Wie die Oper in Amsterdam junge Menschen ins Haus lockt
Junge Menschen für klassische Musik zu begeistern - eine Aufgabe, die auch viele norddeutsche Kultureinrichtungen meistern wollen! Dabei lohnt ein Blick nach Amsterdam, denn an der Dutch National Opera & Ballet ist im Schnitt jeder fünfte Besucher jünger als 34 Jahre.
Es sind erstaunliche Zahlen, die Kate Harriman - Head of Marketing, Communications and Audiences an der Dutch National Opera & Ballet - präsentieren kann. Über die gesamte vergangene Spielzeit betrachtet, seien neunzehn Prozent des Publikums 34 Jahre oder jünger gewesen, 26 Prozent des gesamten Publikums sind 44 oder jünger - bei einer Auslastung von insgesamt 96 Prozent. Bei besonderen Produktionen wie etwa dem Opera Forward Festival sind es demnach sogar 26 Prozent - also etwas mehr als jeder vierte Besucher.
Zahlen, von denen viele Konzerthäuser im Norden nur träumen können - auf Nachfrage von NDR Kultur verortet zum Beispiel das Oldenburgische Staatstheater das Musiktheaterpublikum nach einer Besucherbefragung eher bei 60+. Einige Häuser hingegen können gar keine genauen Zahlen über die Altersstruktur ihres Publikums vorlegen.
Auswertung der hauseigenen Daten
In Amsterdam aber spielen Daten eine große Rolle für die Arbeit von Harriman. Und davon generiert die Dutch National Opera jede Menge! Basis sei die E-Commerce-Plattform Salesforce, dank derer das Haus interessante Einblicke in die Publikumsstruktur erhalte: "Die Plattform erlaubt es uns, sehr viel zielgenauer und persönlicher bei der Werbung zu sein", so Harriman. Ebenso könne man das Verhalten und die Bedürfnisse des Publikums genau analysieren. Entsprechend werde die Werbung angepasst. Dazu werden die hauseigenen Daten zum Beispiel aus dem Ticketverkauf oder von der Internetseite des Hauses ausgewertet. Geld kosten diese Daten daher nicht.
Individuelle Marketing-Kampagnen
Denn Harriman kann bei den unterschiedlichen Produktionen große Unterschiede in Hinblick auf die Altersstruktur beobachten: Es gebe immer noch die Angebote, die eher das ältere Publikum begeistern, und dann wiederum solche, die deutlich mehr junge Menschen anlocken, so die Marketingexpertin. Entsprechend wichtig sei es, genau zu wissen, wen man mit bestimmten Angeboten erreichen wolle und diese Zielgruppe dann mit passgenauer Werbung anzusprechen. "Wir haben keinen one-size-fits-all-Ansatz mehr. Wir schauen uns wirklich jede Produktion individuell an, was für Marketingkampagnen wir fahren und auf welchen Plattformen diese stattfinden."
Opern-Flirt: besonderes Angebot für die junge Zielgruppe
"Für die junge Zielgruppe machen wir entsprechend nur Werbung auf den Kanälen, die sie auch nutzt", erläutert Harriman ihre Vorgehensweise. Ebenso nutze das Team dann auch die Sprache der jungen Menschen, um besser mit ihnen kommunizieren zu können. Daher wisse die Datenexpertin auch ganz genau, dass die hohen Kosten, die oft mit einem klassischen Konzertabend oder Opernbesuch verbunden sind, bereits viele junge Menschen abschrecken. Als Konsequenz habe das Haus ein System mit verschiedenen Preisschwellen ausgeklügelt, um junge Menschen anzusprechen.
Besonders gut komme beispielsweise der Opern-Flirt an, der zwei Mal im Jahr angeboten wird. Bei diesem Konzept können unter 36-jährige zum Preis von 10 Euro an den Generalproben teilnehmen. "Das letzte Mal haben wir das bei der Zauberflöte gemacht und alle 1600 Sitzplätze waren ausverkauft!" Dabei seien außerdem mehr als die Hälfte der Besucherinnen und Besucher außerdem zum ersten Mal im Haus gewesen. Für Harriman ein beachtlicher Erfolg: "Man muss die Barrieren abbauen, die es vor dem ersten Besuch einer solchen Kultureinrichtung gibt.", so ihre Überzeugung.
Ticketpreise als wichtiger Faktor
Ein weiteres Beispiel: das Opera Forward Festival - das befasse sich mit der Zukunft der Kunstform, zu sehen seien stets sehr neue und innovative Produktionen, es werde an die Grenzen des Genres gegangen, so Harriman. Um auch hier besonders die jungen Leute anzulocken, gebe es mit 25 Euro pro Ticket ein besonderes Angebot für Besucherinnen und Besucher unter 36. Auch der "Student Alert" zahle aufs gleiche Konto ein: dabei erhalten Studierende regelmäßig einen "Alarm" für ausgewählte Vorstellungen, die sie dann für 19 Euro besuchen können. Ebenso wie an vielen Opern- und Konzerthäusern in Deutschland gibt es außerdem last-minute-Tickets für 19 Euro - so werden möglicherweise frei gebliebene Plätze mit jungem Publikum gefüllt.
Verschiedene Konzepte aus dem Marketing adaptiert
Besonders interessant ist dabei für Harriman auch der sogenannte "Life-Circle" eines Konzertgängers - also der Lebenskreis. Diesen beobachtet sie ab dem ersten, möglicherweise vergünstigten Besuch - danach werde versucht, die Besucherinnen und Besucher über verschiedene Stationen und Angebote weiter ans Haus zu binden, bis sie irgendwann regelmäßig und regulär zahlende Besucher oder auch Unterstützer des Hauses werden, zum Beispiel durch eine Mitgliedschaft in dem Community-Programm. Dabei kann sie sehen, dass einige Menschen nur ein bis zweimal im Jahr die Oper besuchen - andere wiederum mehr als zwanzig Mal. Außerdem arbeite sie gerade an einem Konzept, um die etwa 22 Prozent Erst-Besucherinnen und Besucher aus der vergangenen Saison zu weiteren Besuchen zu animieren. Die Datenauswertung diesbezüglich laufe gerade auf Hochtouren.
Gute Datenlage über Kulturkonsum in den Niederlanden
Außerdem profitiere das Haus von einem "Cultural target group model", das für die gesamten Niederlande erhoben wurde. Dabei wurde die Bevölkerung in verschiedene Profile eingeteilt: die Kultur-Enthusiasten beispielsweise oder den Kultur-"Allesfresser"! Jeder kann detaillierte Informationen über das Kulturnutzungs-Verhalten dieser Gruppen erhalten: so wie das Einkommen, das Bildungsniveau, Interessen, den Medienkonsum oder das Freizeitverhalten am Wochenende. Auch mit diesem Modell hat Harriman die Plattform Salesform gefüttert und konnte so zusammen mit den hauseigenen Daten wichtige Rückschlüsse auf die jeweiligen Zielgruppen schließen.
Image-Pflege und Marken-Bildung
Dabei müsse auch nicht jede Produktion gleichermaßen groß beworben werden, führt Harriman fort, gerade die bekannten Opern seien quasi Selbstläufer - auch für die Ballett-Produktionen sei kaum Werbung nötig, um diese gut zu verkaufen. Doch Marketing sei eben auch immer Image-Pflege und Marken-Bildung, weshalb das Haus sich gelegentlich dafür entscheide, auch für Produktionen Marketing-Geld auszugeben, die sich auch ohne verkaufen würden. "Es geht nicht immer nur darum, Tickets zu verkaufen, aber auch um die Frage, wie wir uns als Organisation auf dem Markt positionieren wollen!" Dazu zähle sie etwa auch die Kommunikation mit Menschen in den sozialen Medien, dort erreichen Videos des Hauses teilweise ein Millionenpublikum!
Was können andere Häuser lernen?
Man müsse wissen, mit wem man es zu tun hat - das sei ihr wichtigster Tipp für andere Kultureinrichtungen auch im Norden. Warum kommen Menschen nicht? Was sind die Hürden? Wie kann man diese aus dem Weg räumen! Fragen, die sich Konzert- und Opernhäuser ihrer Meinung nach stellen sollten: "Viele unserer Besucherinnen und Besucher waren zum Beispiel überrascht, dass es Untertitel bei Opern gibt, dass man anziehen kann, was man möchte. Das haben wir dann entsprechend auf unseren Kanälen kommuniziert." Dafür arbeite das Haus auch eng mit Influencern zusammen.
Man müsse Relevanz und Interaktion auf verschiedenen Wegen schaffen, so ihr Credo. Und ein weiteres Konzept, dass sie aus dem Marketing adaptiert hat: "test and learn"! Man müsse immer wieder neue Dinge ausprobieren und dabei keine Angst haben, auch mal Fehler zu machen. Das habe das Haus zuletzt bei einem Video ausprobiert, in dem erklärt werde, dass die Ballett-Kostüme mit Wodka gereinigt werden. Es hat allein auf Instagram über 17 Millionen Menschen erreicht.