Martina Behm: Von Oxford und Chile zurück nach Schleswig-Holstein
Es ist eine weiße Hirschkuh mitten in Schleswig-Holstein, die Martina Behm zum Schreiben inspiriert hat. "Hier draußen" ist ihr erster Roman. Im Interview erzählt sie von den Gefühlen des Neuanfangs und ihre Geschichte bis zum Debüt.
Normalerweise klimpert sie mit ihren Nadeln und strickt. Mit ihren Arbeiten begeistert Martina Behm die internationale Strickdesign-Szene. Jetzt hat die Strickkünstlerin das Fach gewechselt, hat die Nadeln bei Seite gelegt, klappert auf ihrer Tastatur und hat ihren ersten Roman geschrieben. "Hier draußen", so der Titel, erzählt vom Leben auf dem Land, vom Berufsalltag in der Großstadt und davon, dass eine Hirschkuh eine Dorfgemeinschaft aus dem Gleichgewicht bringen kann. Bleibt die Frage: Kann das Landleben glücklich machen? Martina Behm stellt sich in NDR Kultur à la carte unerschrocken und unsentimental dieser Frage, beschreibt ihren Alltag in einem Dorf in Schleswig-Holstein und erzählt, wie sie über ihre Liebe zum Stricken zum Schreiben gefunden hat.
Sie sind wahrscheinlich viel in der Natur unterwegs. Haben Sie mal einen weißen Hirsch gesehen?
Martina Behm: Ja, klar, dadurch kam die Idee für das Buch zustande. Ich bin mit meinem Hund unterwegs gewesen, am Rande der Holsteinischen Schweiz und da gibt es sehr große Damwildherden. Eines Tages habe ich ein weißes Tier in einer Herde gesehen und gedacht, das kann doch nicht sein. Was ist das? Ich wusste, dass es Albino-Tiere gibt und dann habe ich dem Dorfjäger gesagt, dass da eine weiße Hirschkuh ist. Da sagte der Jäger, dass das ganz normal sei. Beim Recherchieren habe ich herausgefunden, dass von 20 Tieren immer eins weiß ist, das ist der Durchschnitt. Ich habe irgendwann später auch noch mal eine Herde gesehen, wo drei weiße Tiere dabei waren. Während ich das Buch geschrieben habe, habe ich immer wieder Touren mit dem Hund gemacht. Immer, wenn ich eine weiße Hirschkuh gesehen habe, habe ich gedacht, das ist ein Zeichen, dass ich mein Buch weiter schreiben soll und das alles klappt. Das war mein persönlicher Aberglaube mit weißen Hirschkühen.
Sie haben Ihren Debütroman all denen gewidmet, die neu anfangen. Wann haben Sie das letzte Mal neu angefangen?
Behm: Ich habe mit dem Schreiben des Buches neu angefangen. Das kostet, glaube ich, immer Mut, etwas zu verlassen, was man gerade macht - was Neues zu starten und nicht zu wissen, wie das ausgeht und ob es das Richtige ist. Es ist immer einfacher, bei dem zu bleiben, was man gerade schon tut. Das kennt man, und vielleicht mag man das gar nicht mehr so richtig. Aber man weiß wenigstens, wie das geht. Deswegen fand ich das schön, das vorne ins Buch zu schreiben.
Ich vermute, dass Ihnen das Neuanfangen liegt. Sie suchen schon den Weg, den man erstmal ein bisschen hinterm Gebüsch finden muss, oder?
Behm: Ich mag gerne die Perspektive, mich zu entwickeln. Ich hatte zum Beispiel nach der Henri-Nannen-Schule eine unbefristete Stelle beim Magazin "Brigitte", was etwas ganz Besonderes war, auch damals schon. Dann habe ich aber gemerkt, die Aussicht, jetzt bis zur Rente diesen Job zu machen, das hat mich nicht froh gemacht. Ich habe gedacht, ich möchte auch noch mal was anderes machen können und habe die feste Stelle gekündigt, um frei zu arbeiten. Da haben alle Kolleginnen gesagt: "Geht's noch? Das macht man doch nicht. Wenn man hier einmal eine Stelle hat, dann bleibt man." Das war für mich aber total klar, dass ich das nicht kann. Denn ich möchte immer das Gefühl haben, es könnte noch etwas Neues kommen und es könnte sich noch was ändern.
Mich hat es aus der Kleinstadt Bad Bramstedt, wo ich aufgewachsen bin, recht früh woanders hingezogen. Ich war als Austauschschülerin ein Jahr in Brasilien, dann bin ich zum Studieren nach Konstanz gegangen, möglichst weit weg. Ich glaube, weiter weg von Schleswig-Holstein kann man nicht studieren. Ich war zwei Jahre lang in England und anschließend ein Jahr in Chile. Aber ich bin mit dem Thema durch. Ich möchte jetzt in Schleswig-Holstein bleiben, das ist meine Heimat. Als künftiger Wohnort käme vielleicht noch Hamburg in Frage. Ich bin da noch nicht ganz entschieden, wo ich mich langfristig sehe, das muss ich noch gucken. Ich mag es, dass sich Perspektiven bieten und auch die Möglichkeit einer Veränderung immer da ist.
Was ist dieses Heimatgefühl, was Sie in Schleswig-Holstein oder Hamburg empfinden?
Behm: Ich mag, wie die Leute reden. Ich mag das Licht, auch das Klima. Das habe ich gemerkt, als ich in Konstanz studiert habe. Am Bodensee war es irgendwie immer schwül, da wehte kein Wind. Da habe ich sehr darunter gelitten. Das fand ich nicht schön. Ich war eine Zeit lang auch in Mannheim, wo es im Sommer immer noch mal zehn Grad wärmer ist als in Schleswig-Holstein. Ich glaube, das geht vielen Leuten so, dass man sich da, wo man aufgewachsen ist, einfach wohlfühlt und weiß, wie die Leute sprechen. Deswegen werde ich von dort wahrscheinlich nicht mehr weggehen.
Für den Wind sind Sie gewappnet. Denn Sie haben zu Hause wahrscheinlich jede Menge selbstgestrickte Schals, oder?
Behm: Ja, sehr viele. Ich glaube, es sind mindestens 70 Schals und Tücher. Die kann man gar nicht alle tragen. Ich habe ein paar Lieblingsstücke, die ich mir immer wieder gerne umbinde. Aber vieles liegt auch einfach im Archiv.
Ich lese mal vor, was ich bei Ihnen auf ihrem Blog "Strick mich" gefunden habe. "Ein schöner langer Schal aus weicher Wolle ist genau das passende Accessoire beim Stöbern in der Lieblingsbuchhandlung, in der Bibliothek, bei einer Lesestunde, auf der Parkbank oder auf dem Weg zur Buchmesse. Denn auf eine magische Weise lässt er uns belesen, kultiviert und klug wirken." Ein kleines Augenzwinkern am Ende. Aber für Sie scheint Stricken und Literatur Hand in Hand zu gehen, oder?
Behm: Na ja, nicht ganz. Ich finde schon, dass es sehr unterschiedliche Dinge sind. Diese beiden Welten sind auch nicht ganz so einfach zu vereinbaren. Ich glaube, dass viele Strickerinnen große Lust auf mein Buch haben und das auch lesen. Umgekehrt gibt es da vielleicht noch Vorbehalte. Literaturmenschen betrachten das Stricken vielleicht eher als etwas Schlichtes und Simples. Deswegen weiß ich gar nicht, ob das so gut zusammenpasst. Der Text, den Sie jetzt gerade vorgelesen haben, das ist das Intro zu einer Strickanleitung, die so entstanden ist, dass ich meiner Literaturagentin ein Geschenk machen wollte. Ich habe gedacht, was passt zu ihr und habe einen langen, schmalen Schal gestrickt, bei dem ich dachte, der ist elegant genug, dass sie ihn auch in der Literaturszene tragen kann.
Strickdesign und Schreiben funktionieren auf eine völlig andere Art und Weise. Strickdesign ist sehr systematisch, da muss man sehr genau sein. Diese Strickanleitungen sind fast wie eine Programmiersprache. Da darf wirklich kein Fehler drin sein, weil sonst nicht das Ergebnis entsteht, dass man sich wünscht. Beim Schreiben kann ich viel lockerer sein und kann schauen, welche Gedanken und Worte mir gerade in den Sinn kommen. Die schreibe ich dann hin. Ein bisschen Struktur muss beim Schreiben natürlich auch sein. Es ist sehr klug, sich vorher zu überlegen, was findet in welchem Kapitel statt. Das ist auch etwas, was ich aus der Arbeit am ersten Buch gelernt habe. Beim zweiten Buch gibt es jetzt zuerst ein Kapitelraster. Innerhalb dieses Kapitelrasters kann ich dann kreativ sein und es fließen lassen.
Gibt es schon ein neues Buch, das entsteht?
Behm: Ja, gibt es. Da freue ich mich auch schon sehr drauf. Und ich freue mich auch, dass ich das demnächst mit Leben füllen kann.
Das Gespräch führte Andrea Schwyzer. Einen Ausschnitt davon lesen Sie hier, das ganze Gespräch können Sie oben auf dieser Seite und in der ARD Audiothek hören.
Schlagwörter zu diesem Artikel
Romane
