Licht und Schatten - Fotografien 1920 bis 1950
Ein Mediziner, der das Stethoskop gegen die Kamera eintauscht: Das ist die Kurzbeschreibung von Dr. Paul Wolff. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war er der wohl bekannteste Fotograf Deutschlands. Kaum eine Illustrierte, in der die Bilder von ihm und seinem Kompagnon Alfred Tritschler fehlten. Sein Ruhm als "Pionier der Leica" strahlte bis nach Japan und in die USA.
Umso erstaunlicher, dass Paul Wolff 70 Jahre nach seinem Tod fast gänzlich in Vergessenheit geraten ist. Eine Monografie aus dem Kehrer Verlag könnte das ändern. Herausgeber Hans-Michael Koetzle versammelt darin nicht nur die beschwingten Fotografien des Frankfurter Duos Wolff & Tritschler, er liefert auch die hochspannende Biografie eines Künstlers voller Widersprüche.
Es gibt kaum einen Auftrag, den Dr. Paul Wolff verschmäht: Ob Reklameaufnahmen für Nivea-Creme, für Reifen von Dunlop oder Wochenendausflüge auf Hapag-Dampfern. Wenn es darum geht, Firmen und ihre Produkte in Szene zu setzen, gilt sein Studio als Topadresse in Deutschland. Dabei macht die Werbung nur einen Teil des Geschäfts aus. Zwischen den Weltkriegen produzieren Wolff und sein Kompagnon Alfred Tritschler in erster Linie Bilder für die zahlreichen Illustrierten im Land.
Früher Start in eine Fotografen-Karriere
Mit der Fotografie beginnt der Sohn eines preußischen Beamten schon als Zwölfjähriger. Eine Profikarriere kommt zunächst allerdings nicht infrage, "weil mein Vater den Beruf des Fotografen unter keinen Umständen als standesgemäß ansehen wollte. Ja, ihn als 'Marotte' bezeichnete", sagt Wolff.
Er entscheidet sich für ein Medizinstudium, versorgt als Regimentsarzt im Ersten Weltkrieg Verletzte und reiht sich in der Weimarer Republik ins Heer der Arbeitslosen ein. Um Geld zu verdienen, wendet er sich wieder seinem alten Hobby zu und eröffnet Mitte der 20er-Jahre sein eigenes Fotostudio in Frankfurt am Main. Wie die meisten seiner Kollegen verwendet er schwere Großbildkameras - bis er das Potential eines kleinen Apparates namens "Leica" entdeckt. Damals eine Neuerfindung, die in Fotografenkreisen verpönt ist.
Tatsächlich war mit Blick auf die Leica häufig von einem "Spielzeug" die Rede, von einem "kleinen Ding", das von Kunden nicht ernst genommen würde. Leseprobe
Eine neue Kamera eröffnet neue Möglichkeiten
Mit Bildern - wie seinen Fotoserien von den Ostfriesischen Inseln - überzeugt Wolff die Zweifler jedoch bald von den Möglichkeiten der Kleinbildtechnik: Da vergnügen sich Menschen am Meer, das Nordseewasser spritzt und der Wind zerzaust die Bubiköpfe der Frauen. Eines der schönsten Fotos zeigt ein Paar beim Ballspielen am Strand. Der Mann springt in die Luft und schwebt etwa einen Meter über dem Boden. Während seine Partnerin sich mit Verve in die Waagerechte wirft. Neben den beiden malt die Sonne ihre Schatten wie Karikaturen in den Sand.
Den Siegeszug des kleinen Apparates beförderte Wolff auch mit selbstverfassten Ratgebern.
Fotograf und Lehrmeister
Kaum zu unterschätzen ist Wolffs Rolle als Vorbild für ein Heer ambitionierter Leica Amateure. Fotografierend, schreibend, Ratschläge erteilend, hat er Wege gewiesen, deren Nachhall bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg spürbar blieb. Leseprobe
Wer heute die Aufnahmen von Wolff & Tritschler betrachtet, kann sich nur wundern, wie zwei so erstklassige Fotografen in Vergessenheit geraten konnten. Umso größer ist das Vergnügen, ihr Werk wiederzuentdecken. Der neue Bildband glänzt durch exzellente Abbildungen und spannend geschriebene Texte. Von Anfang an ist klar: Hier geht es nicht darum, einen Mythos zu polieren.
Von Werbung bis Propaganda
Autor und Herausgeber Hans-Michael Koetzle beschreibt seinen Protagonisten als Mann voller Widersprüche. Wolff, der sich selbst kokettierend als "Amateur" bezeichnete, war in Wirklichkeit ein Profi und gewiefter Selbstvermarkter. Sein Talent stellte er in den Dienst eines jeden, der ausreichend zahlte. Auch den Nationalsozialisten lieferte er die Bilder, die sie zu ihrer Selbstdarstellung brauchten: Zum Hitlergruß gereckte Arme, prominent platzierte Hakenkreuze und Reklame für die Reichsautobahn.
Damit ist Wolffs Geschichte auch eine typisch deutsche Biografie: Der Lebenslauf eines Mitläufers, dem nach dem Zweiten Weltkrieg nichts anderes blieb, als die Trümmer seiner Heimatstadt Frankfurt zu fotografieren.
Dr. Paul Wolff & Tritschler
- Seitenzahl:
- 464 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Zusatzinfo:
- Mit Texten von Sabine Hock, Randy Kaufman, Hans-Michael Koetzle, Kristina Lemke, Günter Osterloh, Tobias Picard, Gerald Piffl, Shun Uchibayashi, Thomas Wiegand - Halbleineneinband, 24 x 29 cm, 967 Farbabbildungen
- Verlag:
- Kehrer
- Bestellnummer:
- 978-3-86828-880-3
- Preis:
- 78,00 €