Jon Fosse begeistert Publikum bei Usedomer Literaturtagen
Der Norweger Jon Fosse ist für seine Theaterstücke und seine Prosa bekannt - aber auch für seine Zurückhaltung, was öffentliche Auftritte angeht. Für die Usedomer Literaturtage kam er jedoch nach Heringsdorf. Das stille Land passe zu ihm, so der Literaturnobelpreisträger.
Im Dezember 2023 erst hat Jon Fosse den Literaturnobelpreis bekommen, weil er dem "Unsagbaren eine Stimme" gebe, so die Begründung. Für die Usedomer Literaturtage ist Fosse am Sonnabend nach Heringsdorf gekommen. Mehr Lesungen hat er in diesem Jahr in Deutschland bisher nicht zugesagt. Es ist eine kleine Bühne im Saal des Hotels "Villa Esplanade". An einem Flügel spielt die Pianistin Hideyo Harada lyrische Stücke von Edvard Grieg. Der Schriftsteller hört still zu. Das hier wird keine klassische Wasserglaslesung, vielmehr ein Gespräch mit dem NDR Kultur-Moderator Joachim Dicks - dreisprachig.
Lesung auf Norwegisch, Deutsch und Englisch
"Ich kann ein bisschen deutsch sprechen, aber es ist besser, wenn ich englisch spreche", sagt Fosse. Er liest auf Norwegisch. Das ist die Sprache, in der er schreibt und denkt und Frank Arnold liest die deutsche Übersetzung.
Ullei wartet darauf, dass sein Sohn Johannes auf die Welt kommt. Seine Frau liegt nebenan in den Wehen und der Fischer denkt hin und her und stellt sich die großen Fragen. Jetzt muss er hinaus in diese kalte Welt, und dann ist er darin allein, getrennt von der Martha, getrennt von allen anderen. Allein wird er sein, immer allein, und dann wird er, wenn seine Zeit gekommen ist, sich auflösen und wieder zu Nichts werden, und wieder dahin zurückgehen, wo er hergekommen ist, von Nichts zu Nichts. Zitat aus: "Morgen und Abend" von Jon Fosse
Zehn Sekunden bewusste Stille im Saal
Joachim Dicks hat tief hineingefragt in das Werk des Schriftstellers. In jedem Buch, so Dicks, sei Jon Fosse ganz zu erkennen - an seiner Sprache, seinen Wiederholungen, seinen Pausen. "Ein ganz wichtiges Thema, das ich in meiner Lektüre der Bücher mitgenommen habe, ist die Stille. Zehn Sekunden Stille zu erfahren, ist lang. Wollen wir das mal probieren?", schlägt Dicks vor. Dann ist Stille im Saal. Im übertragenen Sinne Jon-Fosse-Stille.
"Und diese Stille habe ich immer wieder beim Lesen Ihrer Texte gefunden", erklärt Dicks. "Das haben Sie jetzt nicht gesagt, aber ich übertrage das mal, dass Sie sich selber eher wie ein Sekretär empfinden, der empfängt, der hört", interpretiert Dicks. Fosse lässt das nicht ganz so stehen. Ein Sekretär sei er vielleicht, aber es seien schon seine eigenen Texte. Jon Fosse kreiert selbst die Stimmen, denen er sich öffnet, lauscht beim Schreiben nach Worten in seinem Inneren. Und schreibt so all dieses Unsagbare. Schöne. Stille. Traurige.
Die Stille auf Usedom passt zu Jon Fosse
"Eine besondere Ehre oder ein großes Vergnügen für uns auf Usedom ist, dass Sie gekommen sind, obwohl nun wirklich bekannt ist, dass sie nicht gerne in die Öffentlichkeit gehen und nicht gerne öffentliche Veranstaltungen machen", betont Dicks und fragt weiter: "Als sie die Anfrage aus Usedom bekommen haben, warum haben Sie zugesagt?" Das sei wirklich schwer zu beantworten, erwidert Fosse. Am Ende eigentlich, weil er auf Usedom noch nicht war, sagt er. In vielen deutschen Theatern war er bei Premieren seiner Stücke. Hier oben aber war er noch nie. Ein stilles Land. Es passe zu ihm.
"Das war sehr bewegend. Die Lesung war erstklassig", sagt ein Mann aus dem Publikum am Abend. "Ich glaube, dass er nicht den großen Rummel mag, sondern eher das Ursprüngliche und die Möglichkeit, sich zurückzuziehen und das haben wir ja hier in idealer Weise", betont ein anderer Besucher. Nach einer Stunde waren dann auch alle Bücher vom Büchertisch weggekauft, vom Autor Jon Fosse geduldig signiert und die Usedomer Literaturtage 2024 mit diesem besonderen Finale beendet.
Die moderierte Konzert-Lesung wird als Sonntagsstudio auf NDR Kultur am 12. Mai ausgestrahlt.