warenhaus gezogen, in Berlin-Lichtenberg und -Moabit sind Wohnungen in den Obergeschossen früherer Warenhäuser entstanden. Das Nutzungsspektrum ist groß. Und auch wenn in fast allen Häusern wieder ein Teil der Flächen durch Einzelhandel genutzt wird: Sein Anteil wird immer kleiner.

Patentrezepte für die Umnutzung gibt es nicht. Aber gute Vorbilder machen Mut auf Veränderung.

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Dieses Thema im Programm:

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