Cover des Buches Anna Hope, "Wo wir uns treffen" © Hanser Verlag
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AUDIO: Neue Bücher: "Wo wir uns treffen" von Anna Hope (5 Min)

"Wo wir uns treffen": Intensive Familiengeschichte, brillant übersetzt

Stand: 22.04.2025 10:41 Uhr

In dem neuen Roman der britischen Autorin Anna Hope geht es um ein riesiges, malerisch gelegenes Landgut. Der Besitzer ist verstorben, und seine egozentrische Tyrannei wirkt unter seinen Erben weiter.

von Annemarie Stoltenberg

Es gibt drei Geschwister und eine Witwe, die sich nach dem Tod des großen Philipp Brook auf seinem Landsitz treffen. Er war, so viel steht fest, nie ein guter Vater und nicht lange ein treuer Ehemann. Ein Egomane, der sein Leben frei, immer auf den eigenen Vorteil bedacht, gestaltet hat.

Allerlei Probleme rund um die Trauerfeier

Seine Ehefrau wirkt nach seinem Tod erleichtert; sie zieht aus dem viel zu großen Landsitz in ein kleines Cottage, in dem vorher ihre ältere Tochter Frannie gewohnt hat. Frannie war als einziges der Kinder nach Hause zurückgekehrt und hatte gemeinsam mit ihrem inzwischen manche seiner Sünden bereuenden Vater versucht, den Park und die umliegenden Wälder zu renaturieren, das Land gesunden zu lassen durch einige hochwirksame Maßnahmen. Auch wenn ihr Verwalter Jack nicht wirklich daran glaubt, dass es noch helfen könnte:

"Als könnten sie die Verschmutzung und das Mikroplastik wegwaschen, den Kohlenstoff aus der Luft holen und eine lebenswerte Zukunft schaffen. Er denkt, sie liegt falsch. Es ist zu spät. Sie haben's verbockt, die Menschen. Die Welt ist übergeschnappt. Es herrscht Chaos (…)" Leseprobe

Jack will das Anwesen verlassen und einen finanziell verlockenden Job annehmen. Dadurch entsteht eines der Probleme, die Frannie rund um die Trauerfeier für ihren Vater noch zu lösen hat. Ihre Mutter Grace war als junges Mädchen zu einem legendären Rockkonzert, einem englischen Woodstock, das Philipp Brook nach dem Tod seiner Eltern auf dem Anwesen veranstaltet hatte, dorthin gekommen. Sie war eine Schönheit im leuchtend gelben indischen Prinzessinnenlook. Eigentlich wäre sie beinahe in die Arme von Philipps bestem Freund Ned geraten, der sie seitdem liebt und aus der Distanz still anbetet.

Ein schweres Erbe

Ned lebt im Wald, in einem stillgelegten Bus, noch immer als naturverbundener, philosophierender Hippie. Alle Familienmitglieder suchen bei Ned Rat und Trost, wenn sie Kummer haben. Einmal konnte er gerade noch den Sohn der Brooks vor einem Selbstmordversuch retten. Grace begegnet nach dem Tod ihres Mannes ihrem Sohn Milo noch einmal neu. Sie erinnert sich an seine Kindheit, als er aufs Internat geschickt wurde.

Nichts hatte sie auf den Verlust ihres Sohnes vorbereitet. Der sie ab seinem ersten Urlaubswochenende nicht mehr anfassen, ihre Liebe nicht mehr annehmen wollte; er, dessen Berührung immer die leichteste, die leichtherzigste in ihrem Leben gewesen war. Plötzlich war er ihr fremd. Sein Gesicht blass, sein Lächeln gezwungen. Sein Lachen, das das Haus erfüllt hatte, verschwand - es tauchte Jahre später wieder auf, als er ein Jugendlicher war, verwandelt im Humor, sarkastisch, verletzend, und sie wusste, dass er in dieser Schule Schaden genommen hatte, auf eine Art und Weise, für die er keine Worte hatte. Und sie wusste, dass sie ihn vor diesem Schaden nicht schützen konnte, dass er sein Geburtsrecht war, sein Erbe. Leseprobe

Ein Erbe, das für alle Kinder der Familie unterschiedlich schwer anzunehmen ist, in materieller und ideeller Hinsicht.

Anna Hope schreibt souverän und geistreich

Es wird noch prekär, als eine Pflegetochter ihres Vaters aus einer Beziehung in New York auftaucht und über die Verstrickung der Familie Brooks in den Kolonialismus sprechen möchte.

Souverän und geistreich führt Anna Hope durch das Dickicht und Unterholz dieser Familiengeschichte. Man lebt so intensiv in diesem Stoff, dass man die Familienmitglieder während der Lektüre zu duzen beginnt.

Wo wir uns treffen

von Anna  Hope
Seitenzahl:
448 Seiten
Genre:
Roman
Zusatzinfo:
Aus dem Englischen von Ulrike Kretschmer
Verlag:
Hanser
Veröffentlichungsdatum:
15.04.2025
Bestellnummer:
978-3-446-28106-6
Preis:
25 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 22.04.2025 | 12:40 Uhr

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