Von Sprotten und Haien: Klassik und die junge Zielgruppe
Wie begeistert man junge Menschen für klassische Musik? Das ist gleichzeitig wichtige Aufgabe und große Herausforderung für viele Kultureinrichtungen im Norden.
Es ist eine Dauerbrenner-Frage in der Kulturbranche: Wie begeistert man junge Menschen für klassische Musik und klassische Konzerte? Denn immer wieder zeigen Studien, dass das Konzertpublikum im Durchschnitt deutlich älter ist als die Gesamtbevölkerung. Und auch viele Konzerthäuser haben das Problem erkannt. So gibt es zahlreiche Angeboten im Norden, die speziell den Nachwuchs in die Kultureinrichtungen locken sollen.
Viele Häuser versuchen, jungen Menschen mit vergünstigten Eintrittspreisen den Konzert- oder Opernbesuch schmackhaft zu machen. Vor allem Studierende profitieren vielerorts: Am Staatstheater Braunschweig etwa genießen alle Studierenden der Universitäten TU und der HBK in Braunschweig mit ihrem Studi-Ausweis eine Flatrate und können fast alle Vorstellungen des Staatstheaters umsonst besuchen - ebenso gibt es spezielle Tarife für Schulen, die laut Auskunft des Hauses sehr gut nachgefragt werden.
Günstige Preise als Anreiz für Konzertbesuch
Freikarten für Studierende der drei Lübecker Hochschulen gibt es beispielsweise auch am Theater Lübeck. In Lüneburg ermöglicht das "Kultur-Semesterticket" Studierenden, kostenlos Ausstellungen zu besuchen oder eine halbe Stunde vor Vorstellungsbeginn kostenlos oder vergünstigt ins Konzert zu gehen. Auch in der Hamburger Elbphilharmonie gibt es verschiedene Angebote für ermäßigte Ticketpreise - unterm Strich sei das Publikum in den vergangenen Jahren spürbar jünger geworden, so die Information des Hauses. In der letzten Saison habe die Elbphilharmonie für die eigenen Veranstaltungen 18.324 ermäßigte Tickets an U-30-Kund*innen verkauft, in der letzten vollständigen Saison vor der Corona-Pandemie seien es im Vergleich nur 6.935 Tickets gewesen.
Dem Orchester über die Schulter schauen
Ebenso haben zahlreiche Kultureinrichtungen spezielle Vermittlungsprojekte im Angebot. So ermöglicht etwa das Staatstheater Braunschweig Schülerinnen und Schülern, dem hauseigenen Staatsorchester über die Schulter zu gucken. Zudem gastieren kleine Delegationen des Orchesters regelmäßig in Schulen und Kindergärten und spielen dort kinderfreundliche Konzerte.
Ähnliche Angebote gibt es auch am Theater Lübeck, mit Musiktheater und Konzerten für Kindergartengruppen und Schulklassen. Umfassende Vermittlungsprojekte gehören auch zum Angebot der Staatsoper Hamburg. So gibt es zum Beispiel zu Beginn der jeweiligen Spielzeit auch einen gezielten Info-Abend für Lehrerinnen und Lehrer, um zu überlegen, welche Stücke für die eigene Klasse in Frage kommen könnten und welche Anknüpfungspunkte diese eventuell an den Alltag der Schüler bieten.
Generationenübergreifend musizieren
Auch "Alt trifft jung" ist beispielsweise ein neues Projekt an der Staatsoper Hamburg: Dabei musizieren Seniorinnen und Grundschulklassen gemeinsam generationenübergreifend. Sie setzen sich in Workshops und Probenbesuchen intensiv mit der Kinderoper "Kannst du pfeifen, Johanna" und dem Schulkonzert "Wenn mein Mond deine Sonne wäre" auseinander. In der Spielzeit 2022/23 haben laut Auskunft des Hauses 23.400 junge Menschen Opern des Hauses besucht, im Konzertbereich waren es 4.800.
Musikvermittlung hat an der Elbphilharmonie hohe Priorität
Die Abteilung Musikvermittlung der Elbphilharmonie gehört sogar zu den größten der Welt und bietet in jeder Saison rund 1000 Veranstaltungen an. Im Fokus steht dabei die Musikvermittlung für Kinder und Jugendliche. Das Spektrum reicht von Workshop-Formaten mit herkömmlichem Orchesterinstrumentarium bis hin zum Kennenlernen eines modularen Synthesizers. Schülerinnen und Schüler können aber auch ein eigenes Konzert zum Saisonabschluss kuratieren. Infolge der Corona-Pandemie setzt die Elbphilharmonie auch verstärkt auf digitale Angebote, nicht nur in den geläufigen sozialen Netzwerken. Es gibt auch einen monatlichen Podcast mit dem Titel "Kopfhörer", der in Zusammenarbeit mit Kindern entsteht. In dem Community-Projekt "Imagine Freedom" für 16- bis 30-Jährige konnten sich Interessierte jüngst kreative Gedanken über Themen wie Freiheit und Frieden machen.
Unterschiedliche Altersgruppen im Blick
Darüber hinaus haben viele Häuser spezielle Angebote für unterschiedliche Altersgruppen im Angebot: so wie spezielle Baby-, Kinder- oder Jugendkonzerte. Am Staatstheater Braunschweig gehört dazu das Angebot "knistern, knuspern, rauschen" für Kleinkinder ab 9 Monaten bis 3 Jahren. Krabbelkonzerte mit Musikbegegnung für Kleinkinder von 0 bis 2 Jahren und Begleitung gibt es auch am Theater Lübeck und in Kiel.
In Schleswig-Holsteins Landeshauptstadt gibt es mit den Küstenkidskonzerten Angebote für alle Altersstufen (Sprotte, Krabbe, Möwe und Haie). Auch eine mobile Kinderoper und eine Familienoper stehen in der kommenden Spielzeit auf dem Programm. Insgesamt sind die Angebote laut Auskunft des Hauses sehr oft ausverkauft. Gleichzeitig seien die Verkaufszahlen in der Kategorie Schüler*innen und Studierende an regulären Abendkonzerten eher überschaubar. Etwas mehr junge Menschen würden aber beispielsweise zu den genreübergreifenden Extra-Konzerten "Con Spirito" kommen.
Aktuelle Themen und gezielte Werbung in Oldenburg
Auch das Staatstheater Oldenburg versucht, Kinder und Jugendliche bereits in jungen Jahren mit unterschiedlichen (musikalischen) Formaten in Kontakt zu bringen. Zum Beispiel indem aktuelle Themen auf der Bühne behandelt werden und dabei nicht ausschließlich klassische Inszenierungswege genutzt werden. So verfügt das Haus über einen digitalen Theaterraum den "Technical Ballroom" - dort wurde in der vergangenen Spielzeit "Die vier neuen Jahreszeiten" inszeniert, eine Produktion mit Vivaldis Vier Jahreszeiten in Kooperation mit Scientist Rebellion, in dem es um die Klimakrise, Wissenschaft und Aktivismus geht.
Begleitet wurde das Projekt von Aufnahmen eines Kammerensembles des Staatsorchesters und Musikerinnen auf der Bühne. Das Publikum des Technical Ballrooms ist dabei deutlich jünger als das durchschnittliche Opernpublikum, heißt es auf Nachfrage von NDR Kultur. Wie eine Publikumsbefragung des Hauses vor einigen Jahren zeigte, liegt der Altersdurchschnitt beim Opern- und Musiktheaterpublikum im Bereich 60+. Interessant: für diese Spielstätte macht das Haus insbesondere Werbung an der Uni, in einem Coworking-Space in Oldenburg und in Cafés. Offensichtlich mit Erfolg.