"DAVE": Skurrile Utopie von Raphaela Edelbauer
Raphaela Edelbauer war 2019 für den Deutschen Buchpreis nominiert. Ihr großer Roman "DAVE" handelt von einer Künstlichen Intelligenz, die auch mit einem menschlichem Bewusstsein ausgestattet ist.
Dieser Roman macht den Leser fertig; schleudert ihn ungebremst durch alle Sphären der Wahrnehmung. Wo er eben noch kurz glaubte, jetzt habe er es begriffen, steht er kurz darauf am Abgrund und sieht alle seine Begriffe in die Tiefe stürzen. Er steht am Abgrund - und zugleich auf dem (vorläufigen) Gipfel der Erzählkunst von Raphaela Edelbauer, auf dem sie selbst, womöglich, nicht mehr weiter weiß. "Das war eigentlich tatsächlich immer mein Ziel, dass ich gern Texte schreiben möchte, die so ähnlich sind wie der Rubik-Würfel, dessen Schöpfer ihn selbst für fast ein Jahr nicht lösen konnte. Es ist, glaube ich, doch was recht Ungewöhnliches, wenn man selber nicht mehr weiß, wo einem der Kopf steht beim Schreiben", meint die Autorin.
Das Bewusstsein bestimmt diesen Roman
Dass Raphaela Edelbauer komplex und gleichzeitig grenzenlos unterhaltsam schreiben kann, hat sie bereits 2019 mit dem Roman "Das flüssige Land" bewiesen, mit dem sie für den Deutschen Buchpreis nominiert war. In "Dave" geht sie erkennbar den nächsten Schritt. Ausgangspunkt der Kopfzerwühlnis ist ein unlösbares Rätsel, mit dem sich einst die Kirchenphilosophen herumplagten: Kann Gott einen Stein schaffen, der so schwer ist, dass selbst er, der Allmächtige, ihn nicht mehr heben könnte?
In einer Zeit, in der wir uns göttergleich zur Schöpfung einer schönen neuen Welt aufschwingen, wird daraus die Frage: Ist es möglich, dass unsere Intelligenz eine künstliche Intelligenz kreiert, die unsere übersteigt? Oder nein - nicht "Intelligenz": Das Bewusstsein bestimmt diesen Roman.
"In einer gewissen Weise hat auch ein Toaster "Intelligenz", der weiß, wann man die Toastscheiben herausschleudert. Aber das ist eben nicht das, was wir intuitiv als Intelligenz bezeichnen würden. Deswegen habe ich diesen Begriff des "Bewusstseins" gewählt, der auch sehr aufgeladen ist, aber ein bisschen besser das beschreibt, was wir uns eigentlich erwarten würden von so einer Singularität", erklärt Raphaela Edelbauer.
Die Menschheit befindet sich im Elend
Hier nun kommt DAVE ins Spiel dieser Science-Fiction-Simulation, die Maschine, die einzig noch in der Lage ist, die Menschheit aus dem Elend zu befreien, in das sie sich selbst manövriert hat und in dem sie mehr als bloß knietief watet. Das machen die immer wieder eingestreuten Rückblenden der Historikerin Babusch deutlich, die im Kinderfernsehen erläutert, wie es so weit hat kommen können:
"Selbstverständlich lebten bei weitem zu viele Menschen auf der Erde, um sich noch mit Wasser duschen zu können. Sauber wurde man, indem man sich in sogenannten Schleifhallen, kleinen Kammern voller Drahtbürsten, so lange hin- und herwand, bis das Blut nur so spritzte.
Um Zustände wie diesen zu vermeiden und die darniederliegende, heiß gesottene Außenwelt wieder bewohnbar zu machen", schließt Babusch, "gibt es nur einen einzigen Weg: einen radikalen, kompromisslosen Schritt in Richtung DAVE!"
Leseprobe
Die verbleibende Menschheit scheint sich in ein riesiges Labor geflüchtet zu haben, in dem Tausende von schlaflosen Nerds an DAVE arbeiten, ohne jedoch den Durchbruch zu schaffen. Die letzte Hoffnung ist Ich-Erzähler Syz, ein Programmierer von 28 Jahren, der eines Tages verschleppt wird, auf Befehl von Laborleiter Fröhlich.
Gedankenspiele werden aufgebaut und wieder zerstört
"Wir brauchen ein reales Vorbild für DAVE."
Fröhlich lehnte sich zurück und zündete sich - mitten im Zentrallabor, im Heiligsten, Kostbarsten - eine Zigarette an.
"Sie sind", sagte er nun, und blies mir den Rauch mitten ins Gesicht, "derjenige, dem DAVE nachgebildet werden soll."
Leseprobe
Hier endet die Nacherzählbarkeit des Romans, der fortan in immer neuen Schleifen erzählerische Möglichkeitsgebäude errichtet, nur um sie dann mit Verve wieder zu zertrümmern. Wo wir tatsächlich sind und mit wem wir es hier zu tun haben, erfahren wir eigentlich erst auf der letzten Seite - und auch da erregend unzuverlässig.
Es gibt also noch eine Literatur, die sich nicht im Autofiktionalen erschöpft, die sich herausschält aus den Begrenzungen des eigenen Ichs und aus dem, was ist, etwas ganz Neues, etwas Eigenes schöpft. Fraglich, ob es je einen DAVE geben wird. Aber es gibt Raphaela Edelbauer und das ist viel besser.
Dave
- Seitenzahl:
- 432 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Klett-Cotta
- Bestellnummer:
- 978-3-608-96473-8
- Preis:
- 25,00 €