Günter-Grass-Haus in Lübeck: Vom "Tempel" zum Familienort
Das Günter Grass-Haus in Lübeck hat in diesen Tagen einiges zu feiern. Am 16. Oktober wäre der Schriftsteller 95 Jahre alt geworden. Passend dazu feiert das Museum auf der Lübecker Altstadtinsel sein 20-Jähriges Bestehen.
Visionär mit Pfeife und Schnurrbart - Literaturnobelpreisträger Günter Grass, der zuletzt in Behlendorf bei Lübeck lebte. Ein Mann, der entweder geliebt oder gehasst wurde.
Museumsleiter des Günter Grass-Hauses in Lübeck, Jörg-Philipp Thomsa, gibt zu, dass er den Künstler anfangs nicht mochte, doch dann lernte er ihn kennen. "Privat war er wirklich ganz anders und ich habe seine Bescheidenheit, sein Interesse an anderen Menschen und neuen Themen geschätzt - gleichzeitig aber auch seinen Humor", sagt Thomsa. Auch die Gäste des Günter Grass-Hauses haben teilweise gemischte Gefühle gegenüber Grass: "Seine Zugehörigkeit zur NS-Zeit, die er lange verschwiegen hat, das fand ich doch sehr problematisch, aber ansonsten empfinde ich ihn als sehr begabt", sagt eine Besucherin.
Günter Grass-Haus: Vom "Tempel" zum Familienort
In den 20 Jahren seitdem es das Günter Grass-Haus gibt, hat sich einiges geändert. Ausstellungen kamen und gingen und das Museum wurde immer erlebbarer. "Als ich hier 2005 zum ersten Mal als Tourist ankam, da wurde ich ermahnt, weil ich zu laut war und meinem Freund was zugerufen hatte", erinnert sich Thomsa. "Die Atmosphäre erinnerte doch eher an einen Tempel und heilige Hallen."
Das Erste, was er dann als Museumsleiter des Günter Grass-Hauses gemacht habe, war ein Kinderfest zu organisieren. "Um Aufsichten, aber auch unseren Gästen zu zeigen, dass darf hier auch laut sein, man darf Dinge anfassen", sagt der Direktor. "Das war auch in Grass‘ Sinne, der übrigens 18 Enkelkinder hatte."
"Die Blechtrommel" macht Grass weltweit berühmt
Über Nacht wurde der Grafiker, Bildhauer und Schriftsteller Günter Grass 1959 mit seinem Roman "Die Blechtrommel" weltweit berühmt. Grass erzählt die Geschichte von Oskar Matzerath, der mit drei Jahren beschließt, nicht mehr zu wachsen, dessen Stimme Glas zerspringen lassen kann und der mit seiner Blechtrommel, den Menschen seinen Willen aufzuzwingen vermag. Oskar Matzerath ist das Brennglas, unter dessen vermeintlich kindlicher Perspektive Grass schonungslos die Verführbarkeit und die Unzulänglichkeit der Deutschen in der Weimarer Republik und unter den Nationalsozialisten aufzeigt. "Die Blechtrommel" spaltete die Nation. Kirchen und Soldaten gingen gegen das Buch auf die Barrikaden, nannten es "blasphemisch" und "jugendgefährdend".
Grass' literarisches Werk ist zeitlos
40 Jahre später zeichnete ihn die Schwedische Akademie der Wissenschaften mit dem Literaturnobelpreis für sein Lebenswerk aus. Seine Literatur wirkt heute aktueller denn je. Beispielsweise der Roman "Die Rättin", in dem es um Umweltverschmutzung geht. Das Aufflammen eines aktuellen Konfliktes ahnte Grass vor seinem Tod im Jahr 2015 fast prophetisch. "Das was Günter Grass in seinem letzten Interview gesagt hat, ist hochspannend, er hat nämlich vor einer Eskalation des Konfliktes zwischen der Ukraine und Russland gewarnt", erinnert sich Jörg-Philipp Thomsa. "Wie visionär können Schriftsteller, wie Günter Grass sein, dass uns das damals in dieser Form noch nicht bewusst war und er warnt vor einem Dritten Weltkrieg, das zeigt eben auch wie zeitlos sein Werk ist."
Künstlerpersönlichkeiten in Wort und Bild
Das zeitlose Werk Günter Grass' wird in Lübeck ins hier und jetzt geholt. So gab es in den vergangenen Jahren zum Beispiel Lesungen mit Smudo oder Farin Urlaub. Jörg-Philipp Thomsa will die erfolgreiche Arbeit der vergangenen Jahre fortsetzen. "Es gibt Ausstellungen rund um Günter Grass mit Fragen, die gesellschaftlich relevant sind, und es gibt weiter die Reihe der Doppelbegabung, in der wir Künstlerpersönlichkeiten zeigen, die ähnlich wie Günter Grass in Wort und Bild gearbeitet haben", sagt der Museumsleiter.
Darüber hinaus will er auch über Lübeck hinauswirken - Sonderausstellungen in Deutschland und der Welt zeigen. "Was wichtig wird, in den nächsten Jahren, das ist die Forschung - der Austausch mit Hochschulen" merkt Thomsa an. "Aber Sie können sicher sein, auch die Vermittlungsprogramme bleiben so attraktiv wie bisher."