Hinrich Schmidt-Henkel: Übersetzen ist Reichtum und große Herausforderung
Die Werke des norwegischen Literaturnobelpreisträgers Jon Fosse werden mit ihrer sprachlichen Eleganz und Präzision von Hinrich Schmidt-Henkel ins Deutsche übertragen. Wie er sich darauf vorbereitet, erzählt er im Interview.
In dieser Woche wird die Leipziger Buchmesse eröffnet. Gastland ist in diesem Jahr Norwegen und wird sich mit seiner vielfältigen Literaturszene präsentieren. Autorinnen und Autoren aus dem skandinavischen Land werden nach Leipzig kommen, um Bücher, Romane, die beliebten norwegischen Krimis, Gedichte, Theaterstücke, Kinderbücher oder Sachbücher vorzustellen. Eine große, oft unterschätzte Leistung ist die der Übersetzung. Die Werke des norwegischen Literaturnobelpreisträgers Jon Fosse beispielsweise wurden mit ihrer sprachlichen Eleganz und Präzision von Hinrich Schmidt-Henkel ins Deutsche übertragen.
Wie viel Übung muss ein Übersetzer haben, um Literatur zum Leuchten bringen zu können? Wie viel Freiheit nimmt der Übersetzer sich bei seiner Arbeit? Fragen an das große Sprachentalent Hinrich Schmidt-Henkel, der nicht nur aus dem Norwegischen, sondern auch aus dem Französischen, Italienischen oder Dänischen übersetzt. Seit vielen Jahrzehnten kennt er das Werk von Jon Fosse, seine Dramen, Romane, Erzählungen, Lyrik und Essays. Katja Weise spricht in NDR Kultur à la carte mit Hinrich Schmidt-Henkel über Feinheiten und Facetten der Sprache, die Leistung der Übersetzung und die Vielfalt des literarischen Lebens.
Jon Fosse hat den Literaturnobelpreis bekommen. Das ist möglicherweise auch etwas, was die Aufmerksamkeit noch weiter auf norwegische Literatur richtet. Wie hat sich Ihr Verhältnis zu dem Autor verändert? Gerade vor dem Hintergrund, dass Sie ihn über so viele Jahre begleitet und seine Literatur übersetzt haben? Würden Sie sagen, Sie beide sind befreundet?
Hinrich Schmidt-Henkel: Das ist ein großes Wort. Ich kann sagen, dass wir einen sehr freundschaftlichen und vertrauten Umgang miteinander haben. Wir kennen einander sehr gut. Nicht nur durch die intime Kenntnis der Texte, die das Übersetzen mit sich bringt, sondern auch durch die vielen Fragen, vor allem am Anfang der literarischen Lebensbeziehung, die jetzt rund 30 Jahre geht. Wir haben sehr viele Lesungen miteinander gehabt. Jon Fosse hat sich von mir immer sehr geschützt gefühlt, weil er ausgesprochen ungern in der Öffentlichkeit auftritt und mittlerweile auch so gut wie gar keine Lesungen mehr macht.
Bei der Buchmesse in Leipzig wird Jon Fosse auch nicht auftreten.
Schmidt-Henkel: So ist es. Er hat ein ganz entzückendes Grußwort für den Anlass geschrieben, bei dem er sonst dabei gewesen wäre, das habe ich nun übersetzt. Wir hatten viele Lesungen miteinander, waren auf Lesereisen in Deutschland, Österreich und der Schweiz und haben etliche Premieren zusammen gesehen. Das Verhältnis ist so, dass ich weiß, wie sehr ihn etwas erschreckt, zum Beispiel der Nobelpreis. Aber das freut ihn natürlich auch wahnsinnig. An dem Tag, als das rauskam, habe ich überhaupt keinen Kontakt zu ihm aufgenommen, weil mir klar war, dass jetzt die Welt über ihn herfällt und er keine ruhige Minute hat. Ich habe ihm am Tag danach eine SMS geschrieben: "Na alter Jon, jetzt ist es doch passiert. Ich kondoliere und gratuliere."
Sie sind der Erste, der mit dem Jon-Fosse-Übersetzerpreis ausgezeichnet worden ist. Was bedeutet Ihnen das?
Schmidt-Henkel: Ich muss Ihnen gestehen, ich habe fast keine Worte dafür, was das für mich bedeutet, weil er so groß ist. Das ist wirklich unglaublich. Erst mal ist es eine einzigartige Sache, das ein Staat mit einem Literaturnobelpreisträger sich so etwas ausdenkt. Mir ist das aus keinem anderen Land bekannt. Ein jährlich wiederkehrender Festakt, bei dem ein philosophisch-literarischer Vortrag gehalten wird und zwar von Geistesgrößen aus dem In- und Ausland und ein international ausgeschriebener Übersetzerpreis für Leute, die aus dem Norwegischen übersetzen. Das ist schon mal eine unglaubliche Sache, diesen Preis zu bekommen und dann auch noch als Erster. Ich habe wirklich keine Worte, das ist was ganz Großes.
Übersetzen hat letztendlich auch viel mit Stimme zu tun, weil Sie beim Übersetzen die Stimme des Autors oder der Autorin treffen und irgendwie auch was eigenes machen müssen. Wie beschreiben Sie das für sich?
Schmidt-Henkel: Stimme finde ich ein wunderschönes Wort für diesen Prozess, vor allem die eigene Stimme. Ich glaube, wer beim Übersetzen eine eigene Stimme hat, übersetzt besser, weil diese eigene Stimme, auch die eigene Individualität, die da mit hineinspielt für den künstlerischen Prozess sehr viel bedeutet. Das Literaturübersetzen ist eine darstellende Kunst. Ich verkörpere etwas. Es sind sprachliche Rollen, in die ich schlüpfe, beziehungsweise die ich auch erst kreieren muss. Ich muss für jeden Autorenstil einen eigenen deutschen Stil finden, da es ihn bislang noch nicht auf Deutsch gab. Auch wenn ich viel von Jon Fosse übersetze, begreife ich mich eher als Übersetzer von Autoren, als Übersetzer von einzelnen Büchern. Autorinnen und Autoren entwickeln sich auch im Laufe des Lebens. Ebenso muss ich mich mitentwickeln, wenn ich sie übersetze. Aber anders als sie, habe ich ihnen und ihren Stilen zu folgen. Das ist ein unglaublicher Reichtum und eine große Herausforderung. Aber diesen Vorzug genießt kein Autor oder keine Autorin, die bleiben immer bei sich selbst. Die können immer nur so schreiben, wie sie schreiben. Ich muss und darf so schreiben, wie viele verschiedene Leute schreiben.
Aber das ist doch wirklich eine große Herausforderung, den richtigen Ton und den richtigen Rhythmus zu finden. Entspannen Sie sich beim Übersetzen?
Schmidt-Henkel: Ich muss mich beim Übersetzen schon einschwingen. Ich muss mein eigenes Temperament ablegen. Bei Jon Fosse muss ich erst mal fünfmal tief durchatmen, viermal einatmen und sechsmal ausatmen und das fünf Minuten, um selber in die Ruhe zu kommen, so zu schreiben wie Jon Fosse. Ich habe eigentlich selber viel zu viel Tempo in mir drin für diese Literatur.
Was muss ein Autor oder eine Autorin haben, dass Sie sagen, ich möchte das übersetzen?
Schmidt-Henkel: Das ist für mich ein Reflex, den ich nicht steuern kann, der für mich aber sehr spürbar ist. Ich lese eine kurze Passage des Originals und weiß, ob mich das triggert. Es braucht nicht am Inhalt zu liegen. Sagen wir, eine Geschichte wie die These des ersten Buches von Édouard Louis, das Ende von Eddy. Dieses Aufwachsen eines jungen Schwulen in der Provinz unter sehr viel dramatischeren Umständen, als es bei mir der Fall war. Da spielt der Inhalt natürlich mit rein. Ich erinnere mich, als Annette Wassermann, Lektorin vom Wagenbach-Verlag, mir erstmals ein Buch von Tanguy Viel in die Hand drückte - den ich seitdem für den Verlag übersetze - und sagte: "Jetzt sag' mir mal ungefähr in den nächsten zwei Wochen Bescheid, ob du das machen würdest?" Dann habe ich gesagt: "Ja, das mache ich." Dann habe ich das aufgeschlagen und habe die ersten drei Seiten gelesen. Ich habe gesagt, das mache ich. Das war mir ganz klar, weil der einen Stil hat und etwas, das mich sprachlich reinholt und das macht durch den Stil dann auch alles interessant, was er schreibt. Das ist eigentlich auch egal, was er schreibt, weil er es so großartig schreibt.
Das Gespräch führte Katja Weise. Einen Ausschnitt davon lesen Sie hier, das ganze Gespräch können Sie oben auf dieser Seite und in der ARD Audiothek hören.
